Abstimmen über Elefanten

Erneut reichte die Anzahl Unterschriften für eine Volksabstimmung zu einer Vorlage nicht. Die Ursachen dafür kann man natürlich anderswo suchen. Selbstkritik und eine Besinnung aufs Wesentliche wäre für die Schweizer Demokratie aber sinnvoller – auf allen politischen Stufen und für alle politischen (Miliz-)Gremien. Doch wie erreicht man das?

Autsch! Jetzt hat es auch die JUSO und die AUNS erwischt: Sie brachten die erforderliche Anzahl Unterschriften fürs Referendum gegen die drei Steuerabkommen mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien nicht fristgerecht zusammen. Damit handelten sie sich eine ähnliche Niederlage ein wie erst kürzlich die FDP, welche mit ihrer «Bürokratie-Stopp»-Initiative ebenfalls nur knapp scheiterte.

Kein Problem bei echtem Interesse

Gewiss: Man mag den Gemeinden und Kantonen vorwerfen, sie würden für die Beglaubigung der Unterschriften zu lange brauchen. Den gleichen Vorwurf mag man in Einzelfällen auch gegenüber der Post äussern.

Klarere und einheitlichere Regeln bezüglich Handhabung von Unterschriftenbögen für die beglaubigenden Stellen dürften sicher nicht schaden. Ebenso wäre es eine Diskussion wert, ob es bei Vorlagen, deren Referendumsfrist in die Sommerferien oder in die Weihnachts- und Neujahrszeit fällt, nicht eine Fristverlängerung um zwei oder drei Wochen bräuchte. Schliesslich haben viele Amtsstellen in diesen Zeiträumen ganz geschlossen oder führen nur einen eingeschränkten Betrieb.

Und ja doch: 100 Tage für ein fakultatives Referendum à 50‘000 Unterschriften oder 18 Monate für eine Volksinitiative à 100‘000 Unterschriften lassen sich logistisch nur grob miteinander vergleichen, inhaltlich schon gar nicht.

Dennoch: Sinn und Zweck dieser Fristen und dieser Anzahl Unterschriften ist es, dass nicht aus jeder Fliege ein Elefant gemacht wird. Dabei gilt es nicht zu vergessen, dass diese mengenmässigen und zeitlichen Vorgaben seit dem Bestehen der beiden Volksrechte nie angepasst wurden. Es braucht heute also noch immer gleich viele Unterschriften wie vor hundert Jahren, als die Schweizer Bevölkerung noch kleiner und die Vernetzung noch geringer waren.

Wenn insbesondere bei Volksinitiativen, namentlich jenen, welche von Parteien oder Verbänden unterstützt oder sogar initiiert werden, nicht rechtzeitig genügend Unterschriften zusammenkommen, dann ist die Botschaft dahinter klar: Die fragliche Vorlage interessiert zu wenig.

Bei grossem Interesse innerhalb der Bevölkerung für ein Anliegen ist weder die jeweilige Frist zu kurz noch müsste in haarspalterischer Weise nach noch nicht retournierten Unterschriftenbögen gesucht werden. Sodann entfiele auch die Suche nach Ausreden und allfälligen Schuldigen, wenn das Ergebnis knapp und die Blamage für die Initianten gross ausfällt.

Uns sollten aber bezüglich Volksinitiativen und Referenden ohnehin nicht Fragen über die Beglaubigungsdauer von Unterschriftenbögen oder die Fristen beschäftigen. Viel wichtiger sind andere Fragen zur Verwendung dieser beiden Volksrechte.

Die «Volksinitiative» – ein weiterer Mythos

Beginnen wir mit den Rechte-Inhabern. Die Rede ist hier von den so genannten «Volksrechten». Die Bundesverfassung spricht namentlich von den «Stimmberechtigten», welche eine Abstimmung «verlangen» können.

Im ursprünglichen Sinne ist damit gemeint, dass die Stimmberechtigten eingreifen können, wenn sie mit dem Parlament und/oder dem Bundesrat nicht zufrieden sind. Das kann für ein neues Anliegen über eine Volksinitiative erfolgen oder für ein vom Parlament bereits verabschiedetes Vorhaben über ein Referendum.

