Die Wogen gehen hoch im «Steuerstreit mit Deutschland». Worum es inhaltlich eigentlich geht, wissen wohl nur die wenigsten. Darin zeigt sich, dass hier eine Stellvertreterdebatte geführt wird und diese vieles ausblendet.
Eigentlich ist der Krieg «Streit» mit Deutschland über das Steuerabkommen ein Thema, dessen man sich ob den unzähligen Schlagzeilen der letzten Tage schnell überdrüssig wird.
Zugleich verwirrt die ganze Empörungsmache in doppeltem Sinne: Einerseits kennt niemand die Details dieses Abkommens, weshalb die ganze Aufregung ja nicht daran liegen kann, und andererseits sucht man in den heute bekannten Grundzügen dieses Abkommens vergeblich nach Punkten, die Grund zur Empörung geben – bei sachlicher Betrachtung.
Geoutet oder anonym spielt keine Rolle
Über die Details soll heute Donnerstag in Bern informiert werden. Bereits bekannt sind hingegen wie erwähnt die Grundzüge dieses Abkommens. In den Medien findet man dazu aber kaum Informationen.
Dem Internet sei dank, kann sich heute aber fast jeder direkt bei den staatlichen Stellen über die Sache informieren. Beginnen wir darum damit, worum es bei den erwähnten Grundzügen dieses Abkommens überhaupt geht.
Vorerst gilt es bezüglich Steuerschuld zu unterscheiden zwischen
- der Vergangenheit und
- der Zukunft
Heute herrscht selbst in der behäbigen Schweiz die Meinung vor, dass man sich in einer zunehmend globalisierten Welt mit all ihren Abhängigkeiten nicht mehr länger zu Gehilfen für Steuerhinterzieher machen kann, indem man sich weiterhin auf die Position stellt, dass das Eintreiben von Steuern Sache jedes einzelnen Nationalstaats sei. Das ist ein guter, wenn auch später Meinungswandel.
Doch wie arbeitet man nach einem derartigen Meinungsumschwung die Vergangenheit auf?
«Die harte Tour» wäre wohl der Rechtsweg. Das heisst, wenn Deutschland einen Verdacht auf Steuerhinterziehung über mehrere Jahre von einem ihrer Staatsbürger hat, dann kann unser nördlicher Nachbar versuchen, über Amtshilfegesuche an entsprechende Informationen zu gelangen, die dann in Deutschland zu einer Anzeige und vermutlich auch zu einer Verurteilung führen können.
Das ist ein müssiger Prozess, weshalb er hier als «die harte Tour» bezeichnet wurde. Darum sieht das Abkommen über eine Abgeltungssteuer so eine Art Generalamnestie für die betroffenen deutschen Staatsbürger vor – unter gewissen Bedingungen.
So soll rückwirkend und einmalig eine Steuer für die Vergangenheit erhoben werden. Die deutschen Staatsangehörigen mit Schweizer Bankkonto haben hierbei zwei beziehungsweise drei Möglichkeiten:
- Entweder sie melden ihre Bank-beziehung selber bei den deutschen Steuerbehörden und ermächtigen die Schweizer Bank, ihre Kontodaten an die Eidg. Steuer-verwaltung weiterzugeben, welche diese wiederum an Deutschland meldet. Dann liegt es an den deutschen Steuerbehörden, die entsprechenden Steuern einzutreiben.
- Oder die Schweizer Bank zieht die Steuern direkt an der Quelle, also vom Konto des deutschen Inhabers ab, überweist den Betrag an die Eidg. Steuerverwaltung, welche diesen wiederum an Deutschland überweist. Eintreiber deutscher Steuern sind in dem Falle die Schweizer Banken und Behörden. Damit werden letztere von den Gehilfen für Steuerhinterziehung zu Gehilfen der deutschen Steuerbehörden…
Wer sich für keinen der beiden Wege entscheidet, dessen Konten werden innert fünf Monaten nach Inkrafttreten des Abkommens aufgelöst.
Schwierige Aufarbeitung beim klassischen Weg
Nun kann man sich bei dieser Form der «Vergangenheitsbewältigung» über zwei Punkte echauffieren:
Einerseits wird die Vergangenheit relativ pauschal abgegolten, insbesondere beim anonymen Weg, und nicht wie für Otto Normalverbraucher individuell. Darum wurde auch der Vorwurf laut, dass sich die betroffenen Deutschen quasi freikaufen könnten.
Das kann man durchaus so sehen. Was wäre denn die Alternative dazu?
