Plan B

Ausfälle von Computersystemen grosser Unternehmen können heute weitreichende Folgen haben. Statt über die Abhängigkeiten von diesen Unternehmen zu lamentieren, wären kritische Fragen bezüglich Verhinderung von Pannen sinnvoller.

Äusserst dürr, ungenau und unverständlich fiel die Medienmitteilung aus, welche Coop vergangene Woche zum Ausfall ihres Kassensystems aussandte. Sie ist ein netter Versuch, gravierende Probleme herunterzuspielen.

Verkannte Tragweite

Dieser Vorfall zeigt nämlich unter anderem, dass das Kassensystem von Coop nicht irgendein System ist, sondern eine Achillesferse. Obschon alles da war – die zu verkaufenden Güter, das Personal, das nötige Wechselgeld, die entsprechende Infrastruktur usw. – gilt «rien ne va plus», wenn dieses eine System nicht läuft. Wäre irgendein Buchhaltungssystem ausgefallen, dann wäre das zwar unangenehm gewesen, würde aber bei weitem nicht die hauptsächliche Leistungserbringung in Frage stellen.

Coop mochte lediglich in mageren neun Sätze über die Verletzung dieser Achillesferse berichten, wovon jedoch nur deren zwei überhaupt Bezug auf diese Panne nahmen. Das ist äusserst dürr.

Und weil diese Mitteilung so dürr ausfiel, blieben die banalsten Informationen auf der Strecke, wodurch das Ganze auch noch ungenau herauskam, denn: Was heisst schon «Coop Verkaufsstellen»?

Coop ist heute schliesslich eine Gruppe mit einem jährlichen Umsatz von knapp 28 Milliarden Franken (2011), wobei das Retail-Geschäft, also die klassischen Coop-Supermärkte, welche uns beim Begriff «Coop» wohl zuerst einfallen, «nur» noch 11 Milliarden ausmachen. Das sind nicht einmal mehr die Hälfte des gesamten Gruppen-Umsatzes. Der Rest verteilt sich auf die Warenhäuser (Coop City), Bau+Hobby, Interdiscount, Fust, The Body Shop usw. Ob diese auch betroffen waren, bleibt offen.

Unverständlich sind in den neun Sätzen diese zwei Sätze: «Dieser Fehler wurde im Testsystem nicht angezeigt. In der Folge konnte das Problem bis zur Ladenöffnung nicht in allen Verkaufsstellen behoben werden.»

Was heisst hier «in der Folge»? Was hat das Nichtanzeigen dieses Fehlers im Testsystem mit der Behebung des Problems bis zur Ladenöffnung zu tun? Diese zwei Sätze klingen irgendwie so, als ob die, welche hier kommunizierten, gar nicht verstanden haben, was sie kommunizierten. Wenn aber die, welche in diesem Konzern arbeiten, schon nicht verstanden haben, was sie kommunizieren, wie sollen dann Aussenstehende sie verstehen?

Das ist vielleicht mitunter ein Grund, weshalb – so dürr, ungenau und unverständlich diese Zeilen auch sind und so spektakulär die Konsequenzen auch waren – kaum ein Medium kritische Fragen stellte. Stattdessen wurde das Wenige an Informationen wiedergegeben, was die Medienstelle kommunizierte.

Kernfragen bleiben unberücksichtigt

Die Eigenleistung der Medien lag in diesem Fall darin, dass noch über Gipfeli und Osterhasen berichtet wurde, welche die Mitarbeitenden den Kunden zur Beruhigung verteilten. Zudem – und das ist doch etwas informativer als die Gipfeli- und Osterhasen-Verteilaktion – konnte einer Mediensprecherin noch entlockt werden, dass eine «geringfügige Anpassung» beim Kassenbon die Ursache dieses Malheurs war.

Worum es sich dabei genau handelte und ob diese «geringfügige Anpassung» nun in Betrieb ist oder ob wieder die alte Kassenbon-Version gilt, erfährt man als Medienkonsument nicht. Das muss man auch nicht.

Nachhaken wäre für die knapp 2,9 Millionen Mitglieder dieser Genossenschaft trotzdem interessant gewesen, vor allem weil «eine kleine Softwareanpassung» geradezu nach einer Untertreibung und «ein technischer Fehler» nach einer Schuldzuweisung an die nicht weiter belangbare Technik (wie praktisch!) riecht.

Die «10vor10»-Redaktion nahm diesen Vorfall zum Anlass, um während fast sieben Minuten darüber zu berichten. Allerdings: Was heisst hier «darüber»?

