Mit einem Entscheid einer nationalrätlichen Kommission betreffend Immunität von Christoph Blocher rückte der «Fall Hildebrand» kurzzeitig wieder ins öffentliche Interesse. Die Tatsache, dass darüber überhaupt entschieden werden musste, verdeutlicht, dass einige eine Ausbreitung der tatsächlichen Vorkommnisse verhindern wollen.
Vergangene Woche hatte die so genannte Immunitätskommission des Nationalrats (IK) zu beurteilen, ob die Immunität vor Strafverfolgung von Wieder-Nationalrat Christoph Blocher aufzuheben sei oder nicht. Eine Aufhebung Blochers Immunität ist notwendig, damit die Zürcher Staatsanwaltschaft der Frage nachgehen kann, ob Blocher mehrfach das Bankgeheimnis verletzt habe.
«Politisch motivierter Entscheid»?
Zur Erinnerung: Am 3. Dezember 2011 kontaktierte Blocher die damalige Bundespräsidentin Calmy-Rey mit dem Verdacht, der damalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und seine Frau würden Insidergeschäfte mit Devisen tätigen. Er legte dabei auch schlechte Kopien von Screenshots vor, welche dies belegen sollen. Und am 27. Dezember 2011 soll Blocher den Thurgauer Anwalt Hermann Lei dazu geraten haben, die fraglichen Unterlagen der «Weltwoche» weiterzugeben.
Die IK entschied vergangene Woche, dass die Immunität von Blocher für die Handlungen vom 3. Dezember aufzuheben sei, da dieser damals noch kein vereidigter Nationalrat gewesen sei. Die Vereidigung fand erst am 5. Dezember 2011 statt. Demgegenüber gälte die Immunität jedoch für die Handlungen vom 27. Dezember.
Dieser Entscheid sei politisch motiviert, hörte man in den letzten Tagen verschiedentlich von Vertretern der SVP. Offiziell scheint man das aber nicht klar sagen zu wollen. So sucht man auf der Website der SVP vergeblich nach einer einzigen Zeile zur Frage über Blochers Immunität oder zum fraglichen Strafverfahren.
Das muss man sich einmal vor Augen führen: Da wird dem ehemaligen Justizminister und Vize-Präsidenten der wählerstärksten Partei der Schweiz vorgeworfen, das gemacht zu haben, was auch diese Partei verteufelt, nämlich eine Bankgeheimnisverletzung, und dann äusserst sich die offizielle SVP in keinem Wort öffentlich zu dieser Angelegenheit. Was soll man davon halten?
Bröckelt der Rückhalt Blochers in der Partei, sodass sich diese nicht klar und deutlich hinter ihn stellen mag? Ist es der Partei peinlich, dass ihre Ikone genau jene Tathandlung begangen hatte, welche man selber verteufelt und weshalb man nun die ganze Angelegenheit so weit wie möglich totschweigen will? Oder ist es Einsicht über dieses Fehlverhalten, sodass man offiziell nichts Geschriebenes veröffentlichen will?
Wie auch immer: Sollte es den Ratschlag an Lei tatsächlich gegeben haben, mit den fraglichen Bankunterlagen zur «Weltwoche» zu rennen, dann war dies sicher politisch motiviert gewesen. Wer selber aus politischen Motiven handelt, wirkt wenig glaubhaft, wenn er anderen – im konkreten Fall den Mitgliedern der IK – vorwirft, sie hätten aus politischen Gründen entschieden.
Wäre nach dem Treffen vom 3. Dezember mit Calmy-Rey und weiteren Bundesangestellten nichts herausgekommen, hätte man das Herantreten an die Presse noch verstehen können. Es hätte dann nämlich den Anschein gemacht, dass hier etwas verdeckt gehalten werden soll. Doch das war bekanntlich nicht der Fall. Es gab somit auch keinen Grund, diese Unterlagen an die «Weltwoche» weiterzureichen.
Von wegen «Oberaufsicht»
In mehrfacher Hinsicht stossend beim Entscheid der IK ist, dass genau zu diesem Punkt bezüglich Ratschlag vom 27. Dezember an Lei um Weitergabe Nationalrat Blocher durch seine Immunität geschützt sein soll.
Denn erstens drückt dieser Rat ein gewisses Misstrauen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aus und dies ausgerechnet von einem ehemaligen Justizminister und einem aktuellen Nationalrat, von dem man erwartet, dass er an den Rechtsstaat Schweiz und dessen unabhängige und unkorrumpierbare Behörden glaubt. Stattdessen soll es die «Weltwoche» richten – im anderen Sinne des Wortes «richten».
