Die Sache mit der Verantwortung

In unserer Wahrnehmung dominieren Unternehmen, bei denen niemand die Verantwortung für Fehler übernehmen muss. Den geschäftsführenden Teilhaber der Bank Wegelin & Co. könnte man hingegen das letzte Hemd wegnehmen. Kann so viel Selbstlosigkeit in der Bankenwelt sein?

Die Swissair liess man vorerst den Bach runter gehen, sodass es zum «Grounding» kam. Danach butterte der Staat schier unzählige Millionen Franken in die «Zwischenlösung», sodass der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden konnte.

Ausgelagertes unternehmerisches Risiko

Die Schweiz als gebranntes Kind reagierte im Fall UBS anders. Hier sollte es zu keinem «Grouding» kommen, weshalb in vorauseilendem Gehorsam der Bund einige Milliarden Franken einschoss und die Schweizerische Nationalbank einige «giftige Milliarden» übernahm.

Ähnliches wiederholt sich nun auf Ebene der Euro-Länder. Griechenland hat bereits einige Milliarden an Euros erhalten, und der «Euro-Rettungsschirm» soll die nötige Garantie liefern, falls noch weitere Euro-Länder wie etwa Italien, Spanien oder Portugal ins Straucheln geraten.

Diese Beispiele haben alle etwas Gemeinsames: Einzelpersonen sind nicht haftbar und werden nicht zur Verantwortung gezogen. Zwar gab es schon Gerichtsverfahren wie jüngst gegen ehemaligen Swissair-Verantwortliche. Doch kein Staatschef, kein CEO und kein Verwaltungsrat wurde je verurteilt oder anderweitig für ihre «Taten» verantwortlich oder gar haftbar gemacht.

Auch wenn es nicht immer gleich zu einem «Grounding» kommt oder ein solches droht, bekommen wir Ähnliches immer wieder zu hören: Personen, welche viel verdienen, weil sie angeblich eine hohe Verantwortung tragen würden, fahren ein Unternehmen beinahe an die Wand, werden dafür aber nicht in die Verantwortung genommen, sondern müssen lediglich das fragliche Unternehmen verlassen. In früheren Jahren lachten den Fehlbaren sogar noch «Goldene Fallschirme» entgegen.

Selbst wenn es zum Untergang kommt, hat dies kaum Folgen für die «Verantwortlichen». Dieser Typus Mensch betont sogar, dass der Haftungsausschluss notwendig sei um unternehmerische Risiken eingehen und das Unternehmen weiter bringen zu können.

Das Nachsehen haben im Falle eines Konkurses die Gläubiger. Wer argumentiert, dass der Haftungsausschlusses notwendig sei, der macht schliesslich aber nichts anderes als das unternehmerische Risiko an die Gläubiger auszulagern.

Persönliches Verantwortungsbewusstsein

Der Ursprung der Haftung liegt in der Rechtsform. Bei Einzelfirmen, einfachen, Kollektiv- und Kommanditgesellschaften endet die Haftung nicht beim Firmen- oder Gesellschaftsvermögen. Stattdessen haften die Eigner auch mit ihrem persönlichen Vermögen.

Ein Blick in die Betriebszählung 2008 des Bundesamts für Statistik (BFS) der marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen zeigt in Bezug auf die Rechtsform Interessantes:

Bei rund 51 Prozent aller Schweizer Unternehmen haften die Eigentümer auch mit ihrem Privatvermögen (Einzelfirmen, einfache, Kollektiv- und Kommanditgesellschaften). Bei Aktiengesellschaften, GmbHs (zusammen rund 46 Prozent) und den anderen Rechtsformen beschränkt sich die Haftung aufs jeweilige Gesellschaftsvermögen.

Interessant ist aber auch noch ein anderer Aspekt innerhalb der AGs und GmbHs:

Die Mikro- und Kleinunternehmen mit unter 50 Vollzeitbeschäftigten machen bei den AGs rund 93 Prozent und bei den GmbHs 99,6 Prozent aus:

Dies spielt dahingehend eine Rolle, als dass Unternehmen dieser Grössenordnung überschaubarer sind, es dementsprechend auch wenige Verantwortliche gibt und die Verantwortlichen sich ausserordentlich ins Zeug legen, weil sie oftmals auch die Eigentümer sind und es darum um ihr eigenes Unternehmen geht. Das lässt die Verantwortung für ein Unternehmen intensiver wahrnehmen, sodass sich die Haftungsfrage auch weniger häufig stellt.

Nimmt man nun alle Unternehmen mit persönlicher Haftung und die AGs und GmbHs mit bis zu einer Grösse von unter 50 Vollzeitbeschäftigten zusammen, so machen diese 95,4 Prozent aller Schweizer Unternehmen aus. Es mag jetzt vielleicht etwas kitschig klingen, aber in diesen Unternehmen weiss man noch, was «Verantwortung wahrnehmen» bedeutet.

