Adieu du liebe «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit»

Frankreichs Präsident Sarkozy will nach den Ereignissen in Toulouse Gesetze verschärfen. Bedenken, dass er dabei Frankreichs Motto der «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» ritzt, scheint er keine zu haben.

Die Region um Toulouse hat nach der Tötung durch einen Attentäter von sieben Mensch, darunter drei Kindern, unbestritten eine Zeit grosser Ungewissheit durchgemacht. Es dürfte noch Jahre dauern, bis die dabei aufgerissenen Wunden verheilt sein werden – wenn überhaupt. Tote kann man bekanntlich nicht wieder zum Leben erwecken.

Hilflos und naiv

Die Reaktion der französischen Politik nach Beendigung dieses «Dramas» war so vorhersehbar wie der Anbruch des nächsten Morgens: Die bestehenden Gesetze müssten verschärft werden, damit sich Derartiges nicht wiederhole. Dazu Nicolas Sarkozy wörtlich:

«Jede Person, die regelmässig im Internet Webseiten besucht, die den Terrorismus predigt, die zu Hass und Gewalt aufruft, wird bestraft.»

Es wäre nicht das erste Mal, dass in Frankreich Gesetze betreffend Internet-Nutzung verschärft würden. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass eine Verschärfung von Gesetzen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird, noch bevor diese breite Öffentlichkeit sich überhaupt ein Bild vom Attentäter und dessen Hintergründe machen konnte. Man diskutiert also Massnahmen, ohne die tatsächlichen Ursachen zu kennen.

Interessant ist dabei der Umstand, dass der Attentäter – selbst nach seinem Tod – noch immer als «mutmasslicher» Attentäter bezeichnet wurde. Demnach hatte man ihm seine Taten offensichtlich noch nicht eindeutig nachweisen können.

Interessant ist aber auch der Umstand, dass der vermeintliche Attentäter den Polizeibehörden zwar bekannt, aber dennoch zu unbekannt war um seine Taten vorauszusehen. Wenn ihn also bereits die Polizei falsch einschätzte, wie kann man da schon Massnahmen fordern? Müsste man nicht zuerst über die Bücher gehen um abschätzen zu können, was falsch gemacht wurde, sodass man erst anschliessend Verbesserungen fordern und anstreben könnte?

Gewiss, in Frankreich ist Wahlkampf, sodass für einen Nicolas Sarkozy diese Taten gerade zur rechten Zeit kamen. Doch auch ohne Wahlkampf hätte Frankreichs Präsident die Gelegenheit nicht ausgelassen, Regeln zu verschärfen.

Sein oben genanntes Vorhaben bezüglich Strafen für Besucher von Hass predigenden Websites lässt aber einerseits eine gewisse Hilflosigkeit erahnen und drückt andererseits eine schier unglaubliche Naivität aus. Die Hilflosigkeit wird darin deutlich, als dass er nicht direkt gegen derartige Websites vorgehen kann, da sie wohl ausserhalb der Zuständigkeit Frankreichs liegen. Die Naivität wiederum äussert sich darin, als das er glaubt, mit einer solchen Massnahme der Radikalisierung junger Menschen Einhalt gebieten zu können.

Ich glaube nicht daran. Ich glaube nicht daran, dass jemand «zufällig» auf eine Hass predigende Website stösst, an dieser dann Gefallen findet und sich dementsprechend radikalisiert.

Besuchsverbote zur Radikalisierungsprävention?

Ich glaube vielmehr, dass der mutmassliche Attentäter bewusst oder unbewusst danach suchte, weil in ihm schon lange das Potential und das Bedürfnis zur Radikalisierung schlummerte. Es musste nur noch geweckt werden. Dabei mag das Internet eine Rolle gespielt haben. Der Auslöser hätte aber ebenso ein Dokumentarfilm über Gotteskrieger oder ein Gespräch mit einem religiösen Fundamentalisten in einem Café um die Ecke sein können.

