Stromausfall und kein «Stromalarm»

Stromausfälle sind in der Schweiz selten geworden. Treten sie trotzdem auf, dann zumeist wegen eines auf eine Stromleitung umgefallenen Baumes oder eines Blitzeinschlags aufgrund eines Gewitters.

Schönes, warm-schwüles Wetter, Auffahrt und dazu noch für die meisten ein arbeitsfreier Tag: Nichts deutete in Biel auf einen Stromausfall hin, als heute (21. Mai 2009)  gegen 17.40 h plötzlich nichts mehr lief, was vom Strom abhängig war und dies während rund zwei Stunden. Viele, welche vom schönen Wetter profitieren wollten, dürften davon vermutlich auch gar nichts mitbekommen haben.

Sofort schnellen den Betroffenen Gedanken über die Abhängigkeit einer gut funktionierenden, öffentlichen Infrastruktur durch den Kopf. Sauberes Wasser, ausreichend Strom und eine regelmässige Abfall- sowie Abwasserbeseitigung dürften wohl die wichtigsten Elemente der öffentlichen Infrastruktur sein, um den verwöhnten Herr und die verwöhnte Frau Schweizer nicht zu beunruhigen.

Dabei ist es nicht alleine das Nicht-mehr-funktionieren, welches beunruhigen kann (aber nicht muss), sondern die Ungewissheit, ob und wann «es» wieder funktioniert. Auch die Unwissenheit über die Tragweite eines Unterbruchs vermag zu verunsichern. Man sitzt in einem Informationsloch, denn «rien ne va plus»: Kein TV-Gerät läuft mehr, kein Internet-Anschluss, kein Telefon falls übers Kabelnetz, kein Radio falls kein batteriebetriebenes Gerät.

Ohne gleich den Teufel an die Wand malen zu wollen sei die Frage erlaubt, ob es sich denn um einen grossen «Blackout» handelt, wie er vor noch nicht so langer Zeit in den USA (2003), in Deutschland (2006), Italien, Dänemark, Schweden und London (2003) und bei den SBB (2005) vorgekommen ist oder ob es sich bloss um ein lokales Phänomen handelt. Man weiss es nicht, denn man sitzt informationsmässig im Dunkeln…

Die Informationssuche beginnt…

Da nach 90 Minuten immer noch kein Strom vorhanden war, hat die Augenreiberei die Gelegenheit beim Schopf gepackt und versucht, über verschiedene Kanäle mehr zu erfahren, insbesondere ob es sich nur um ein lokales Phänomen handelt oder ein grösserer Teil der Schweiz davon betroffen ist.

Station 1: Website des ESB Energie-Service Biel/Bienne
Ausgerüstet mit Laptop und einer Unlimited-Karte der Swisscom war der Zugang zum Internet trotz Stromausfall möglich. Doch trotz dieses privilegierten Internet-Zugangs enthielt die Rubrik «Aktuell/News» des ESB nicht einen einzigen Satz über den Stromausfall.

Die Website des ESB verrät nichts über einen Stromausfall. ESB

Station 2: Website des «Bieler Tagblatts»
Sie war nicht erreichbar… Ob es am Web-Server lag, der vielleicht in Eigenregie gehostet wird und an kein Notstromaggregat angeschlossen ist oder an anderen, verbindungstechnischen Gründen, kann nicht gesagt werden.

Station 3: Der lokale Radiosender Canal 3
Es lief nur Musik… Wie der lokale TV-Sender Telebielingue später in seiner Nachrichtensendung meldete, hat der Radiosender nur die Möglichkeit, notfallmässig von Magglingen aus während zweier Stunden eine Musik-CD ablaufen zu lassen…

Station 4: Website der Axpo sowie der BKW
Ob es sich um ein lokales Problem handelt, ist ja nicht sicher. Doch auch auf den Websites der Axpo sowie der BKW, zwei grossen Stromanbietern, findet sich kein Hinweis. Eine Rubrik «News» oder «Aktuelles» muss ohnehin gesucht werden. Man scheint demnach nicht dafür eingerichtet zu sein, schnell via Internet eine Information absetzen zu können.

