Kann mit neuen AKWs die angebliche Stromlücke vermieden werden? Wie schnell sind diese gebaut? Dieser dritte Teil liefert einige Antworten, die viele überraschen dürfte.
«Mach den Leuten Angst und Sie werden Dir folgen.» Diese einfache «Weisheit» hat in der Vergangenheit in der Schweiz vor Volksabstimmungen schon mehrfach erfolgreich funktioniert.
Dass Aspekte aufgezeigt werden, die Ängste auslösen können, ist nicht das Problem. Problematisch wird es, wenn diese Aspekte ohne sachliche Grundlage übermässig dramatisiert werden und dadurch auch Dinge suggeriert werden, die nicht so sind.
Leicht widerlegbare Behauptungen
Diesem übermässigem Angstmacher-Mecano hat sich auch die AKW-Lobby verschrieben. Unter dem Argument «Sichere Stromversorgung» wird eine Stromlücke herauf beschworen, welche nur dank neuen AKWs beseitigt werden könne, so die Suggestivwirkung der Argumentation.
Dementsprechend ist auf der Website des Komitees für die Erneuerung des AKWs Mühleberg etwa zu lesen:
Bis 2050 rechnet das Bundesamt für Energie mit einem jährlichen Anstieg von bis zu 2%.
Gleichzeitig wird bald weniger Strom produziert: Ab 2020 gehen die Kernkraftwerke Mühleberg und Beznau I+II vom Netz. Bereits ab 2017 fallen die Importe aus französischen Kernkraftwerken weg.
Trotz intensiver Suche auf der Website des Bundesamts für Energie: Angaben zum angeblich jährlichen Anstieg «von bis zu 2 %» bis ins Jahr 2050 konnten keine gefunden werden. Eher das Gegenteil ist der Fall:
Vor wenigen Jahren entwickelte das erwähnte Bundesamt vier mögliche Szenarien zum Thema «Energieperspektiven 2035» (siehe Lese-Empfehlung ganz unten). In drei der vier Szenarien rechnet man für den Zeitraum 2000 bis 2035 mit einem jährlichen Anstieg des Stromverbrauchs zwischen 0,4 und 0,8 Prozent. Das vierte Szenario sieht gar eine Reduktion um 0,06 Prozent vor.
Ungeachtet dieser Prognosen sei nachfolgend auch die Realität gezeigt:
Mit einer Ausnahme (1999) lag die Veränderung des Pro-Kopf-Verbrauchs in den letzten zehn Jahren immer unter zwei Prozent. Vor allem aber ist auch ein Rückgang möglich, wie beispielsweise das Jahr 2009 deutlich aufzeigt.
Zwar hängt der Stromverbrauch auch vom Klima (kalte Winter) oder beispielsweise der Wirtschaft ab. Doch wir leben inzwischen auch im Zeitalter der Energieeffizienz.
Effizienz heisst in diesem Zusammenhang nicht – wie manche befürchten, weil dies die Strom-Lobby auch häufig so suggeriert – sich einschränken zu müssen, sondern mit weniger Strom die gleiche oder gar mehr Leistung erbringen zu können.
Darum ist es nichts als logisch, dass sich diese Bemühungen irgendwann auch auf den Pro-Kopf-Endverbrauch auswirken werden und müssen. Wenn schon in der Vergangenheit kaum zwei Prozent Anstieg pro Jahr zu verzeichnen war und nun noch die Bemühungen im Energieeffizienz-Bereich hinzu kommen, dann sind die von den AKW-Befürwortern erwähnten zwei Prozent jährlichen Anstiegs doch mehr als fraglich…
Nicht so dramatisch
Verwundern tut einem auch die absolut klingende Aussage, dass ab 2017 die Stromimporte aus Frankreich wegfallen würden. Die Verwunderung rührt vor allem von jener Grafik her, welche etwas später im fraglichen Text angezeigt wird (allerdings ohne roten Pfeil):
Haben Sie es bemerkt? Falls nicht, schauen Sie sich noch das nachfolgende Original in Farbe an und achten Sie dabei auf den gelblich-beigen Teil, welcher die französischen Importe darstellt sowie auf die Jahreszahlen (und die rot angebrachten Markierungen):
Oder in Worte: Zwar mögen Importverträge mit Frankreich ab 2017 auslaufen. Einige laufen jedoch bis fast zum Jahr 2040. So resolut wie das die AKW-Befürworter aussagen («…fallen die Importe weg…»), stimmt das also nicht.
Auch die Aussage, dass Beznau I und II sowie Mühleberg im Jahr 2020 vom Netz gehen würden, ist falsch. Dies ist lediglich eine Annahme. Alle drei AKWs verfügen über eine unbefristete Betriebsbewilligung (wobei jene von Mühleberg zurzeit noch vor Bundesverwaltungsgericht angefochten wird). Dabei wurde noch nicht entschieden, wann genau den Betreibern diese Bewilligung entzogen werden soll.
Soweit zu den verfänglichen und falschen Aussagen der AKW-Befürworter. Aber droht uns denn nun eine Stromlücke?
Stromlücke? Ja, aber…
Wenn der Begriff «Stromlücke» bedeutet, dass wir in der Schweiz weniger Strom produzieren als wir benötigen, dann haben wir bereits heute eine Stromlücke – zumindest eine saisonale.
Im Winter produzieren die Schweizer Kraftwerke nämlich weniger Strom als notwendig, im Sommer zu viel. Unter dem Strich resultiert zwar ein Überschuss. Das ändert aber nichts daran, dass wir im Winter zu wenig Strom haben und damit de facto eine Stromlücke.
Und auch wenn man diesen Begriff weniger streng auslegt: Ja, uns erwartet eine Stromlücke.
Wenn Sie nun aber glauben, wir müssten deshalb AKWs bauen, dann liegen Sie falsch. Die Stromlücke droht nämlich schon bevor ein erstes Ersatz-AKW fertig gestellt sein wird – nur betonen das die AKW-Befürworter nicht allzu gerne.
Schauen Sie sich dazu die nachfolgende Darstellung an:
(Zum Vergrössern anklicken)
Bis ein neues AKW gebaut wäre, sind verschiedene Phasen zu durchlaufen. Nach Angaben des Bundesamts für Energie ist (im günstigsten Fall) mit einer Inbetriebnahme zwischen 2025 – 2027 zu rechnen, andere sprechen gar von 2030.
Fallen die Strom-Importe ab 2017 so radikal weg, wie dies von den AKW-Befürwortern dargestellt wird, erwartet uns da die erste Stromlücke. Fallen die AKWs in Beznau und Mühleberg per 2020 weg, erwartet uns die zweite Stromlücke. Mit oder ohne neue AKWs!
Die Schweiz (also wir alle) und die Schweizer Energiewirtschaft (die von uns finanzierten Unternehmen) werden darum gezwungen sein, in jedem Fall Alternativen zu suchen, welche schnell und bis 2017/2020 umsetzbar sind. Und das sind nicht AKWs.
Je schneller dies getan wird, desto grösser wird die Versorgungssicherheit. Vergessen Sie darum das Märchen von der Versorgungssicherheit dank AKWs…
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Lese-Empfehlung
- Bundesamt für Energie:
«Energieperspektiven 2035» (Zusammenfassung)
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