Geduld und Ausdauer statt schnelle Erfolge

Fokussiert auf einzelne Ereignisse fällt kaum jemandem auf, dass innerhalb der SVP ein Machtkampf mit nicht immer ganz sauberen Methoden tobt. Ist das nicht das Resultat eines falschen Verständnisses darüber, wie Parteien und Politik funktionieren?

Eine von demokratischen Prinzipien angetriebene Politik ist eine frustrierende, wenigstens aber eine müssige Angelegenheit. Da hat jemand eine Idee, die er gut und toll findet, für die aber jegliche gesetzliche Grundlage fehlt. Bis diese geschaffen wurde – wenn überhaupt – können auf nationaler Ebene gut und gerne zehn Jahre vergehen.

Nicht nur anstossen

Zwischenzeitlich hat sich dieser Jemand zwei bis drei Mal der (Wieder-)Wahl zu stellen ohne einen politische Erfolg mit konkretem Ergebnis vorweisen zu können. Oder mit anderen Worten: Etwas komplett Neues anzustossen ist nach aussen hin nicht sonderlich attraktiv, oder aber man misst nur das, was angestossen, aber nicht oder nie zu Ende gebracht wurde.

Nur etwas anzustossen ist einfach. Das verlangt wenig Herzblut, wenig Leidenschaft und wenig Ausdauer. Für eine Sache aber aus voller Überzeugung einzustehen und quasi wie ein Löwe und mit guten Argumenten über Jahre hinweg zu kämpfen, verdient Respekt.

Demgegenüber kann man immer noch den anderen die Schuld in die Schuhe schieben, wenn auf halber Strecke diese vermeintlich «gute» und «tolle» Idee von einer demokratischen Mehrheit versenkt wird, dies nicht zuletzt wegen einem manchmal nur halbherzigen Einsatz durch den oder die Initianten oder wegen leicht durchschaubaren «Argumenten».

Es ist schaurig einfach, mit irgendwelchen Vorstössen «Aktionismus» vorzutäuschen und bei einem Misserfolg mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Darum sollten Politikerinnen und Politiker nicht nur an ihren medial geäusserten Parolen gemessen werden, in denen sie ihren Aktionismus zum Ausdruck bringen, sondern auch an der Anzahl erfolgreicher und erfolgloser Vorstösse.

Schnelle Veränderungen in einer komplexeren Welt

Auf kommunaler oder kantonaler Ebene mögen die «Bearbeitungszeiten» von neuen Ideen kürzer sein. Das gilt auch bei nationalen Vorstössen, welche nur auf eine Änderung oder Ergänzung bestehender rechtlicher Grundlagen abzielen.

Dennoch: Es braucht viel Geduld, wenn man in der Politik etwas erreichen will und das in einer Zeit, in der wir nicht mehr drei Tage später aus der Zeitung von Protesten im arabischen Raum erfahren, sondern mittels sozialen Medien und Webcams «live» und mitten im Geschehen dabei sind. Es ist auch eine Zeit, in welcher beispielsweise Unternehmen innert kürzester Zeit über die Aufhebung oder Verlagerung von Hunderten von Arbeitsplätzen entscheidet.

Oder genereller formuliert: Die Rahmenbedingungen oder Umstände um uns herum, politisch wie wirtschaftlich, können ungeheuer schnell ändern. Demgegenüber empfinden nicht wenige die politischen Prozesse als langatmig. Die erhöhte Mobilität und die schnelleren Kommunikationswege und -mittel sprechen zwar eher für kürzere Prozesse. Dem wirkt aber die zunehmende Komplexität entgegen, welche längere, breitere und tiefere Abklärungen und Mitwirkungsverfahren erfordern.

Parteiinterne Bewährungsprobe

Wer sich politisch engagieren will, der muss sich dieser Rahmenbedingungen und Umstände mit ihren festen (oder festgefahrenen) Strukturen bewusst sein: Schnelle Erfolge gibt es keine, Geduld ist gefragt, egal wie schnell sich das Rad der Zeit um uns herum heutzutage drehen mag.