Es wäre «die harte Tour», also der Versuch (und mehr als ein Versuch ist es nicht), die gesamte Vergangenheit individuell mittels Rechtshilfegesuchen zu erfassen und zu verfolgen. Das dürfte zu aufwändigen und langwierigen (administrativen und gerichtlichen) Prozessen führen, die vor allem den deutschen Staatsapparat beschäftigen dürften. Auch wenn ein schaler Beigeschmack bleibt, erscheint eine pauschale Abgeltung schliesslich doch als der einfachere Weg.
Natürlich könnte man auch einen automatischen Datenaustausch ins Auge fassen, der die Vergangenheit beispielsweise der letzten 30 Jahre erfasst. Weil aber Banken ihre Systeme erneuern und dabei auch die Datenformate und Speichermedien ändern, wäre das für diese mit einem enormen Aufwand verbunden.
Das Gleiche gilt natürlich auch für die deutschen Steuerbehörden: 30 Steuerjahre (um bei dieser Zeitspanne zu bleiben) von Steuerpflichtigen mit komplexen Vermögens- oder Finanzstrukturen aufzuarbeiten, wäre mit einem enormen Aufwand verbunden. Darum liegt es im Interesse Deutschlands, trotz schalem Beigeschmack dieses Kapitel pauschal abzuhandeln.
Andererseits kann man sich ob der Anonymität ärgern, welche eine der beiden Varianten zur «Vergangenheitsbewältigung» erlaubt. Dem deutschen Fiskus – und auch Otto Normalverbraucher – kann das egal sein. Unter dem Strich bezahlt der deutsche Steuerpflichtige mit diesem Abkommen so oder so seinen Steueranteil.
Und seien wir ehrlich: Ob da nun der Name einer Person oder vielleicht nur ein Pseudonym an Deutschland gelangt oder nicht, ändert wenig daran, dass bei der Steuerbehörde letzten Endes alle nur eine Nummer sind. Der Name tut nichts zur Sache. Was interessiert, sind die Vermögenswerte.
Kommen wir zur Zukunft. Das Prinzip funktioniert hier auf die gleiche Weise wie oben: Entweder meldet ein deutscher Staatsangehöriger freiwillig seine Schweizer Bankbeziehung ans entsprechende deutsche Steueramt oder es erfolgt eine automatische Abgeltung direkt an der Quelle, also auf dem Bankkonto des Betroffenen. Darum heisst es dazu auch: «Ziel ist es, die Steuergerechtigkeit zu wahren und Steuervergehen nicht nachträglich zu belohnen.»
Aufgeschreckte Beute
Nun gibt es den Einwand, dass das ganze Abkommen für die Katz‘ sei, weil dieses ohnehin kaum vor 2013 in Kraft trete. Bis dahin, so die Kritik, seien alle Vermögen deutscher Staatsangehöriger bereits zu Drittstaaten abgeflossen.
Dieser Einwand ist berechtigt, wenn auch nur teilweise, denn: Egal ob nun die angeblichen 190 Milliarden Schweizer Franken zu Drittstaaten abfliessen oder nicht, macht es durchaus Sinn, diese Steuerfragen einmal endgültig zu klären. Schliesslich sind nicht alle Deutschen mit Schweizer Bankkonten Steuerhinterzieher, sondern habe aus ganz anderen Gründen ein Bankkonto in der Schweiz (zum Beispiel weil sie Grenzgänger sind, ein Haus in der Schweiz geerbt haben usw.).
Dass einige dieser Milliarden abfliessen oder bereits abgeflossen sind, darüber sind – mit Verlaub – vor allem die deutschen Politiker schuld. Von dieser Seite her wurde inzwischen schon so viel «Lärm» zu diesem Thema gemacht, dass auch der allerletzte Deutsche mit Schweizer Bankkonto aufgeschreckt wurde.
Bereits zu dem Zeitpunkt, an welchem deutsche Steuerfahnder Schweizer Bankdaten kauften – und das wiederholt – dürfte jedem deutschen Kontoinhaber, der eins und eins zusammenzählen kann, klar geworden sein, dass er sein Geld in der Schweiz nicht mehr sicher verstecken kann – sollte das seine Absicht gewesen sein.
Nun zu beklagen, dass die aufgeschreckte Beute bereits das Weite gesucht hat, bevor die Jagd beginnen konnte, ist eine etwas gar billige (Wahlkampf-) Rhetorik.
Verständnis vom und Verhältnis zum Staat
Zudem stellt sich noch die Frage nach der Anonymität. Wenn deutsche Bankkonto-Inhaber diesen Weg wählen, so drückt sich damit auch deren Verhältnis zu ihrem Staat aus: Wer die Anonymität wählt, traut offensichtlich dem deutschen Staat nicht. Wer wiederum einen automatischen Datenaustausch fordert, traut den eigenen Bürgern nicht.