«Darüber» heisst, verschiedene technische «Pannen» mit unterschiedlichen Ursachen miteinander zu vermischen und Ängste zu schüren. Von «fragilem System», «Domino-Effekt» und «alles hängt zusammen» ist da etwa die Rede.

Doch am Kern der Sache schiesst auch diese Redaktion vorbei. Denn was wir hören wollen, ist nicht die Unsicherheit, welche die zunehmende Abhängigkeit von Computersystemen mit sich bringt. Das ist nichts Neues, denn das kann sich heute jeder selber ausdenken.

Was wir hören wollen, ist das, was unternommen wird – oder was nicht unternommen wird – damit es gar nicht erst zu derartigen Pannen kommt. Was wir hören wollen, ist das, was unternommen wird, falls es dennoch zu einer solchen Panne kommt.

Persönlicher «Plan B»

So bleibt offen, was die Coop-Kunden noch alles erwartet, wenn die nächste Anpassung nicht bloss «geringfügig» ist. Vor allem aber bleibt offen, wie gut sich andere Unternehmen mit noch höherer Bedeutung als Coop zur Vermeidung von Pannen gerüstet haben.

Ebenso interessant wäre es zu erfahren, wie denn der «Plan B» aussieht, also was unternommen würde, falls es dennoch zu einer Panne mit grösserem Ausmass kommt. Im Falle von Coop kennt man zwar einen «Plan B», dies allerdings nur als Label für Nahrungsmittel

Einen «Plan B» für einen Totalausfall des Kassensystems kennt der orange Riese offensichtlich nicht. Zwar stünden bestimmt einige Taschenrechner zur Verfügung. Dummerweise befinden sich aber auf den schier unzähligen Produkten keine Preisangaben mehr…

Was unternimmt eine SBB, damit ihr Billettsystem nicht ausfällt (auch bei den Automaten gab es schon einmal eine Panne)? Ist die SBB heute überhaupt noch in der Lage, Billette ohne Systemunterstützung auszustellen? Kann eine Bank noch eine Auszahlung ohne Computersystem tätigen? Können Produkte, insbesondere Nahrungsmittel, gegebenenfalls auch noch ohne Computerunterstützung hergestellt werden? Kann ein Stromnetz auch ohne Computerunterstützung noch stabil betrieben werden?

Das wären doch diejenigen Fragen, welchen nachgegangen werden müsste. Das zunehmende «Klumpenrisiko» einiger grossen Unternehmen wie auch unwirsche Reaktionen von Kunden liefern die Legitimation dazu. Beide sind – so dramatisch es klingt – für den inneren Frieden unserer verwöhnten westlichen Gesellschaften wohl eine grössere Bedrohung als all jene «Gefahren», welche man aus dem Verteidigungsdepartement zu hören bekommt.

Doch weil es zu derartigen Fragen keine Antworten gibt, bleibt dem Einzelnen wohl nur, sich seiner Abhängigkeiten bewusst zu werden – um für alle Fälle schliesslich selber einen «Plan B» zu seinen Abhängigkeiten auszuhecken. Das hält auch geistig jung! 😉

7 Antworten auf „Plan B“

  1. Dieser Plan.B ist genau das, was mir heutzutage zu fehlen scheint. Oder ist es gar nicht mehr möglich, einen solchen bereitzustellen?
    Anscheinend sind die Kassensysteme nicht als Insellösung konzipiert oder könnten im Notfall autonom mit der aktuellen Konfiguration Waren erfassen und abrechnen. Was passiert, wenn die Kassensysteme, wie bei den Mobilfunkanbietern auch schon passiert, mal einen halben Tag lang offline bleiben? Wenn die Schoggihasen und Gipfeli ausgegangen sind und nur noch ein hilfloses Achselzucken die Kunden vergrault?

    Vielleicht ist der andere orange Riese ja „ein M besser“?

    Wer diese Woche[ 12.08.2011] in Aargauer Migros-Filialen mit Euro bezahlte, hat ein Schnäppchen gemacht. Wegen eines Softwarefehlers wurde ein zu hoher Euro-Kurs verrechnet.
    Quelle: az.

    Der Fehler sei […] aufgrund eines Hinweises aus einer Filiale entdeckt worden.
    Da konnte also doch noch jemand Kopfrechnen. 😉

    Aber eben, auch da diese vermaledeite Abhängigkeit von der vernetzten Technik, hilflose Erklärungsversuche des Pressesprechers und kein Plan.B in Sicht. Wie fragil unsere ach so zivilisiert Computer unterstützte Infrastruktur inzwischen ist, merken wir immer erst dann, wenn mal etwas nicht so reibungslos funktioniert, wie wir es gewohnt sind.