Viele sind sich dessen nicht bewusst. Sie treten in eine Partei ein und hoffen, bald einmal ein politisches Amt bekleiden zu können. Innerhalb einer Partei haben sie die erste Hürde zu bewältigen, denn eine Parteimitgliedschaft bedeutet nicht automatisch, eigene Ideen zu haben und diese auch einigermassen überzeugend an den Mann oder die Frau bringen zu können.

In manchen Parteien tummeln sich Menschen, die – salopp ausgedrückt – einfach «nicht brauchbar» sind. Sie vertreten zu extreme und darum eher abschreckende Ansichten, plappern nur nach, was andere bereits vorgekaut haben oder sind ganz einfach schlechte Kommunikatoren.

Letzteres ist vermutlich das wichtigste Kriterium um einen Schritt – oder eben ein politisches Amt – weiterzukommen. Wer gut und überzeugend reden kann, erhält Aufmerksamkeit und Zuspruch und damit auch die nötigen (parteiinternen) Stimmen um für ein Amt aufgestellt zu werden.

Die politischen Inhalte treten eher an zweiter Stelle, oder treten erst dann in den Vordergrund, wenn zwei oder mehr Personen sich und ihre Ideen gut und überzeugend vortragen können. In dem Falle tritt quasi ein Flügel-Kampf ein: Soll jene Person unterstützt werden, die etwas mehr links oder rechts oder die etwas konservativer oder liberaler ist? Hier, also wenn es eine Art interne Konkurrenz gibt, kommt dann doch noch die inhaltliche Komponente hinzu.

Situativ wichtige Kriterien

Dennoch ist auch das erst die halbe Miete, und zwar nicht nur, aber vor allem dann, wenn die Unterschiede bei den politischen Inhalten zwischen verschiedenen Personen äusserst gering sind. Dann treten noch ganz andere Aspekte und (Charakter-)Eigenschaften in den Vordergrund: Das Geschlecht, das Alter, das Allgemein- oder Fachwissen usw.

Schliesslich erfolgt manche Selektion aber auch aus der Situation heraus. Hier geht es um das berühmte «zur richtigen Zeit am richtigen Ort». Das heisst, dass eine Person grundsätzlich zwar ideal wäre, nur weist sie das falsche Geschlecht auf oder sie ist zu jung oder zu unerfahren oder sonst etwas anderes, um echte Wahlchancen zu haben.

Das nachfolgende Rad zeigt einige (und wohl kaum alle) Kriterien und Gegenkriterien auf, welche auf dem manchmal hölzernen «Weg nach oben» eine Rolle spielen können:

Welches dieser und möglicher weiterer Kriterien nun wie stark gewertet werden, lässt sich kaum sachlich begründen. Sicher ist nur, dass derartige Wertungen mit umso härteren Bandagen gemacht werden, wie es potentielle Kandidaten gibt – vor allem parteiintern. Und je grösser eine Partei ist, desto grösser ist auch die Wahrscheinlichkeit für potentielle Kandidaten und desto härter wird und muss um Unterstützung oder um einen guten Listenplatz gekämpft werden.

Angeschwärzt von wem?

Damit wären wir bei der «wählerstärksten Partei der Schweiz» angelangt, der SVP, denn sie ist gerade wegen ihrer Grösse und den zahlreichen Mitstreitern besonders «anfällig» für die besagten parteiinternen K(r)ämpfe. Und auch wenn zurzeit niemand darüber spricht – offen schon gar nicht – so toben in ihr zurzeit doch gewisse (Macht-)Kämpfe und dies scheinbar mit nicht immer ganz netten Methoden…

Anzeichen dafür gab es in jüngster Zeit einige. Da wäre einmal die schon beinahe in Vergessenheit geratene «Erbschaftsaffäre» um Bruno Zuppiger. Einst (unter anderem) respektabler Präsident der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats, dem viele Geheimnisträger Red‘ und Antwort stehen mussten, wurde just bei seiner Kandidatur um einen Bundesratssitz eine Sache bekannt, die ihm auch beinahe seinen Nationalratssitz gekostet hätte – zumindest wurden entsprechende Rücktrittsforderungen laut.

