Eine «strahlende» Vergangenheit

Atomenergie wird heute in der Schweiz friedlich genutzt. Ganz so friedlich scheinen die Absichten allerdings nicht immer gewesen zu sein – und ganz so friedvoll verliefen auch nicht immer alle schweizerischen Versuche…

«Kernenergie wird in der Schweiz ausschliesslich zu friedlichen Zwecken genutzt», kann man heute auf der Website des Bundesamts für Energie lesen. So klar diese Worte heute auch klingen: Ganz so klar waren die Absichten der Schweizer in Sachen Nutzung der Atomenergie nicht immer.

Goldgräber-Stimmung ohne Koordination

So berief der Bundesrat 1945, im Jahr als der Zweite Weltkrieg endete, in dem aber auch Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima fielen, die so genannte «Studienkommission für Atomenergie» (SKA) ins Leben. Ihr Zweck bestand vor allem darin, Studien für die Nutzbarmachung der Atomenergie in Auftrag zu geben. Präsident dieser Gruppe wurde der Kernphysiker Paul Scherrer.

Trotz dieser friedlich klingenden Tatsachen gibt es heute auch Stimmen, welche besagen, dass im Geheimen einige auch von einer Schweizer Atombombe träumten. Zwar gibt es auch Zweifler an dieser Theorie. Sicher ist hingegen, dass die fragliche Kommission auf Initiative des damaligen Eidgenössischen Militärdepartements EMD (heute VBS) entstand. Das lässt der Gedanke, dass einige von einer eigenen Atombombe träumten, zumindest plausibel erscheinen.

Als gesichert gilt ebenfalls, dass umfangreiche Forschungsgelder durch diese Kommission gesprochen wurden: 18 Millionen für vier Jahre. Zum Vergleich: Das Jahresbudget der ETH Zürich belief sich 1946 auf vier Millionen. Geflossen sind diese SKA-Gelder an Universitäten und vor allem an die ETH in Zürich, an welcher – oh Wunder – Paul Scherrer das physikalische Institut führte. Ein Schelm, wer da an Vetternwirtschaft denkt…

Trotzdem: So unüblich war das Streben nach eigenen Vorteilen bei der Erforschung, Förderung und Nutzung der Atomtechnologie in der damaligen Zeit nicht. Es war ein Ringen zwischen Forschungsanstalten, Maschinenbau- und Energieunternehmen einerseits und zwischen Deutsch- und Westschweizer Unternehmen, welche in diesen Bereichen tätig waren, andererseits. Jeder wollte bei der (zivilen) Nutzung und damit beim Bau eines Schweizer Atomreaktors den Ton angeben, aber keiner war im Stande, dies allein zu tun.

Letzten Endes griff der Bundesrat 1959 durch als es darum ging, über Subventionsanträge für insgesamt drei Versuchskraftwerke «Made in Switzerland» zu entscheiden, nämlich eines im aargauischen Villigen, eines im waadtländischen Lucens und eines unter der ETH in Zürich (!).

Den Zuspruch erhielt schliesslich keine der drei Parteien. Stattdessen entschied der Bundesrat, dass nur ein einziges Projekt mit bis zu 50 Millionen Schweizer Franken unterstützt werden solle und dies auch nur dann, wenn sich die Industrie ebenfalls finanziell mit mindestens 50 Prozent beteiligen würde.

So war die Industrie gezwungen, sich unter dem Namen «Nationale Gesellschaft zur Förderung der Industriellen Atomtechnologie» (NGA) zusammen zu tun um die Entwicklungstätigkeit für ein einziges Projekt zu koordinieren.

Umgesetzt wurde schliesslich ein Projekt bestehend aus Komponenten aller drei bisheriger Projekte: Der Standort Lucens von den Westschweizern, die Pläne für den Reaktor von der ETH und das Betriebskonzept von den Deutschschweizern.

