Gib dem E-Pass (k)eine Chance!

An diesem Wochenende stimmt das Schweizer Volk darüber ab, ob ab 2010 neu erstellte Pässe zwingend biometrische Daten zu enthalten haben oder nicht. Höchste Zeit also, sich zu einem Entscheid pro/contra «E-Pass» durchzuringen!

Die Schweizer Stimmbürger mussten bisher wohl noch nie über eine derart technisch orientierte Vorlage abstimmen wie in diesem Fall. Schon alleine der Betriff «E-Pass» zeigt, dass sich nun auch unsere Grossmütter und Grossväter zu Belangen betreffend elektronischen Daten auskennen müssen, um mitreden und vor allem mitstimmen zu können.

Wer Fragen hat, findet zahlreiche Informationen unter www.schweizerpass.ch. Da man in der Augenreiberei bereits eine vorgefasste Meinung gegen diesen Pass hat, sollte ein Besuch dieser reinen «Pro-E-Pass-Website» die Chance für einen Meinungsumschwung sein.

Doch je tiefer man gräbt, desto unverständlicher wird die Sache und desto mehr neue Fragen stellen sich…

Der Ämterstreit

Eine dieser Fragen ist zum Beispiel jene bezüglich Fachkompetenz: Da bittet das Bundesamt für Polizei (fedpol) das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) um «die Abklärungen über die Datenauslesung auf Distanz beim biometrischen Pass».

Das BAKOM stellt dabei zwei Sicherheitslücken fest. Statt sich nur auf die Feststellung der Sicherheitsmängel zu beschränken, liefert das BAKOM auch gleich noch die passende Antwort auf die Frage, wie diese Mängel behoben werden könnten.

fedpol übernimmt eine Empfehlung, schlägt eine zweite jedoch in den Wind: «Die Empfehlung des Bakom zum Passbüchlein zielt aus Sicht des zuständigen Projektausschusses ins Leere.» Wer ist wohl kompetenter um auf eine Sicherheitslücke am Besten zu beurteilen: Das BAKOM, der Projektausschuss oder die fedpol?

BAKOM-Eingang
Beim BAKOM an der Bieler Zukunftsstrasse sieht man die zukünftigen E-Pässe als nicht sicher an.

 

Mit dem Pass06 aus dem Jahre 2006 (daher die Passbezeichnung) verfügt die Schweiz bereits über einen Pass, in welchem biometrischen Daten abgespeichert werden können. Hätte man seit Einführung dieses Passes nicht eben auf diese Mängel aufmerksam werden sollen? Weshalb verlangt fedpol erst im März 2008 nach einer Analyse? Hat man da vielleicht etwas eingeführt, ohne wirklich eine (technische) Ahnung von der Sache zu haben? 

Allen ist bekannt, dass die technologische Entwicklung ständig voranschreitet und kaum aufzuhalten ist und es deshalb auch immer wieder neue Technologien geben wird, welche die Datenauslesung und damit den Datenschutz bezüglich E-Pässen in Frage stellt. Gerade für Hacker dürfte es besonders reizvoll sein, E-Pässe zu knacken und dies immer schneller und mit immer einfacheren Mitteln. Daher die Frage: Bleibt’s bei dieser einen Abklärung oder ist eine ständige Beobachtung der technologischen Entwicklung vorgesehen?

Fragwürdige Behauptungen, voreilige Versprechungen

Im Abstimmungsbüchlein findet man unter anderem die folgende Textpassage: «Die im Pass elektronisch gespeicherten Daten sind vor Fälschungen und unberechtigtem Lesen geschützt.»

Es gibt im Internet unzählige Berichte, welche das Gegenteil behaupten. Verlassen wir uns daher auf amtliche Aussagen und damit auf jene seitens BAKOM. Demnach ist, siehe oben, das unberechtigte Lesen eben nicht sicher. Der BAKOM-Bericht wurde am 28. November 2008 abgeliefert. Das Abstimmungsbüchlein hatte den Redaktionsschluss am 11. Februar 2009. Wie kann man behaupten, dass der Pass vor unberechtigtem Lesen geschützt sei, wenn wenige Monate zuvor das BAKOM das Gegenteil feststellt?

