Sommerkrimi: «Nebel über Seenried» (12)

Die Übergabe

Freitag, 29. Mai 2009

Hürlimann steht bereits um fünf vor neun vor einem der Eingänge zum Stadtpark. Die Nacht ist bereits angebrochen, darum liefert nur die Wegbeleuchtung etwas Licht.

Er hat keine Ahnung, wo er genau sein soll noch wer ihn erwartet. Daher spaziert er relativ ziellos umher, die Hände in seine Jacke vergraben, eine davon hält den rot-weissen Gegenstand fest umklammert.

Trotz Dunkelheit hat es noch einige Menschen in Park. Dieser wird auch erst in einer Stunde geschlossen. Darum fällt es ihm auch schwer, irgendeine Person als mögliche Übergabeperson auszumachen. Es könnte jede sein, denn sie verhalten sich alle gleich unverdächtig.

Ein Mann mit einem Hund an der Leine kommt ihm entgegen. «Der wird es wohl nicht sein», denkt sich Hürlimann. Doch kaum ist er an ihm vorbeigelaufen, hört er den Mann fragen: «Haben Sie das Objekt?»

Hürlimann dreht sich überrascht um: «Ja», antwortet er sofort und schiebt noch nach, «haben Sie das Geld?»

«Natürlich», hört er die dunkel Gestalt sagen, welche ihm auch gleich einen Briefumschlag entgegen hält.

Doch Hürlimann greift nicht zu. Noch hat er das gesuchte Objekt, noch sitzt er am längeren Hebel. Und noch hat er jede Menge Fragen.

«Gehen wir ein Stück», gibt er darum auf den ausgestreckten und noch nicht angenommenen Briefumschlag zur Antwort. Das Gesicht des Unbekannten – der Stimme nach zu schliessen keine Frau – sieht er nicht. Er hat die Kapuze seiner Jogging-Jacke hochgezogen und trägt trotz Dunkelheit eine Sonnenbrille.

«Wer sind Sie?», stellt Hürlimann die erste Frage.

Sein Gegenüber zögert, wohl auch weil er über die forsche Art des Ermittlers überrascht ist. Eigentlich sollte die Übergabe schnell und anonym ablaufen. Doch schliesslich antwortet er doch: «Ein Journalist».

Diese Antwort überrascht ihn nicht, deuteten doch bereits seine Erkundigungen in diese Richtung. «Und weshalb sind Sie hinter diesem Objekt her?»

Erneut zögert der Unbekannte, doch er merkt, dass er um einige Antworten wohl nicht herum kommt: «Es enthält Informationen, welche zu dem Sommerloch-Thema führen können.»

«Und um was für Informationen geht es?»

Als ob selbst der Hund nicht wollte, dass der Unbekannte etwas sagt, zieht er nun etwas stärker an der Leine. Der Grund dafür liegt allerdings bei einem anderen, etwas weiter entfernten Hund. Der unbekannte Hundehalter neben ihm zieht seinen Hund an der Leine zurück  und rückt dann doch mit einer Antwort heraus: «Um die Finanzströme der politischen Parteien in der Schweiz.»

Hürlimann bleibt kurz stehen, der Unbekannte ebenfalls. Das erklärt wohl, weshalb so viel Brisanz hinter der Sache steckt.

«Von wem stammen denn diese Informationen?»

Der Unbekannte antwortet mit einer Gegenfrage: «Wer ist wohl in der Lage, im Geheimen die Finanzströme der politischen Parteien auszuleuchten?»

Hürlimann bleibt wiederum stehen und überlegt. «Ein Geheimdienst?»

Die beiden gehen weiter. «Sozusagen. Nur nennt er sich Nachrichtendienst des Bundes», erklärt ihm der Unbekannte.

Wiederum wird Hürlimann einiges klarer. Wer sonst hätte eine solche Vertuschungsaktion wie im Intercity auslösen oder Benjamin Luginbühl ausfindig machen können?