Das heisst wiederum, dass jene Unternehmen, welche in den Medien mit schlechten Resultaten und – als Folge davon – mit spektakulären Abgängen von sich reden machen, zu den anderen 4,6 Prozent aller Schweizer Unternehmen gehören.

Welche Rechtsform ein Unternehmer wählt, hat auch mit der Haftung beziehungsweise dem Risiko zu tun, welchem ein Unternehmen ausgesetzt ist. Einen Sandwich-Stand zu betreiben stellt andere Anforderungen als eine Bank. Es ist darum kein Zufall, dass UBS und Crédit Suisse Aktiengesellschaften sind und dass im Rahmen der «too big to fail»-Problematik ein höheres Eigenkapital gefordert wird.

Aussergewöhnlich konsequent (?)

Die Bank Wegelin & Co. ist diesbezüglich eine Ausnahme: Es handelt sich um eine Kommanditgesellschaft, bei der die acht geschäftsführenden Teilhaber (Komplementäre), darunter auch Konrad Hummler, ebenfalls mit ihrem Privatvermögen haften.

Damit hat diese seit 1741 bestehende Privatbank in Sachen Haftung jene Form gewählt, wie sie über die Hälfte der Schweizer Unternehmen kennen. Damit nimmt sie auch Verantwortung wahr, und zwar so, wie in 95,4 Prozent aller Schweizer Unternehmen: Persönlich und mit grossem Engagement.

Das sucht insbesondere in der Bankenwelt seinesgleichen und verdient in Zeiten der Banken- und Staatsrettungen grossen Respekt. Auch dass man nun, wo Ungemach aus den USA droht, sich vor die unbehelligte Kundschaft stellt und diese geordnet an die Raiffeisen-Gruppe transferiert, währenddem die Teilhaber selbst eine ungewisse Zukunft erwartet, lässt einen den Hut zücken.

Gewiss, die Kunden der Bank Wegelin & Co. sind keine armen Schlucker. Es könnte der Eindruck entstehen, man wolle hier nur dafür sorgen, dass die Reichen ihre Schäfchen ins Trockene bringen können.

Doch ob reich oder nicht: Die Schweizer Kunden trifft fürs «USA-Abenteuer» kein Verschulden. Wenn wir beklagen, dass bei Bankenrettungen andere eine verkachelte Situation auszubaden haben, dann dürfen wir nicht erwarten, dass dies nun die unschuldigen Wegelin-Kunden sind, egal wie hoch deren Kontostand ist. Und wie diese Kunden zu ihrem Vermögen gekommen sind, ist sicherlich eine interessante, aber auch eine andere Frage, welche nichts mit der nun vorliegenden «Lösung» zu tun hat.

Ein Verschulden trifft hingegen die geschäftsführenden Teilhaber. Mit der gewählten Rechtsform setzten sie die Messlatte in Sachen Haftung und Wahrnehmung der Verantwortung hoch an – offensichtlich zu hoch für die heutige Zeit.

Aufgrund der dürftigen Faktenlage ist es jedoch noch zu früh, hämisch mit dem Finger auf einen oder mehrere Teilhaber zu zeigen oder ihnen, insbesondere Konrad Hummler, Doppelmoral oder etwas anderes vorzuwerfen.

Klar ist nur: Die geschäftsführenden Teilhaber haben materiell nichts vom jetzt gewählten Weg. Ihnen bleibt nur die Gewissheit, dass ihre bisherigen Schweizer Kunden weiterhin gut versorgt sind, dass dank Transfer zur Raiffeisen-Gruppe nun auch die Raiffeisen-Kunden vom Wegelin-Know how profitieren können und dass sie mit diesem Weg ihre Verantwortung konsequent wahrnehmen.

Dieser Weg ist schon dermassen selbstlos – noch dazu in der Bankenwelt – dass man sich fragen muss: Kann das sein, so ohne Netz und doppelten Boden? Falls ja, dann könnten von dieser Selbstlosigkeit noch ein Stück abschneiden…

13 Antworten auf „Die Sache mit der Verantwortung“

  1. Hallo Titus
    Ja, ich habe das auch schon mal verbloggt, denn hier geht es um die Institution Privatbank. In der Schweiz haben glaube ich alle Privatbanken auch persönlich haftende Partner. In Wikipedia wird es folgendermassen geschrieben:

    Ebenfalls ist charakteristisch, aber nicht zwingend, dass die Bank einen persönlich haftenden Gesellschafter hat, den Privatbankier.

    Eigentlich eine schöne Institution, in der man noch mit dem guten Namen geradesteht.

  2. @ Christian Leu
    Vom Standpunkt der Haftung ist das in der Tat eine schöne Rechtsform, zumal wir wohl mehrheitlich und mit einem gewissen Selbstverständnis davon ausgehen, dass jeder für sein Handeln geradezustehen hat.

    @ Mia
    Vielen Dank für den Link.

    Hand aufs Herz: Den Konrad Hummler in St. Gallen gibt es unter einem anderen Namen auch in Arbon, Brugg, Rapperswil oder Sion. Es gibt sie überall, diese mehr oder weniger kleinen, regionalen und schier unantastbaren „Könige“, über die höchstens hinter vorgehaltener Hand geredet und kaum geschrieben wird und denen man weiter artig hofiert.