Andererseits glaube ich aber auch nicht daran, dass jemand von Geburt an das Bedürfnis in sich trägt, sich zu radikalisieren. Aus dem Alltag kennen wir zwei Situationen, die jemanden im Laufe seines Lebens radikal werden lassen können: Entweder durch einen tragischen Schicksalsschlag, wie beispielsweise den Unfalltod einer nahestehenden Person durch einen Raser, oder durch eine stetig anwachsende Frustration im weitesten Sinne über einen gewissen Umstand – bis dann irgendwann der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.

Aus den Medien oder auch von offizieller Seite her war bisher nicht die Rede davon, dass der 23-jährige «Serientäter» kürzlich einen massiven Schicksalsschlag erlebt hatte. Ich tippe daher eher auf die letztgenannte Variante, also dass eine zunehmende Frustration über eine gewisse Situation den Attentäter zu seinen Taten trieben – und sei es nur die unverändert hohe Anzahl «Ungläubiger».

Und was unternimmt dagegen Monsieur le Président?

Natürlich unternimmt Sarkozy dagegen nichts. Er will lieber an das zu kurz greifende Argument glauben, dass der Inhalt einer Website zu diesen Taten geführt haben soll. Dass vielleicht eine gescheiterte Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik zur besagten Frustration und schliesslich zu diesen Tötungen geführt haben könnte, scheint er nicht einmal in Betracht zu ziehen – es käme ja dem Eingeständnis einer Mitschuld gleich und dies noch während des Wahlkampfs…

Doch damit nicht genug: Wo beginnt der Aufruf zu Hass und Gewalt, wann kann vom Predigen von Terrorismus die Rede sein?

Man kann auch die Bezeichnung einer Bundesrätin als «Verräterin» als Aufruf zum Hass gegenüber den eigenen Anhängern (also quasi den «Verratenen») verstehen. Das wiederholte Betonen, dass diese Bundesrätin eine «Verräterin» sei, unterstreicht diesen Hass-Aufruf.

Und unter «Gewalt» versteht sich schon längst nicht mehr nur physische Gewalt. Eine klare Abgrenzung zwischen dem, was an Aufrufen sein darf und dem, was nicht sein darf, wird darum bei einem solchen Verbot kaum bis gar nicht vorgenommen werden können.

Wegschauen statt hingucken

Da wäre aber noch ein ganz anderer Aspekt, der hinter Sarkozys Forderung beängstigend wirkt: Er führt mit einem solchen Verbot eine Art Selbst-Zensur ein. Die vermeintlich freien Bürger Frankreichs dürften dann derartige Websites gar nicht mehr besuchen. Um dieses Verbot wirkungsvoll umsetzen zu können, wäre natürlich eine rigorose Überwachung der vermeintlich freien Bürger Frankreichs notwendig…

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich gefallen mir solche Websites ebenfalls nicht. Doch wegschauen statt hingucken ist die falsche Strategie. Nur wenn man etwas wahrnimmt, kann man auch dagegen sein oder dagegen etwas unternehmen. Wenn man aber etwas gar nicht erst wahrnehmen darf, weil einem sonst eine Strafe droht, kann man sich darüber auch keine Meinung bilden.

Frankreich predigt noch heute das Motto «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit». Mit der Brüderlichkeit hat in diesem Fall etwas nicht funktioniert – und niemand fragt sich, warum nicht. Mit der Gleichheit ist es auch vorbei, wenn Frankreichs Bürger im Netz der Netze weniger dürfen als andere EU-Bürger.

Die Freiheit ist ebenfalls im Eimer, wenn den Bürgern ein Korsett beim Surfen im Internet angelegt wird. Schnürt man es zu eng, folgt automatisch der Drang nach mehr Freiheit. Wird diesem Drang nicht nachgegeben, steigt die Frustration.

Und was bei steigender Frustration passieren kann, das hatten wir da oben doch schon einmal, nicht wahr…?