Jede Initiative und jedes Referendum wären darum eine Art Ohrfeige an die Adresse des Parlaments. Letzteres scheint dann nämlich die Sorgen und Nöte der Bevölkerung nicht zu kennen, zu ignorieren oder falsch einzuschätzen.

Doch das romantische Bild, in dem der gemeine Pöbel sich aufmacht um die Unzufriedenheit gegenüber der «classe politique» mittels Initiative oder Referendum kund zu tun, ist eher selten.

Wahrscheinlicher ist, dass eine oder mehrere politisch orientierte Organisationen sich mit dem Sammeln von Unterschriften bei den Stimmberechtigten die Legitimation holen, über ein Anliegen abstimmen zu können, das den fraglichen Organisationen am Herzen liegt. Die treibende Kraft sind also nicht die einfachen Stimmberechtigten, die mit einer Situation unzufrieden sind, sondern mehr oder weniger gut aufgestellte Organisationen.

Gehen wir über zu den Kosten. Um die 150‘000 Franken soll eine Volksinitiative mindestens kosten. Diese fallen unter anderem fürs Porto an die beglaubigenden Stellen oder für den Druck der Unterschriftenbögen an. Nicht selten werden auch Unterschriftensammler engagiert, welche pro Unterschrift einen, zwei oder drei Franken erhalten.

Wie demokratisch ist ein Recht, welches man nur noch dann wahrnehmen kann, wenn man zuerst mindestens 150‘000 Franken in die Hand nehmen muss? Welche Stimmberechtigten – um beim ursprünglichen Sinne dieses Volksrechts zu bleiben – haben schon so viel Geld übrig für ein Vorhaben mit ungewissem Ausgang?

Es läuft schliesslich darauf hinaus, dass es ohne mehr oder weniger gut aufgestellte Organisationen gar nicht geht. Deshalb gehören auch die Volksrechte in den meisten Fällen zur Kategorie «Mythos». Das unterschreibende Volk dient nur als Legitimationsvehikel, nicht als veränderungsbedürftiger Initiant.

Indirekte Wahlkampf-Finanzierung

Gehen wir über zum nächsten Punkt, der Anzahl lancierter Initiativen. Die politisch orientierten Organisationen lancieren vielen Initiativen nicht deswegen, weil wir Stimmberechtigten sie uns nicht leisten können und darum froh sind, dass entsprechende Organisationen in die Bresche springen.

Und sie werden auch nicht lanciert, weil uns so häufig der Schuh irgendwo drückt. Oder drückt bei Ihnen der Schuh an 26 Stellen, was jener Anzahl Volksinitiativen entspricht, welche momentan im Unterschriftenstadium sind?

Wie inzwischen weit herum bekannt ist, werden Volksinitiativen nicht selten aus wahlkampfstrategischen Überlegungen lanciert und zwar auch dann, wenn schon im Vornherein die Erfolgschancen an der Urne als gering eingestuft werden können.

Mit anderen Worten: Ein Volksrecht wird vorsätzlich für den Wahlkampf missbraucht. Es kommt aber noch schlimmer, denn wenn die Initiative zustande kommt – und die meisten tun das, ohne später an der Urne grosse Chancen zu haben – kostet deren weitere Behandlung den Steuerzahler viel Geld (hat das schon je einmal jemand beziffert?):

  • Die Bundeskanzlei hat Personal bereitzustellen um die Anzahl Unterschriften prüfen zu können;
  • Bundesrat und Parlament haben sich mit dem fraglichen Anliegen auseinanderzusetzen, wobei sie (beziehungsweise ein Heer von Juristen) vielleicht sogar noch einen Gegenentwurf ausarbeiten;
  • zudem flattern im Rahmen des Abstimmungsbüchleins mehrere Seiten über diese Initiative ins Haus jedes Stimmberechtigten;
  • schliesslich verursacht auch das Entgegennehmen, Auszählen und Verwahren der Stimmzettel in den Gemeinden und Kantonen weitere Kosten;

Und dies alles nur aus wahlkampfstrategischen Gründen…

Wenn beim Spiel mit dem Feuer das Feuer ausgeht

Bei den Referenden sieht die Sache etwas anders aus. Sie lassen sich nicht vorsätzlich lancieren. Wird aber eines lanciert und kommt es dann auch tatsächlich zustande, dann ist dies sicher ein Zeichen für eine schlechte Arbeit seitens Parlament. Dann wurden nämlich die Anliegen einer Interessengruppe zu wenig berücksichtigt, womit die Repräsentativität unseres Parlaments in Frage gestellt ist.