  2. @ Bobsmile
    Es geht schlussendlich um Kosten: Wie viel ist man bereit in eine Sache zu investieren, die man vielleicht nie braucht. Allerdings: Wie gross ist der Schaden, wenn es keine Alternative gibt, eine solche aber notwendig würde?

    Das lässt sich nur schwer in Zahlen fassen, denn erstens muss – wie im Falle von Coop – nicht gesagt sein, dass deswegen Umsatz wegfällt, sondern nur zu einem späteren Zeitpunkt anfällt, und zweitens ist ein Image-Schaden immer schwer bezifferbar.

    Weit muss man nach einer Alternative auch nicht immer suchen. So erlaubt beispielsweise die Smartphone-App von coop@home, Strichcodes zu scannen und damit an die Preise zu gelangen. Bei mir hat das zwar nicht funktioniert (wie passend!), aber das wäre immerhin ein möglicher Ansatz für einen „Plan B“. So schlecht kann diese App als Ausweichmöglichkeit ja nicht sein, schliesslich lässt man sie auch auf die Kunden los… 😉

    Kritisch wird das Fehlen eines Plan B vor allem dann, wenn gewisse Dienste oder Dienstleistungen als Grundbedürfnis betrachtet werden oder es quasi auch sind. Wenn beispielsweise das Mobilnetz eines Telekom-Anbieters ausfällt, mag für einige halbwegs eine Welt zusammenbrechen, wenn sie darüber keine Status-Meldung mehr absetzen können… Wenn hingegen die Bancomaten kein Geld mehr ausspucken und bargeldloses Zahlen nicht mehr möglich ist, wird es heikel. Da muss dann der persönliche Plan B greifen – sofern man einen solchen hat (Notreserve in der Teebeutel-Büchse plündern 😀 )

  3. nur der vollständigkeit halber:
    nicht die ganze coop gruppe arbeitet mit demselben kassensystem. fust, interdiscount, body shop und import parfümerie haben andere kassensysteme im einsatz.
    diese waren von der störung nicht betroffen.

    …und stellt euch mal folgendes vor: es gibt ohne vorwarnung einen überregionalen, kompletten stromausfall für 2 wochen, wieviele firmen würden das wohl überstehen…? da nützt auch ein plan b, c oder d nicht mehr viel

  4. @ skogar
    Niemand spricht von einem „Plan B“ für 14 Tage. Tatsache ist – siehe denn Fall Coop oben – dass offensichtlich nicht einmal ein Plan B für 1 Stunde vorhanden ist.

  5. @Titus
    Wie könnte denn so ein Plan B aussehen? Coop verschickt Rechnungen? Oder Kartoffeln gegen die Armbanduhr?
    naja, immerhin hätten ja die Kunden bedient werden können, die genug Bares zur Hand hatten. Dazu müsste aber jemand rechnen können.
    Plan B heisst, in der Migros einkaufen!

  6. @ Raffnix
    Das grösste Problem scheint meiner Meinung nach darin zu liegen, dass viele Produkte gar keinen aufgedruckten Preis mehr enthalten. Das erlaubt nicht einmal mehr das Addieren von Beträgen von Hand, geschweige denn das Zahlen mit Bargeld.

    Darum Frage 1: Wie kann man Preise sichtbar machen, welche sich hinter einem Strichcode verbergen?

    Wie bereits oben erwähnt, kann man Strichcodes heute sogar mit einem Smartphone lesen. Ein alternatives Lesegerät wäre also vorhanden. Die coop@home-App sollte auch den Preis retournieren. Zusammenrechnen kann man von Hand (es gibt im Sortiment von Coop glaube ich immer noch Taschenrechner, oder? 😉 ). Bezahlung dann bar.

  7. @Ein alternatives Lesegerät wäre also vorhanden.
    Benötigt aber eine online Verbindung zum zentralen Server, der dann auch den lokalen Geschäftsgang kennen sollte. (z.B. für „ausgepackte“ Aktionen an der Frischfleischtheke, hrhr)

    Coop bietet ja seit längerem in den grösseren Läden das Kassenpersonaleinsparende „Passabene“ Self-Scanning System an. (Migros zog letzten Herbst mit ihrem System „Subito“ nach.)
    Mit einem Strichcodeleser, der sogar automatisch zusammenrechnet, lese ich meine Produkte selber ein und bezahle an der Kasse den Gesamtbetrag. Ich glaube, die Dinger sind weitgehendst autonom, gespickt mit der aktuellen Preisinfo seit der Entnahme aus der Ladestation.
    Es braucht dann natürlich für „jeden“ Kunden so ein Gerät, das auch für ältere Semester einfach zu bedienen ist, und schon haben wir den nächsten Stein im Getriebe eines Plan B.
    😉

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