Auch in einem eigens für diese Abstimmung erstellten Faktenblatt vom 13. März 2009 wird getitelt: «Höchster Schutz der Daten». Der höchste Schutz der Daten bestünde gemäss BAKOM jedoch darin, zusätzlich eine Schutzhülle zu verwenden…

Im gleichen Faktenblatt wie auch im Internet-Auftritt (nicht aber im Abstimmungsbüchlein) spricht man von «kostengünstigen Ausweisen». Man geht sogar soweit, dass man gleich noch die zukünftigen Preise angibt. Nur: Hierbei handelt es sich lediglich um Vorschläge des Bundesrates und sind somit voreilige Versprechungen. Zudem umgeht dieser damit halbwegs das Parlament, denn letzteres wird bei Annahme der Vorlage in der Vernehmlassung kaum höhere Preise fordern können…

Der ganze «Hype» um E-Pässe wurde ausgelöst durch die Terroranschläge vom 11. September 2001. Man will damit die Dokumenten- resp. die Fälschungssicherheit erhöhen. Unter dem Kontext der angesprochenen Anschläge wird dadurch indirekt suggeriert, dass sich dank E-Pässen die Sicherheit insgesamt erhöhe. Glauben Sie wirklich, dass Terroristen immer nur mit falschen Pässen oder immer nur in Flugzeugen unterwegs sind?

Keine Überwachung?

Laut Interview vom 29. April mit Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf im Walliser Boten gehe es nicht um die Überwachung. Vielmehr gehe es ums «Schützen der Schweizer Rechte» und um die Verhinderung des Missbrauchs seines Passes und somit seiner Identität.

Treibende Kraft hinter dem E-Pass sind die USA. Geht es diesen auch nur ums Schützen der Bürgerrechte und um die Verhinderung des Passmissbrauchs – oder nicht doch eher um die Überwachung?

«Gleichwertiger» (?) Datenschutz

Das Lesen der Fingerabdrücke auf den E-Pässen ist nur mittels einer (technischen) Berechtigung möglich, welche der Bundesrat erteilt, sofern das Datenschutzniveau des jeweiligen Landes «gleichwertig» mit jenem der Schweiz ist. Diese Berechtigung kann er auch «anderen Stellen» wie z. B. Fluggesellschaften erteilen, welche «im öffentlichen Interesse» die Identität von Personen prüfen muss.

Das wirft eine Reihe von Fragen auf:

  • Was heisst «gleichwertig»? Wie beurteilt man, was gleichwertig ist?
  • Wieviel Administration ist notwendig, um das Datenschutzniveau der meisten Länder dieser Welt permanent auf Gleichwertigkeit zu prüfen?
  • Das gleichwertige Datenschutzniveau gilt für Länder. Wie sieht es aus mit den «anderen Stellen»? Wer prüft diese?
  • Nach welchen Kriterien erfolgt die Beurteilung des «öffentlichen Interesses» der «anderen Stellen»?
  • Was geschieht mit den Daten im Pass-Lesegerät? Werden diese anschliessend gleich wieder gelöscht oder in eine zentrale Datenbank übermittelt? Die USA als treibende Kraft gehen bekanntlich ziemlich unzimperlich mit Daten um…
  • Falls die Daten von den Lese-Geräten in den jeweiligen Ländern gelöscht werden – und sei es auch erst nach einigen Jahre – wer kontrolliert das?
  • Falls die Daten nicht gelöscht werden, kann man dann Einsicht in die Datensammlung verlangen?

 

Unsichere zentrale Datenbank

Der Zugriff auf die zentrale Datenbank mit den Fotos und den Fingerabdrücken sei angeblich «streng geregelt». Zugriff haben

  • das fedpol
  • die ausstellenden Behörden (26 Kantone!)
  • die Ausfertigungsstellen
  • das Grenzwachtkorps
  • verschiedene Polizeistellen für Identifikationsabklärungen aus dem In- und Ausland sowie für die Aufnahme von Verlustmeldungen

 

Da eine Passerneuerung wegen einem inzwischen erfolgten Umzug auch in einem anderen Kanton erfolgen kann, ist davon auszugehen, dass alle Zugriffsberechtigten auf alle Daten zugreifen können. Es werden somit zweifellos hunderte von Personen Zugriff auf sämtliche Daten in dieser Datenbank haben.