In Frage gestellt wird dabei aber noch viel mehr, nämlich gleich eine ganze Vorlage. Wird das Referendum von Volk und Ständen angenommen, wandert die Arbeit von mehreren Jahren von Bundesrat, Bundesverwaltung und Parlament in den Papierkorb und es bleibt für weitere Jahre beim Status quo, obschon häufig eine Mehrheit der Bevölkerung eine Änderung wünscht – aber eben nicht jene, welche das Parlament schliesslich verabschiedete.

Wenn also die Mehrheit des Parlaments einen Vorstoss verabschiedet, von dem im Vorfeld bereits bekannt ist, dass dagegen das Referendum ergriffen wird – und die Rede ist hier nicht von ein paar Drohgebärden seitens parlamentarischer Minderheit – dann spielt diese Mehrheit mit dem Feuer. Das ist – um es beim Namen zu nennen – unverantwortlich.

Die Ausrede, man könne nicht wissen, ob ein Referendum ergriffen werde, kann man nicht gelten lassen – oder sie zeugt von absoluter Abgehobenheit seitens parlamentarischer Mehrheit. Wer nicht blind und taub durch die Welt wandelt, sich auch die Gegenargumente anhört und schliesslich ehrlich in sich hineinhorcht, der weiss in den meisten Fällen, wie viel drin liegt oder eben nicht.

Besinnung aufs Wesentliche

Das Schweizer Stimmvolk sollte im Rahmen von Initiativen über Grundsätzliches entscheiden können, schliesslich werden diese Vorlagen in die Verfassung geschrieben. Ein Verbot für den Bau von Minaretten gehört ebenso wenig dazu wie eine Beschränkung des Anteils von Zweitwohnungen, ein Ausschaffungszwang für kriminelle Ausländer oder ein kategorisches Rauchverbot in Innenräumen, welche als Arbeitsplatz dienen.

Auch das Festschreiben des «Prinzips der grünen Welle», das Aufheben der Radio- und TV-Gebühren, das Vorschreiben der Unverkäuflichkeit der Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank, die schweizweite Abschaffung der Pauschalbesteuerung oder der Schutz der Grossraubtiere haben darin nichts zu suchen.

Die Anliegen hinter diesen bereits zurückliegenden oder noch hängigen Initiativen mögen ihre Berechtigung haben. Aber müssen darüber tatsächlich die Stimmberechtigten abstimmen?

Eine Besinnung aufs Wesentliche – übrigens auch im Parlament – wäre wünschenswert. Doch wie soll das erreicht werden können? Und wie kann verhindert werden, dass eine Mehrheit des Parlaments weiterhin darauf spekuliert, dass das Referendum für eine Vorlage nicht zustande kommt, obschon ein solches droht?

3 Antworten auf „Abstimmen über Elefanten“

  1. Die Kritik im Bezug auf das Referendum kann ich absolut nicht nachvollziehen. Das Instrument des Referendums führt dazu, dass im Parlament mehrheitsfähige Beschlüsse zustandekommen. Immerhin scheitert nach wie vor die Mehrheit der Referenden, selbst unter den umstrittensten Vorlagen sind also immer noch die meisten mehrheitsfähig. Dass Politiker diese Mehrheitsfähigkeit zuweilen strapazieren – was nicht so leicht ist, weil es dagegen auch im Parlament viel Widerstand gibt -, ist nichts als legitim. Letztlich schneiden sie sich damit bloss ins eigene Fleisch.
    Was das Sammeln von Unterschriften angeht, widersprechen Sie sich selbst: Einerseits schreiben Sie, das Fehlen von Unterschriften sei Ausdruck von Desintresse seitens der Bevölkerung. Ein paar Zeilen weiter unten heisst es, das unterschreibende Volk diene nur als Vehikel für finanzkräftige Organisationen. Wie soll das zusammenpassen?