Da dominiert gegenseitiges Misstrauen. Es ist schon erstaunlich, dass dies ausgerechnet in Deutschland der Fall ist, denn ein grosser Teil Deutschlands weiss nur noch allzu gut, was es bedeutet, wenn der Staat den Bürgern nicht traut und umgekehrt. Oder sind die DDR-Zeiten etwa schon vergessen?
Erstaunlich ist dabei ebenfalls, wie wenig in der öffentlichen Debatte dem Aspekt Anonymität beziehungsweise Privatsphäre Aufmerksamkeit geschenkt wird. In Deutschland feiern die Piraten, deren Steckenpferd auch die Privatsphäre und der Datenschutz sind, zwar grosse Erfolge. Doch das scheint in Sachen Vermögenswerte nicht zu gelten.
Ginge es tatsächlich darum, dass die reichen Deutschen dank Anonymität dem deutschen Fiskus entgingen, könnte man für diese Haltung noch Verständnis aufbringen. Doch das ist im Rahmen der bekannten Grundzüge dieses Abkommens nicht der Fall.
So stellt sich schliesslich die Frage, ob es unterschwellig nicht einfach nur um die Unzufriedenheit über das (Miss-)Verhältnisses zwischen dem deutschen Staat und dessen Bürger geht. Grund zur Unzufriedenheit haben die wenig beneidenswerten Deutschen nämlich gewiss genug…
Dem gläsernen Bürger wieder etwas näher?
Natürlich stellen sich die gleichen Fragen auch aus Schweizer Sicht. Zwar nicken zahlreiche Schweizer Polit-Köpfe, wenn es um die Frage des automatischen Datenaustausches anstelle des oben erwähnten Abkommens geht. Zugleich schieben aber alle noch eilige nach: Ein automatischer Datenaustausch gelte natürlich nur fürs Ausland!
Wollen wir so naiv sein zu glauben, dass das nicht lange Bestand hat und schon kurze Zeit später die Begehrlichkeit geäussert wird, doch das gleich Prinzip auch im Inland anzuwenden? Das ginge dann weiter als die heutige Vorratsdatenspeicherung bei den Internet-Providern während sechs Monaten, welche nur im Verdachtsfall genutzt würde – ganz im Gegensatz zu Bankdaten…
Ein zufälliger Nebenschauplatz
Man könnte der Schweizer Bundesanwaltschaft mangelndes politisches Feingefühl vorwerfen, als sie kürzlich die Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder ausstellte. Die Bundesanwaltschaft ist aber keine politische Behörde, sondern von der Politik und deren Getöse völlig unabhängig, der Gewaltentrennung in einem Rechtsstaat sei dank.
Wer dagegen Sturm läuft, stellt die Gewaltentrennung in der Schweiz in Frage. Genauso verhält es sich, wer erwartet hätte, dass die Justizministerin der Bundesanwaltschaft untersagt hätte, ihre Arbeit zu verrichten.
In Deutschland gilt auch kein Schweizer Recht. Vertreter von Schweizer Strafverfolgungsbehörden (ob im Steuerbereich oder von anderen Bereichen) haben sich darum auf deutschem Boden auch an das dortige Recht zu halten – selbst wenn es um eine Sache geht, welche es in der Schweiz nicht gibt.
Details zum Ergänzungsprotokoll gibt es hier. Bild Dir damit Deine Meinung… 😉
@Titus Sprenger:
Das Ergänzungsprotokoll untersagt der Bundesanwaltschaft in Art. 17 Ziff. 3, ihre Arbeit zu verrichten (mit Hervorhebung durch mich):
@ Martin Steiger
Richtig, darüber hatte heute auch EWS informiert. Allerdings: Kommt es nicht zu einer Ratifizierung durch beide Seiten, dürften diese Verfahren (welche ihren Anfang schon viel früher und unabhängig von diesem Abkkommen nahmen) wohl auch nicht eingestellt werden.
@Titus: Nach Unterzeichnung dürfte aber in jedem Fall das Frustrationsverbot Anwendung finden.
Mir ist(neben der ganzen Tragweite, die wohl nicht abschätzbar ist) noch ein kleiner Dorn aufgefallen :
„•Nach dem Inkrafttreten des Abkommens werden anfallende Erbschaften erfasst. Im Erbschaftsfall müssen die Erben entweder der Erhebung einer 50 % Steuer oder der Offenlegung zustimmen. “
Ich wette, dass Schwarzgeld nie in einen Erbschaftsfall verwickelt wird ….