Bestünde jedoch keine zentrale Datenbank, wäre zugleich auch der Zugriff eingeschränkt. Eine mögliche «Indiskretion» ist somit auf kantonaler und nicht auf nationaler Ebene zu suchen.

Apropos Indiskretionen: An einer Bundesratssitzung sind acht Personen beteiligt. Von dieser obersten politischen Führung kann erwartet werden, dass jede einzelne Persönlichkeit integer ist. Trotzdem gelangten in der Vergangenheit immer wieder Indiskretionen an die Öffentlichkeit und dies obwohl auch hier der Zugang «streng geregelt» ist…

Bitte bleiben Sie unverändert jung!

Die Fingerabdrücke bleiben ein Leben lang unverändert. Das Gesicht hingegen verändert sich durch Alterung, Gewicht oder Bartwuchs. Es ist daher wenig sinnvoll, sich zur Identifikation einer Person auf etwas abzustützen, welches Änderungen unterworfen ist. Das Speichern eines digitalen Fotos macht keinen Sinn. Aktuellere Fotos einer Person findet man vermutlich ohnehin eher auf Facebook als auf einem E-Pass… 🙂

Vorläufig kein Bedarf für die ID

Der Bundesrat bestimme zu einem späteren Zeitpunkt, ob in Zukunft auch die ID mit digialen Daten versehen werde oder nicht.

Das heisst auf gut deutsch: Innerhalb Europas (und damit auch innerhalb des Schengen-Raums) ist die ID ausreichend und deren Fälschungsrisiko nicht in Frage gestellt. Wo ist da die Logik gegenüber dem Zwang beim E-Pass?

Grundsätzliches Passproblem?

Betrachtet man die unzähligen Länder dieser Welt mit ihren unzähligen Reisedokumenten in unterschiedlichster Form und Farbigkeit, geschrieben in unterschiedlichen Sprachen und Zeichensätzen, dann ist es verständlich, dass die unzähligen Passkontrolleure an den unzähligen Passkontrollstellen Mühe bekunden, die Echtheit der Reisedokumente und die Zugehörigkeit dieser Dokumente zur fraglichen Person zu prüfen.

Dank digital vorhandenen Daten, sofern am Zielort lesbar, löst man hingegen jede Menge Probleme. Es gäbe allerdings auch andere, analoge Lösungen, um die Sicherheit der Pässe zu erhöhen. Die Pässe aller Staaten könnten zum Beispiel uniformer daher kommen und die Sicherheitsmerkmale müssten bei allen einer Minimalanforderung genügen. Denn vergessen wir nicht: Der Inhaber eines Passes ist immer noch ein analog funktionierender Mensch und kein digital funktionierendes Wesen…

Und selbst wenn es ohne digitalen Daten nicht geht, dann sollte sich die Staatengemeinschaft wenigsten im Klaren sein, wie man mit den Daten auf den E-Pässen umgehen kann und darf. Und nicht zuletzt sollte es sich um eine «ausgereifte» technische Lösung handeln, wovon bei der Schweizer Variante kaum die Rede sein kann…

Auch wenn viele ihre Stimme bereits schon brieflich abgegeben haben und auch wenn diese Vorlage angenommen würde, bleiben wohl einige der oben gestellten Fragen noch zu lösen.

Oder hat auf diese Fragen jemand eine Antwort, welche noch zu einem Meinungsumschwung führen könnte? Der Stimmzettel in der Augenreiberei ist noch leer…

Ein unnötiger Suizid

Wenn etwas auf eine Unverjährbarkeit abzielt, könnte man meinen, diese gälte auch rückwirkend. Dass dem nicht so ist, hat nun zu einem Selbstmord geführt – unnötig, wie man in der Augenreiberei meint.
 
Es ist eine traurige Geschichte, welche die «24 Heures» als Schwerpunkt-Thema in ihrer Ausgabe vom 11. Mai 2009 brachte.

