Gegen den Flickenteppich und die Frankenstärke?

So mancher politischer Vorstoss mag gut gemeint sein. Denkt man ihn durch, könnte der «Schuss» aber nach hinten losgehen. Oder aber es geht doch um etwas ganz anderes, als der Vorstoss vordergründig glauben lässt…

Mitte Juni dieses Jahres reichte der Tessiner CVP-Ständerat Filippo Lombardi eine Motion ein, welche verlangt, dass Detailhandelsbetriebe gesamtschweizerisch von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr unter der Woche und bis 19 Uhr am Samstag geöffnet haben dürfen.

Nicht eine Kehrtwende, sondern keine Bundeskompetenz

Vergangene Woche beantwortete der Bundesrat diese Motion und zwar indem er sie zur Annahme empfahl. Nun liegt der Ball beim Parlament, welches definitiv über eine Weiterverfolgung dieses Anliegens entscheiden wird.

Einige waren über den Bundesrat erstaunt, zumal dieser Anfang Mai eine ähnliche Motion des Berner FDP-Nationalrats Christian Wasserfallen vom März dieses Jahres ablehnte. Dementsprechend wurde dem Bundesrat eine «180-Grad-Wende» nachgesagt.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht, denn der Grund für die bundesrätliche «Kehrtwende» liegt beim Motionär Wasserfallen selbst: Er beantragte nämlich, das Arbeitsgesetz zu ändern.

Nur: Das unter Bundesrecht fallende Arbeitsgesetz erlaubt bereits heute schon Öffnungs- beziehungsweise Arbeitszeiten von 6 bis 23 Uhr von Montag bis Samstag und zwar ohne irgendeine zusätzliche Bewilligung. So will es Artikel 10 jenes Gesetzes, welches Wasserfallen ändern wollte. Ebenso wären auch heute schon arbeitsrechtlich vier Sonntagsverkäufe möglich – der Motionär beantragte deren zwei.

Weil Wasserfallen damit offene Türen einrannte, lehnte der Bundesrat logischerweise die fragliche Motion ab. Oder besser gesagt: Wasserfallen rannte offene Bundestüren ein. Denn: Die Regelung der Öffnungszeiten selbst obliegt heute den Kantonen.

Lombardi griff das praktisch gleiche Anliegen einen Monat nach dem bundesrätlichen Nein auf, formulierte dieses aber offener. So verlangte er eine Regelung der Öffnungszeiten auf nationaler Ebene. Und: Der um acht Parlamentarier-Jahre erfahrenere Lombardi schob andere Gründe vor als die von Wasserfallen angegebenen geänderte Lebensgewohnheiten oder den «Flickenteppich unterschiedlichster Öffnungszeiten».

Die Motion des Tessiners beginnt nämlich schon im Titel mit dem Schlagwort «Frankenstärke». Weiter spricht er von «Wachstumspolitik», und er erinnert den Bundesrat an sein «Wachstumspaket» aufgrund der Frankenstärke. Vor allem aber argumentiert er mit dem «schädlichen Einkaufstourismus» ins benachbarte Ausland und dass die Schweiz «im Vergleich zu den Nachbarländern heute jedoch die restriktivsten Öffnungszeiten» habe.

Zudem würden diese Öffnungszeiten – er verwendet die gleiche Ausdrucksweise – einem Flickenteppich gleichen. Und weiter: «Die zahlreichen Ausnahmeregelungen beispielsweise für Bahnhöfe, Flughäfen und Tankstellen verzerren den Wettbewerb massiv.»

Kaum mehr Umsatz, dafür höhere Kosten

Beginnen wir beim Flickenteppich. Dass davon die Rede ist, überrascht in beiden Fällen, denn wer mithalf, diesen Flickenteppich zu nähen, sollte sich darüber nicht beschweren. Oder glauben Sie etwa, dass die zahlreichen Ausnahmeregelungen der politischen Linken zu verdanken seien? Insbesondere die zu den SBB gehörenden Bahnhöfe fallen unter Bundesrecht, womit auch das Bundesparlament für die entsprechende Ausnahme sorgte.