Der fast vergessene Schweizer «Vorfall»

So romantisch dieses (halbwegs staatlich aufgezwungene) Zusammenwirken auf den ersten Moment klingt: Die Umsetzung erfolgte mehr schlecht als recht. Die Bauarbeiten in einer unterirdischen Kaverne in Lucens begannen 1961 und hätten vier Jahre später abgeschlossen sein sollen.

Der Versuchsreaktor wurde nach unzähligen Verzögerungen aber erst 1968 dem Betrieb übergeben. Zu diesem Zeitpunkt galt die Technologie der Brennelemente bereits als veraltet. Zudem benötigte in der Schweiz niemand mehr ein Versuchsatomkraftwerk.

Dies zeigte sich bereits Jahre zuvor deutlich, denn die damaligen Nordostschweizerischen Kraftwerke NOK (heute Axpo) hatten fürs AKW Beznau bereits im Februar 1964 einen Reaktor «Made in USA» bestellt. Die Firma Sulzer, welche ursprünglich Hoffnungen für ein neues Geschäftsgebiet hegte und die wichtigste Akteurin in der NGA war, winkte 1967 ebenfalls ab und stieg aus.

Trotzdem wurde am Versuchsatomkraftwerk Lucens weitergebaut. Die NGA war wegen ihrer komplizierten Organisationsstruktur nicht in der Lage, den Abbruch der Entwicklung zu beschliessen. Auch der Bund als grösster Geldgeber – die Rede ist von 50 Millionen Schweizer Franken – versäumte es, das Projekt zu stoppen.

So wurde der Versuchsreaktor anfangs 1968 schliesslich erstmals in Betrieb genommen. Ab Herbst 1968 und bis Januar 1969 erfolgten Revisionsarbeiten. Bei der erneuten Inbetriebnahme am 21. Januar 1969 kam es dann zur Katastrophe:

Ein Brennelement erhitzte sich so stark, dass es schmolz und schliesslich auch das Druckrohr zum Bersten brachte. Durch die Explosion wurden schweres Wasser und geschmolzenes radioaktives Material durch die Kaverne geschleudert.

Glücklicherweise befand sich niemand direkt in der Kaverne. Messungen nach dem Unglück in der näheren Umgebung ergaben jedoch, dass die Kaverne nicht so dicht war, wie dies angenommen wurde. Nichtsdestotrotz dürfte der unterirdische Standort dazu beigetragen haben, dass es nicht zu einer grösseren Verunreinigung der Umgebung kam.

Dieser Vorfall bedeutete das definitive Ende des Traums eines eigenen Schweizer Reaktortyps. Erst im Jahr 2003 wurden die 250 Fässer mit radioaktiven Abfällen aus der Zerlegung des Reaktors ins Zwischenlanger nach Würenlingen transportiert.

Schweizer Strom aus Schweizer AKWs?

Und was lernen wir aus dieser Geschichte?

Erstens, damals wie heute taten sich die Unternehmen der Energiewirtschaft schwer, sich zusammenzuraufen. So haben sich die Betreiber der heutigen AKWs auch erst vor kurzem darauf einigen können, wo sie welche AKWs ersetzen wollen. Daraus, dass jeder versuchte die eigenen Pfründe ins Trockene zu bringen, lässt sich auch schliessen, dass das Geschäftsmodell «Atomenergie» wohl sehr lukrativ sein muss.

Zweitens ist das Argument der AKW-Befürworter von wegen «Schweizer Strom» nicht haltbar. Weder das notwendig Uran noch die Technologie für den Bau eines AKWs der dritten Generation stammen aus der Schweiz. Die Versuche der Schweizer für einen eigenen Reaktortypen sind – siehe oben – kläglich gescheitert.

Und drittens war die Schweizer Geschichte der Erforschung und Nutzung der Atomenergie-Technologie zwar strahlend, aber bei weitem nicht sehr glorreich… Eigeninteressen und Ansätze von Grössenwahn waren die Gründe dafür.

Quellen: siehe Leseempfehlungen unten, Bundesamt für Energie BFE, Wikipedia

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