Die Vorgeschichte

Sie nahm ihren Anfang vor 27 Jahren. «Valérie», wie sie von der Redaktion besagter Zeitung anonymisiert genannt wird, wurde als 13-jähriges Mädchen allabendlich von ihrem Vater sexuell missbraucht.

Erst 2007 findet sie den Mut, ihren Peiniger vor Gericht zu ziehen. Doch zu diesem Zeitpunkt galt für diese Straftat noch eine Verjährungsfrist von 15 Jahren. Deshalb hatte ihre Klage vor Gericht keine Chance. Affaire classée.

Neue Hoffnung keimte in ihr auf, als am 30. November vergangenen Jahres die Volksinitiative zur «Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» vom Schweizer Volk knapp angenommen wurde.

Enttäuschte Hoffnung

Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. An der Medienkonferenz am Abend des fraglichen Abstimmungssonntags lautete die erste von einer Journalistin gestellten Frage, ab wann denn die Initiative gelten würde. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf liess verlauten «ab heute». Sie präzisierte weiter, dass für bereits begangene Straftaten noch das alte Recht gelte. Dies sei im Strafrecht so üblich…

Um sicher zu gehen, ob Valérie die Antwort der Justizministerin richtig verstanden hatte, fragte sie per E-Mail beim Eidgenössischen Justizdepartement (EJPD) nochmals nach. Das EJPD offenbarte ihr in seiner Antwort, dass der fragliche Bundesverfassungsartikel 123 nicht rückwirkend angewandt werden könne.

Eine unerträgliche Antwort

Diese «endgültige» Antwort konnte sie nicht ertragen. Mittels eines Medikamenten-Cocktails nahm sie sich in ihrem Auto am 4. März dieses Jahres im Alter von 40 Jahren das Leben. Sie hinterlässt einen Ehemann mit zwei Kindern im Alter von 14 und 11 Jahren…

Nebst einem Abschiedsbrief an ihren Ehemann findet die Polizei auch noch die folgenden Wort auf einen Autositz gekritzelt: «Sag meinem Vater, dass er gewonnen hat»…

Interpretationsstreit

Im fraglichen Blatt hat nun der Streit über die Interpretation bezüglich rückwirkender Anwendung dieser Initiative begonnen. Einerseits wird der Initiantin, der Vereinigung «Marché blanche», vorgeworfen, sie hätte es unterlassen, den ohnehin schon relativ ungenau abgefassten Verfassungsartikel bezüglich rückwirkender Anwendung zu präzisieren.

Auf der anderen Seite meint das EJPD, man hätte schon vor der Abstimmung in den Medien davon gesprochen, dass dieser Artikel keine solche Anwendung fände, falls er angenommen würde. Dies wird auch in der Ausgabe vom 12. Mai 2009 der 24 Heures nochmals betont. In den Abstimmungsunterlagen findet sich dazu auf jeden Fall nichts.

So überrascht es auch nicht, dass kaum ein Stimmender davon ausgegangen ist, dass er nicht rückwirkend gälte, sollte die Initiative denn angenommen werden. Grund für dieses (Miss-)Verständnis dürfte wohl der Begriff «Unverjährbarkeit» sein. Dieser suggeriert bei vielen unbewusst eine rückwirkende Anwendung.

Anwendungsregeln

Oscar Freysinger stellt nun eine parlamentarische Initiative in Aussicht und hofft auf Erfolg, um diesen Missstand bezüglich der (noch) nicht rückwirkenden Anwendbarkeit zu ändern.

Unverjährbar nach heutigem Recht sind nebst dem fraglichen, seit dem 30. November 2008 gültigen Verfassungsartikel nur noch Völkermord sowie Terrorismus. Es mag richtig sein, dass für viele Straftaten eine Verjährungsfrist gilt. Körperlich oder psychisch erlittenes Leid sollte hingegen nie einer Verjährung unterworfen sein, denn auch diese können wie die beiden genannten Straftaten in gewisser Weise als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» verstanden werden.

Schliesslich gilt es nicht ausser acht zu lassen: Die Opfer derartiger Straftaten bleiben ein Leben lang Opfer. Es wäre daher wünschenswert, das Strafrecht in diesem Sinne einmal generell zu hinterfragen. Das sind wir den Opfern schuldig.