Eigenartig bei der Sache ist erstens der Zeitpunkt und zweitens das Organ, in welchem die Sache publik wurde. Wer auch immer der «Tipp-Geber» an die «Weltwoche» war, er oder sie hätte diesen Tipp schon viel früher an die Öffentlichkeit beziehungsweise an eine Redaktion geben können und zwar gerade weil Bruno Zuppiger schon lange kein unbeschriebenes Blatt ist und gerade weil auch er sich im Oktober vergangenen Jahres der Wiederwahl stellen musste.

Da dieser Tipp nicht etwa an eine Redaktion wie die «WoZ», den «Beobachter» oder das «10vor10»-Magazin gelangte, sondern an die SVP-nahe «Weltwoche», liegt die Vermutung nahe, dass es sich mindestens um eine SVP-nahe Person gehandelt hatte, welche den moderaten SVP-Mann mit den grössten Wahlchancen unter den SVP-Kandidaten weghaben wollte, so ganz nach dem Motto: Besser kein weiterer als ein erneut halber SVP-Bundesrat…

Kampf gegen die parteiinterne Bedeutungslosigkeit

Dann war da noch etwas anderes, das gar nicht war. Ja, auch etwas, von dem nicht gesprochen wird, kann gerade deswegen Stirnrunzeln auslösen, weil nicht darüber gesprochen wird. So kann man auf der Website der SVP manchmal täglich, manchmal auch nur alle zwei oder drei Tage ein oder mehrere Communiqués über ein aktuelles Thema lesen.

Darum fehlte gestern beispielsweise auch nicht ein Kommentar zur «gescheiterten» Reorganisation des Bundesamts für Migration, schliesslich wurde diese seinerzeit von der «Verräterin», BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, aufgegleist.

Doch als am 19. Januar 2012 das gleiche Bundesamt für Migration eine Medienmitteilung mit dem Titel «Markanter Anstieg der Asylgesuche» veröffentlichte, blieb ein entsprechender Kommentar seitens SVP aus. Ist man da zu sehr mit internen Parteikämpfen beschäftigt, sodass die angeblichen Retter vor der Überfremdung ausgerechnet bei diesem bevorzugt bewirtschafteten Thema schweigen (oder gibt es andere plausible Gründe)? Das wäre nämlich etwa so, wie wenn die SP sich nicht verlauten liesse, wenn festgestellt würde, dass aufgrund des Spardrucks bei der IV «markant» viele IV-Bezüger inzwischen von der IV ausgeschlossen worden wären.

Weiter wäre da auch noch die Wahl von vier (!) SVP-Vize-Fraktionspräsidenten. Eigentlich geht es dabei um eine Bagatelle, denn die Vize-Fraktionspräsident/-innen werden auf der Website des Parlaments nicht einmal als solche erwähnt, gehören beispielsweise auch nicht dem Büro des Nationalrats an und werden zurzeit selbst auf der SVP-Website noch nach altem Stand ausgewiesen.

Warum dann also die Skandalisierung um die Nicht-Wahl von Nathalie Rickli – und dies wiederum in einem inzwischen SVP-nahen Blatt, der BaZ, bei welcher bis vor kurzem Christoph Blocher noch Verwaltungsratspräsident war? Wollte da jemand auch der parteiinternen Konkurrenz eins auswischen?

Es scheint, als ob derart geschaffenen «Ämtlis» parteiintern eben doch eine Bedeutung haben, wenigstens dem Etikett nach. Unter den Mitgliedern der grössten Fraktion, sie zählt aktuell 62 Personen, soll so offensichtlich versucht werden, einige als etwas Besseres hervorzuheben.