Ein aktuelles Beispiel fürs Weiternähen am Flickenteppich ist jene parlamentarische Initiative, welche in der Sommersession bezüglich Tankstellen-Shops und verfügbarem Sortiment diskutiert wurde. Sie stammt vom Genfer FDP-Mann und Flickenteppich-Näher Christian Lüscher. Mit diesem Vorstoss wird einmal mehr eine bereits bestehende Ausnahme bestätigt.

Die Öffnungszeiten gesamtschweizerisch zu regeln und damit auch zu vereinheitlichen um niemanden zu diskriminieren – auch die Nicht-Tankstellen-Shop-Besitzer nicht – und um somit gleich lange Spiesse zu schaffen, macht durchaus Sinn.

Allerdings bedeutet eine einheitliche, nationale Regelung der Öffnungszeiten nicht automatisch, dass diese auch länger sein müssen.

Schliesslich gilt es nicht zu vergessen – gerade weil niemand davon spricht – dass längere Öffnungszeiten auch einen Haken haben: Die Kosten.

Es liegt auf der Hand, dass unter anderem die Personal- oder die Energiekosten eines Detailhändlers höher ausfällen, je länger er sein Geschäft offen hält. Weil wir Konsumenten aber nicht mehr Geld in der Tasche haben, wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass sich diese höheren Kosten durch entsprechend mehr Umsatz wettmachen liessen. Es fliesst nicht mehr Umsatz, sondern der Umsatz wird lediglich zu anderen Zeiten gemacht.

Um den höheren Kosten zu begegnen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Preise oder man senkt die Kosten.

Die Preise zu erhöhen würde aber genau dem widersprechen, was Lombardi anstrebt. Er will ja dank weniger restriktiveren Öffnungszeiten verhindern, dass wir im benachbarten Ausland einkaufen gehen – so als ob viele nur deswegen im Ausland einkauften, weil die Läden hierzulande bereits geschlossen haben…

Die höheren Kosten auf die Konsumenten zu überwälzen dürfte somit wohl eher zum Gegenteil dessen führen, was Lombardi gemäss seiner Argumentation anpeilt. Es bliebe demnach nur noch die andere Variante: Eine Senkung der Kosten.

Energiekosten lassen sich dank mehr Energieeffizienz reduzieren. Ist dieses Potential aber bereits ausgeschöpft, kann an diesen Kosten kaum mehr gerüttelt werden. Ohnehin dürfte der grösste Kostenblock bei einem Detailhändler jener mit den Personalkosten sein.

Jenes Personal, das wegen längeren Öffnungszeiten noch früher aus dem Haus muss oder noch später nach Hause kommt, eben genau dieses Personal wird in irgendeiner Form den Kopf herhalten müssen um die höheren Personalkosten auszubaden.

Anpassen ja, aber nicht unbedingt verlängern

Wenn über die Öffnungszeiten diskutiert wird, ist häufig von «veränderten Lebensgewohnheiten» die Rede. Tatsächlich passen die heutigen Öffnungszeiten wohl gut in die 1950er Jahre, als noch die Mutter oder die Ehefrau sich allmorgentlich um die Einkäufe kümmerte.

Sie passen aber nicht mehr in eine Zeit, in welcher sehr viele arbeitstätige Personen alleine einen Haushalt führen oder in welcher häufig beide Eheleute tagsüber arbeiten. Diese dürften darum ganz froh sein, wenn sie abends noch einkaufen können.

Vergessen geht bei dieser Diskussion aber immer, dass es auch gewisse Zeiten gibt, in denen ein geöffnetes Ladenlokal kaum mehr Sinn macht. Wenn ja ohnehin viele während des Tages arbeiten, ist es dann noch zeitgemäss, Läden beispielsweise von 13 bis 16 offen zu halten?

Die Diskussion müsste sich somit nicht bloss nur um eine Verlängerung der Öffnungszeiten drehen, sondern auch um lediglich eine zeitliche Verschiebung. Damit fielen auch die vorgängig genannten Kosten nicht an, oder zumindest nicht im gleichen Ausmass.