«Und woher wissen Sie von der Existenz dieser Informationen?»

Nun bleibt der Unbekannte stehen. «Können Sie schweigen?»

«Das bin ich mir von Berufes wegen gewohnt», antwortet Hürlimann promt, und setzt den Fussmarsch wieder fort.

«Nun, der Sicherheitspolitische Ausschuss des Bundesrats hat – ohne Wissen des Gesamtkollegiums – vor einem Jahr den Auftrag für die Beschaffung dieser Informationen erteilt. Die Ausschuss-Mitglieder, die Bundesräte Bodmer-Schlup, Holzer und Palmy-Gey, scheinen für ihre Parteien nichts zu befürchten oder aber ihnen wurde eine Geschichte aufgetischt, gegen welche sie nichts einwenden konnten.

Offiziell wissen von diesem Auftrag auf jeden Fall nur sehr wenige. Doch was alles parteiintern weitergereicht wird, weiss niemand so genau. Indiskretionen aus dem Bundesrat sind ja keine Seltenheit.»

Der Unbekannt hebt seinen rechten Arm ins Licht der schummrigen Wegbeleuchtung und blickt aufs Datum seiner Uhr. «In diesen Tagen dürfte der Ausschuss das Resultat dieser Untersuchung erhalten. Er wird es aber wohl unter Verschluss halten, denn worüber viele schon lange munkeln und mit diesem Resultat nun eindeutig hervorgeht, dürfte vielen sicher nicht gefallen – vor allem den anderen Bundesratsmitgliedern nicht.»

Nun bleibt der Unbekannt wieder stehen, diesmal allerdings, weil sein Hund ihn anhielt um bei einem Beleuchtungspfosten kurz das Bein zu heben.

«Weil sich einige wohl bewusst sind, dass der Abschlussbericht unter Verschluss bleiben wird, haben wir bereits vor Monaten insgesamt zwei anonyme Hinweise auf diese Untersuchung erhalten. Wir, die vierte Staatsgewalt, sollten es wohl wieder richten…»

«Zwei Hinweise bei nur drei Mitgliedern im Sicherheitsausschuss?», wundert sich Hürlimann leise.

«Wie schon gesagt: Was parteiintern weitergereicht wird, weiss niemand so genau. Auch konnten wir nicht herausfinden, von wem oder aus wessen politischen Lager die Hinweise stammten», zerstreut der Unbekannte die zu schnelle Schlussfolgerung des privaten Ermittlers.

«Woher wussten Sie denn, dass der Vorfall im Intercity fingiert war und mit den fraglichen Informationen zusammenhing, sodass Sie – oder eine Ihrer Kolleginnen – mir diesen Hinweis gaben?», fragt ihn Hürlimann weiter aus.

«Das wusste wir lange nicht. Wegen den relativ statischen Bildern, welche wir von diesem Vorfall erhielten, sprach ich einmal eher beiläufig einige Westschweizer Kollegen darauf an. Diese meinten nur, dass es ein offenes Geheimnis sei, dass es da nicht – oder nicht nur um irgendeinen schlampig durchgeführten Virentransport ginge. Trotzdem ist kein Kollege der Sache weiter nachgegangen.

Wir erhielten kurz darauf aber auch noch den anonymen Hinweis, dass ‚heisse’ Informationen aus dem NDB verloren gegangen wären. Warum das so war und wer dahinter steckte, interessierte uns letztlich nicht.»

Hürlimann denkt unmittelbar an Luginbühl und Habermacher. Was aber Habermacher für eine Rolle spielt, ist ihm nach wie vor nicht klar und sein unbekannter Gesprächspartner scheint über ihn auch nichts zu wissen.

Der Unbekannte fährt fort: «Wir zählten einfach nur eins und eins zusammen und kamen zum Schluss, dass es sich bei diesen Informationen höchstwahrscheinlich um die Ergebnisse – oder Teile davon – aus der fraglichen Untersuchung handeln müsste. Und falls nicht, dann sind es bestimmt andere interessante Informationen – das werden wir erst sehen…»

Nun hat Hürlimann genug gehört. Ihm brennt nur noch eine Frage auf der Zunge: «Weshalb haben Sie dann schliesslich mich engagiert?»