Zweitens bedeutet die Deckung Blochers Folgendes: Ich bin Nationalrat, ich darf unbescholten den Rat erteilen, eine gesetzlich vorgeschriebene Geheimhaltung zu verletzen indem geheime Unterlagen an die Medien weitergereicht werden.
Dabei stellt sich dann die Frage, wozu Nationalräte wie eben Blocher Gesetze erlassen, wenn genau die gleichen Funktionsträger andere dazu animieren, Gesetze zu brechen? Was soll das?
Die Vertreter der IK vertraten vor den Medien die Meinung (der Kommissionsmehrheit), dass Blocher als Mitglied der Oberaufsichtsbehörde der Nationalbank gehandelt habe. «Unglücklicherweise» findet sich weder im Nationalbankgesetz (NBG) noch in der Nationalbankverordnung (NBV) oder im Organisationsreglement der SNB eine Oberaufsichtspflicht durch den Nationalrat oder die Bundesversammlung.
Im Gegenteil: Die Aufsicht und Kontrolle liegt sowohl gemäss Nationalbankgesetz (Art. 42) als auch gemäss Organisationsreglement (Art. 10) immer beim Bankrat. Die Mitglieder der Bundesversammlung erhalten lediglich einmal jährlich einen Bericht (Art. 7 NBG):
Die Nationalbank legt der Bundesversammlung jährlich in einem Bericht Rechenschaft über die Erfüllung ihrer Aufgaben gemäss Artikel 5 ab. Den zuständigen Kommissionen der Bundesversammlung erläutert sie regelmässig die Wirtschaftslage sowie ihre Geld- und Währungspolitik.
Christoph Blocher sitzt weder in der Finanz- noch in der Geschäftsprüfungskommission. Er kommt somit nicht einmal in den «Genuss» der vorgängig erwähnten Erläuterungen zur Wirtschaftslage und zur Geld- und Währungspolitik.
Langer Rede, kurzer Sinn: Die Begründung der IK von wegen «Blocher übt Oberaufsicht aus» ist so dünn wie eine Eisschicht im Juli auf dem Herrlibergersee. Die Aufrechterhaltung der Immunität Blochers zu diesem Teil-Punkt ist darum kaum nachvollziehbar – ausser sie wäre politisch motiviert (zu seinen Gunsten).
Insofern ist es richtig, dass Blochers Immunität für seine Handlungen anfangs Dezember vergangenen Jahres aufgehoben wurde: Es ist nicht die Aufgabe eines Nationalrats, auf mögliche Missstände bei der SNB hinzuweisen oder diese zu klären.
Wenn ein Missstand besteht, dann liegt dieser wohl eher in der Tatsache, dass der Bankrat keine Rechenschaftspflicht gegenüber der Bundesversammlung kennt und dass der Bankrat offensichtlich von niemandem darin beaufsichtigt wird, wie seriös und intensiv er seine Aufsichts- und Kontrollpflicht wahrnimmt.
Die «aufrechten» Staatsbürger in duckender Stellung
Letzten Endes ist die Frage sowieso zweitrangig, ob Blocher bereits Anspruch auf Immunität hatte oder nicht. Als Staatsbürger eines demokratischen Rechtsstaats sollte uns nämlich ohnehin mehr interessieren, wer welche Rolle bei dieser Schmierenkomödie spielte.
Sie führte schliesslich zu nichts weniger als dem Fall des damaligen SNB-Präsidenten und dies obwohl Philipp Hildebrand oder dessen Frau bis heute keine einzige Verfehlung nachgewiesen werden konnte.
Wenn Blocher, Köppel & Co. auch so aufrechte Staatsbürger sind, wie sie uns immer wieder glauben lassen wollen, dann verstecken sie sich nicht hinter Rechten, die zwar ihre eigene Haut vor Strafverfolgung schützen, die Stabilität und das Ansehen wichtiger staatlicher Organe aber untergraben und damit beschädigen.
Bleibt eine Kooperation weiterhin aus, sind tatsächlich alle möglichen Hebel in Gang zu setzen, wie eben die vollständige Aufhebung der parlamentarischen Immunität oder das Einsetzen einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK).
Denn: Die Wahrheit darf keine Immunität kennen.
P.S. Die Oberaufsicht über das Parlament üben die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aus. Welche Immunität geniessen diese eigentlich?
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