Dass diese Ämtli-Vergabe nur nach innen etwas bringt, zeigt sich auch daran, dass die Öffentlichkeit vom früheren Fraktionsvizepräsident Handruedi Wandfluh nie etwas zu hören oder zu sehen bekam. Und die anderen früheren Fraktionsvizepräsident, Bruno Zuppiger, Yvette Estermann und Jean-François Rime, sind zwar in der Öffentlichkeit etwas besser bekannt, sicher aber nicht als (inzwischen teilweise ehemalige) Fraktionsvizepräsidenten.

Neue Konstellationen

Ausgelöst und angetrieben wird dieser parteiinterne Machtkampf durch verschiedene Faktoren. Einerseits sind die Ergebnisse der letzten Wahlen vielen noch in sehr guter Erinnerung.

Dazu gehört, dass es dem SVP-Präsidenten, Toni Brunner, nicht gelungen ist, in seinem Wohnkanton St. Gallen einen Ständeratssitz zu erobern. Dabei standen die Vorzeichen im bürgerlich dominierten Kanton St. Gallen äusserst gut: Ein relativ unbekannter Kandidat Hüppi aus der schwächelnden CVP, ein linker SP-Gewerkschafter Rechsteiner und – ein schweizweit bekannter SVP-Parteipräsident Brunner.

Dazu gehört auch, dass im Kanton Zürich Nathalie Rickli besser abschnitt als das SVP-Urgestein Christoph Blocher. Dazu gehört aber ebenfalls, dass ein This Jenny aus dem Kanton Glarus, notabene einem Gründungskanton der BDP Schweiz, seinen Sitz problemlos halten konnte, was diesen offensichtlich auch dazu beflügelt, in jüngster Zeit etwas lautere Töne selbst gegen die eigene Partei anzuschlagen.

Andererseits ist es – abgesehen von der Affäre rund um Philippe Hildebrand – ruhig um Christoph Blocher geworden. Er ist weniger präsent, sein Kampfgeist scheint massiv nachgelassen zu haben.

Gelingt die Erneuerung?

Die SVP ist Christoph Blocher, Christoph Blocher ist die SVP, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Doch was ist oder bleibt noch, wenn der Chef-Stratege und Chef-Ideologe, der früher immer zu allem und jedem den Ton angab, nun kaum mehr zu hören ist?

Als graue Eminenz, dem kaum jemand zu widersprechen vermag, wird sein «Schweigen» zu einer Belastung für die Partei. Für jene Partei, deren Wahlstrategie nicht aufging. Für jene Partei, die nach wie vor auf ihren zweiten Bundesratssitz warten muss. Für jene Partei, die sich inhaltlich (nur Ausländer-Themen), personell, aber auch bezüglich ihrem Umgangston umstellen muss – oder müsste.

Man darf gespannt sein, ob und wie es der SVP gelingt, sich selbst zu erneuern. Die bisherigen Rezepte erweisen sich jedenfalls zunehmend als nachteilig. Es war ja auch nur eine Frage der Zeit bis selbst parteiintern festgestellt wird, dass die inhaltliche Fokussierung auf eine Person mit immerzu laut und polemisch vorgetragenen Töne keine schnellen, dauerhaften oder nachhaltigen Erfolge in der Politik versprechen. Dafür braucht es in einer Demokratie eben auch Geduld und Ausdauer.

Eine Antwort auf „Geduld und Ausdauer statt schnelle Erfolge“

  1. Es wird der SVP zunehmend schwieriger fallen, mit diesem agressiven Stil die Basis zu halten. Dazu braucht es jedoch immer gewisse Anstösse, wie eben z.B. die Fälle Widmer-Schlumpf, Zuppiger, Hildebrand usw.
    Das schlimme ist ja nicht, dass sich die SVP als Hardliner-Partei gibt, sondern dass die Spitze der SVP sich von der Basis entfernt, und diese Basis mehrheitlich dumm-dreist hinterherläuft. Die Basis sollte mal eine Spitze suchen, die ihr entspricht.

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