«Das hatte zwei Gründe. Erstens wollten wir nicht riskieren, dass bei den Nachfragen irgendwelche Spuren zu uns führen. Wenn man sich als Journalist zu erkennen gibt und Leute befragt, erweckt man dadurch viel – in diesem Fall wohl zu viel Aufmerksamkeit.

Und zweitens wussten wir, dass Sie technisch nicht besonders versiert sind. Selbst wenn Ihnen diese Informationen in die Hände gefallen wären – was sie nun ja auch sind – so hätten Sie damit nicht viel anfangen können.»

Nur die Dunkelheit mag verbergen, wie Hürlimann sofort errötet. Doch recht hat der Unbekannte: Er hat keine Ahnung, was er mit diesem Gegenstand hätte tun sollen…

«Nun», beginnt Hürlimann, «dann schreiten wir zur Übergabe» und entnimmt aus seiner Tasche den fraglichen USB-Stick. Derweil entnimmt der Unbekannt erneut den Umschlag aus seiner Jackentasche und übergibt ihn Hürlimann.

«Wann erhalte ich den Rest?», will er noch wissen.

«In den nächsten Tagen, sobald wir alles geprüft haben. Sie werden von uns an einem der kommenden Sonntage lesen…». Mit diesen Worten verschwindet der Unbekannte in der Dunkelheit und Hürlimann macht sich wieder auf den Weg zurück in sein Büro.

Sonntag, 5. Juli 2009

Hürlimann und Luginbühl sind unterwegs nach Fribourg. Sie gehen beide den älteren Herrn besuchen, dessen Namen sie immer noch nicht kennen.

Auf dem Weg dahin zeigt Hürlimann seinem Wegbegleiter die heutige Top-Story des «Sonntag-Kuriers». «Darum ging es, Benjamin» und erklärt ihm auf der Reise auch noch weitere Details.

Mühlemann bleibt hingegen der sonntägliche Butterzopf im Halse stecken, als er am Morgentisch die Schlagzeilen des «Sonntag-Kuriers» liest. Ob der USB-Steckplatz vielleicht nur sporadisch nicht richtig funktioniert?

Habermacher liest derweil im Seenrieder «Bären» von den Enthüllungen des «Sonntag-Kuriers» und sie überraschen ihn nicht. Trotz verpatzter Übergabe hatte er schliesslich die gleichen Informationen doch noch erhalten. Und nun weiss er auch, wie es um die Finanzen der anderen Ortsparteien steht.

Bundesbern steht kurz vor einer Staatskrise. Das Bundesratskollegium wurde über den Auftrag an den NDB nicht informiert, die Ergebnisse daraus wurden verschwiegen und die politischen Parteien reagieren völlig unterschiedlich auf die Enthüllungen, von irritiert über zurückweisend, ablehnend und schweigend bis hin zu triumphierend ist alles dabei. Sie alle liefern noch viel Stoff in den kommenden Wochen.

Doch immerhin: Der Nebel über Seenried hat sich etwas gelichtet. Und Seenried ist überall.

Ende.

Über diesen Beitrag

Währenddem in der Augenreiberei normalerweise Tatsachen dominieren, ist «Nebel über Seenried» für einmal eine erfundene Geschichte – ohne Anspruch auf einen literarischen Höhenflug, dafür aber mit einem kräftigen Augenzwinkern.

Die Geschichte stützt sich auf die hier via Kommentarfunktion mitgeteilten Ideen sowie auf gewisse wahre Begebenheiten ab. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind teilweise fliessend.

Alle Personen sowie die Ortschaft «Seenried» sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder mit «Seenried» können nicht ausgeschlossen werden… 😉

Einen Überblick über die verschiedenen Personen und Organisationen liefert diese Seite.

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