Dies würde zugleich kleinere Detailhändler nicht benachteiligen. Grosse Detailhändler könnten bei längeren Öffnungszeiten ihr Personal zeitlich wenigstens etwas «ausdünnen». Das funktioniert bei den Kleinen aber weniger gut.

Die Öffnungszeiten neu auf nationaler Ebene zu regeln mit dem Argument, gleich lange Spiesse für alle zu schaffen und keine Wettbewerbsverzehrung mehr zu haben, stimmt darum insbesondere für kleinere Marktteilnehmer nicht.

Lombardis Motion wird deshalb vor allem die Grossen begünstigen. Mit der Frankenstärke hat das überhaupt nichts zu tun. Und mit mehr Wachstum auch nicht, denn mehr Geld ist nicht da und mehr Güter, die verkauft werden könnten, werden durchs Verkaufspersonal auch nicht geschaffen.

Aber Hauptsache, es macht den Anschein, dass etwas gegen die Frankenstärke und den Einkaufstourismus getan wurde…

 

2 Antworten auf „Gegen den Flickenteppich und die Frankenstärke?“

  1. “Yes, we’re open.”
    So der Titel im Kommentar zum gleichen Thema in der heutigen (10.09.2012) NZZ online. Und der erinnert mich schwer an deinen Blogbeitrag, jedenfalls im Aufbau mit Lombardi, Wasserfallen und Einkaufstourismus ist er ähnlich gestaltet. Ob sich da Nadine Jürgensen etwa bei deinem Beitrag bedient hat sich durch deinen Beitrag inspirieren liess?
    😉
    Jedenfalls interessant, wie sich gewisse Inhalte in der Aussage gleichen:
    Augenreiberei:

    Vergessen geht bei dieser Diskussion aber immer, dass es auch gewisse Zeiten gibt, in denen ein geöffnetes Ladenlokal kaum mehr Sinn macht.

    NZZ:

    Eine Liberalisierung der Öffnungszeiten muss übrigens nicht immer eine Ausweitung bedeuten. Ladeninhaber sollen ihre Türe öffnen, wenn es sich wirklich lohnt. Andernfalls ist der Griff zum Schild angezeigt: «Sorry, we’re closed.»

    Aber eben, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, alles andere ist Beilage. Oder so.
    Jedenfalls las ich im NZZ Kommentar nichts Neues, was ich nicht schon durch die Augenreiberei erfahren habe.
    🙂

  2. @ Bobsmile
    Vielen Dank. Ich schick‘ Dir dann mal eine Rechnung in der Höhe der NZZ-Abo-Gebühren… 😉

    Sollte sich Nadine Jürgensen von mir inspiert haben lassen, freut mich das natürlich. Mir bleibt trotzdem die Empfehlung, sich noch etwas in der indirekten Rede zu üben, denn vieles, was sie schrieb, hat sie sich nicht selber ausgedacht oder recherchiert, sondern fast eins-zu-eins aus Lombardis Motion übernommen. Beispiel:

    Lombardi:
    „Der Detailhandel mit seinen 370 000 Mitarbeitenden ist von der massiven Zunahme…“

    NZZ/Jürgensen:
    „Immerhin geben sie 370 000 Personen in der Schweiz eine Arbeit.“

    Hätte ich davon geschrieben, würde das etwa so lauten:
    „Der Detailhandel gäbe gemäss Lombardi… / soll gemäss Lombardi…“ Zudem hätte ich mich allenfalls noch beim Bundesamt für Statistik vergewissert, denn Wasserfallen schrieb in seinem Vorstoss von „rund 400’000″…

    Ebenso spricht auch die NZZ/Jürgensen wie Lombardi von Umsatzeinbussen wegen dem Einkaufstourismus. Bei Lombardi kann ich das noch als eine politisch motivierte Behauptung verstehen, bei der NZZ hätte ich schon erwartet, man wäre einer konkreten Datenquelle nachgegangen (keiner von beiden erwähnt eine Zahl in CHF). Schliesslich lassen es auch beide offen, ob und warum denn andere Öffnungszeiten tatsächlich weniger Einkaufstourismus mit sich bringen.

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