  2. @ Lukas Leuzinger
    In der Tat ist heute unter der Bundeshaus-Kuppel der Begriff „referendumsfähig“ gängig. Dennoch kommt es hin und wieder vor, dass sich eine Mehrheit des Parlaments zu Vorschlägen hinreissen lässt, die sehr weit oder eben zu weit gehen. Die Asylgesetzrevision ist für mich ein solches Beispiel: Plötzlich fährt die so genannte Mitte-Partei FDP einen so starken Rechtskurs, dass eben Vorlagen verabschiedet werden, die weitherum umstritten sind.

    Bezüglich Unterschriftensammlung haben Sie vermutlich etwas falsch verstanden, denn ich sehe keinen Widerspruch: Das (Des-)Interesse der Bevölkerung an einer Initiative hat nichts damit zu tun, wer Initiant ist und welche Rolle den Stimmberechtigten zukommt.

    Als Initianten treten auf dem Papier zwar einzelne Bürger auf, treibende Kraft dahinter ist aber eine Organisationen, deren Vertreter und Sympathisanten ihren Namen für die Rolle der Initianten hergeben. Das hat nichts mehr mit einem „Volksrecht“ zu tun, man könnte es genauso gut „Parteienrecht“ oder „Interessenverbandsrecht“ nennen. Den Stimmberechtigten kommt da dann nur noch die Rolle der Unterschreibenden zu, nicht aber die Rolle der Initiierenden. Und trotz aufs Unterschreiben reduzierter Rolle kann es vorkommen, dass ein Thema nicht ausreichend interessiert, sodass die nötige Anzahl Unterschriften nicht zusammenkommen.

    Übrigens, von „finanzkräftig“ hatte ich nicht gesprochen, sondern von „mehr oder weniger gut aufgestellt“. Geld gehört da zwar auch dazu, eine gute Vernetzung, eine breite Basis usw. sind aber ebenso so wichtig.

  3. Zum Thema Desinteresse haben wir wohl am nächsten Abstimmungswochenende vom 25.11. ein gutes Anschauungsbeispiel: Durch Wegfallen von vier Abstimmungspunkten (internat. Quellenbesteuerung, 3 Steuerabkommen mit D, GB, A) bleibt noch das Referendum zur (überfälligen) Revision des Tierseuchengesetzes von 1966(!). Das Referendum gegen das Gesetz hatten Impfkritiker aus dem Netzwerk Impfentscheid ergriffen. (Aha, eine gut aufgestellte Organisation, hrhr)
    Die Mehrheit des „Volchs“ interessiert sich für diesen „Restposten“ wohl eher weniger, ja wusste bislang gar nicht, dass es ein solches Tierseuchengesetz gibt, und wird der Urne, bzw. dem Briefkasten fernbleiben. (Ausser es sind gerade wie bei uns Gemeinderatswahlen.)

    Und um nun die schweigende Mehrheit zu mobilisieren, ihre Meinung abzugeben, müsste man wohl als grobschlächtiger Händler verkleidet auf dem Bundesplatz stehen und süsse Hundewelpen in engen Käfigen ausstellen. Das ist nämlich auch ein Punkt, der sich im neuen Tierseuchengesetz ganz gut als Pro-Stimmensammler machen würde: Der Hausierhandel mit Hunden wird verboten, um den unkrollierten Handel mit Hundelwelpen zu bekämpfen. Ferner werden Missverhältnisse bei der Finanzierung neuer Bekämpfungsprogramme ausgeräumt, usw.

    Aber eben, durch Desinteresse wird die schweigende Mehrheitdann schnell mal zur Minderheit. Aber auch das ist Demokratie: der Volkswille, „mir doch egal“ sagen zu dürfen. Ob das nun gut ist, sei dahingestellt, aber wichtig erscheint mir, dass dies bereits vor , oder während des Unterschriftensammelns geschieht.

    Wenn das Referendum aber einmal ergriffen wurde, dann sollte man wenigstens dem Vorschlag seiner Volksvertreter, die sich ausführlich damit auseinandergesetzt haben, zustimmen. Dazu wurden sie nämlich vom „Volch“ gewählt.
    😉

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