    Ich weiss nicht, was ich von ihnen halten soll, denn hinter so mancher Kritik steckt nicht selten auch Enttäuschung, Neid, Missgunst usw. Mich würde darum immer auch die Version der kritisierten Seite interessieren um mir selber ein Bild machen zu können. Vieles erscheint dann manchmal (aber nicht immer) in einem völlig anderen Licht.

    Im konkreten Fall von Hummler konnte ich im fraglichen Artikel nun nichts lesen, das mich speziell aufhorchen liess und zwar in dem Sinne, als dass er mehr „Lokal-König“ gewesen wäre als all die anderen „Lokal-Könige“ und sich gewisse Dinge über Gebühr herausgenommen hätte. Es ist vielmehr das übliche lokalpolitisch „Spiel“ bei derart dominanten Arbeitgebern und Wirtschaftsbossen.

    Über seine damaligen und heutigen politischen Standpunkte als eigenwilliger „Ultra-Liberaler“ lässt sich natürlich streiten, wozu auch die Definitionsfrage des Lohndumpings und nicht zuletzt die ganze Mindestlohn-Diskussion gehören. Sie standen aber nicht im Zentrum meines Beitrags oben. Vielmehr ging es mir nur um die Frage der Wahrnehmung von Haftung einerseits und Verantwortung andererseits und dies in einer Zeit, in welcher sich andere vor diesen beiden Aspekten ducken…

  3. Ich kanns nicht genau erklären, ich hab einfach so ein undefinierbares Gefühl, dass er sich diese zur Schau gestellte «Verantwortung» finanziell ganz gut leisten kann.

    Wer das Nichtbezahlen von Steuern für ein Menschenrecht hält, einfach weil er persönlich den Staat ablehnt, hat (viel) Geld mit etwas verdient, was ich persönlich nur schwer mit «Verantwortung» in Einklang bringen kann. Da scheint es mir reichlich heuchlerisch, jetzt den „Verantwortungsvollen» heraushängen zu lassen.

    Auch seine Steuern ordentlich zu bezahlen, hat etwas mit «Verantwortung» zu tun. Oder sich sonst an Gesetze zu halten, die für alle anderen auch gelten.

  4. @ Mia
    Moment, er hängt den „Verantwortungsvollen“ nicht raus. Ich habe diesen Aspekt aufgrund der gewählten Rechtsform hervorgestrichten. Wenn Hummler und die anderen Teilhaber tatsächlich etwas zahlen müssen – und auch ich zweifle nicht daran, dass da keine Mittel vorhanden wären – dann wären das vermutlich die ersten Banker, die für ihre Handlungen persönlich hinstehen müssten. Das ist das Faszinierende an dieser Sache.

    Stell Dir nun mal vor, dass das für alle Banker gelten würde. Ob da dann noch die (trotz Bankenkrise scheinbar unveränderte) Casino-Mentalität eine Chance hätte?

  5. Tagesschau vom 29.01.2012

    Erstaunlich, wie da ein angeblicher Freund Hummlers den Staat verantwortlich machen will, weil dieser nicht geholfen habe. Dabei wollen Liberale doch immer weniger Staat.

    Und dass einzelnen (nicht systemrelevanten) Unternehmen geholfen werden soll, begrüssen diese grundsätzlich ja auch nicht (das wäre sonst ein Fass ohne Boden).

    Willkommen auf der Kehrseite der liberalen Wirtschaftsordnung…

  6. Das Interview mit dem „Hummler-Freund“ hat mich auch gestört. Ich finde das SF TV zu tendentiell berichtet und rasch sog. Experten zur Hand sind. Das lässt bei mir immer einen fahlen Beigeschmack aufkommen.

    Der Beitrag (wie fast alle Nachrichten) ist und war m.A. nicht ausgewogen.

  7. @ Daniel
    Vor allem frage ich mich, wie er es geschafft hat, dass man ihm ein Mikro unter den Mund hält (und dann kaum kritische Fragen stellt).

  8. @Titus: Noch eine Anmerkung zum meiner Meinung nach sehr gut geschriebenen Artikel von Dir:

    Es sind nicht nur die «Schweizer Wegelin-Kunden», die dank des sauberen Transfers geschützt werden.
    Ich denke da an die etwa 700 Arbeitsplätze bei der Wegelin, die laut Raiffeisen vollumfänglich erhalten bleiben.

    Chapeau!

    Wenn ich da an das Geseiere von «Osi G. is in da house» denke …

  9. es kommt noch die Zeit, dass diejenigen, die jetzt die Amis wegen ihrer Geldeintreiberei verteufeln, selbst entlarvt werden.
    Wie Hummler sagt, muss es ja einige Gescheite geben, die keine Steuern zahlen.
    Das sind Verbrecher. Ich vermute, das sind auch solche Schweizer drunter, die SVP wählen (…. andere Schweizer gibt es ja nicht, oder?).

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