Station 5: Website des Schweizer Fernsehens
Auch hier, keine Zeile über einen Stromausfall. Die Redaktion ist entweder extrem langsam oder sie weiss davon (noch) nichts oder sie beurteilt diesen Stromausfall für die zehntgrösste Stadt der Schweiz für so unbedeutend, dass es ihr keine Zeile wert ist. Der Sepp Blatter mit seiner Symptombekämpfungsmassnahme des Stehplatz-Verbots scheint interessanter zu sein…

Station 6: Website von Teletext
Der Teletext-Dienst wurde früher ausschliesslich von Biel aus betrieben. Inzwischen befinden sich die Redaktionen jedoch in den jeweiligen Sprachregionen. Nur noch einzelne Bereiche sind in Biel angesiedelt. Dies dürfte wohl auch den Webauftritt betreffen, denn unter www.teletext.ch konnte man lange Zeit nur lesen: «An error occurred while processing your request.». Auf der Website der Betreiberin, die swisstxt.ch, steht auch noch drei Stunden nach dem Unterbruch:

«Rien ne va plus» auch bei der Teletext-Betreiberin swisstxt.ch swisstxt

Station 7: Die Website der Stadt Biel
Da finden sich zwar auf der Homepage verschiedene Informationen welche mit «Aktuell» betitelt sind. Diese haben aber nur kulturellen Charakter. Das interessiert im Moment nicht…

Station 8: Der Pikettdienst des ESB
Beim Anruf des Pikettdienstes hätte man eine Tonbandansage erwarten können, zumal Tausende davon betroffen waren. Stattdessen hörte man trotz mehrerer Versuche immer nur das Besetzt-Zeichen… 

Auswirkungen

Die Auswirkungen dieses Stromausfalls dürfte nur wenige betroffen haben, da es ja für die meisten ein arbeitsfreier Tag war. Betroffen waren vor allem die lokalen Medien.

Wie das Bieler Tagblatt um 19.56 h auf seiner Website mit nicht weniger als neun Schreibfehlern (!) vermeldete, ist noch offen, ob und in welchem Umfang die beiden Lokal-Zeitungen «Bieler Tagblatt» und «Journal du Jura» morgen Freitag erscheinen werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Zeitung nicht oder nur beschränkt wegen eines Stromausfalls (nicht) erscheint…

Unter Druck blieb offenbar keine Zeit mehr fürs Korrigieren der unzähligen Schreibfehler. BT_20090521_19h56

Der lokale TV-Sender Telebielingue nimmt gegen 21.17 h den Betrieb wieder auf, sinnigerweise mit dem Wetter, dem Kino- und dem Ausgehtipp… Die nachfolgende Nachrichtensendung um 21.30 h wurde draussen, vor den Studios und im Halbdunkeln aufgenommen.

Improvisierte Nachrichtensendung vor dem Gebäude von Telebielingue. Nachrichten Telebielingue 21.05.2009

Was Nicht-Bieler wissen sollten: Canal 3, Telebilingue und die Redaktionen der beiden lokalen Zeitungen befinden sich alle im gleichen Gebäude, dem so genannten «Communication Center», unmittelbar neben dem Bieler Bahnhof (böse Zungen nennen sowas auch «Klumpenrisiko»).

Im gleichen Gebäude befindet sich auch die Firma Finecom, ein regionaler Internet-Provider.  In einer Mitteilung vom 15. Mai 2007 vermeldet diese, dass am 14. Mai 2007 ein 10 Tonnen schweres Notstrom-Aggregat aufs Dach des Communication Centers gehievt wurde. Ob davon die im gleichen Haus befindlichen Medien schon etwas bemerkt haben…?

Dass ein lokaler Stromausfall auch gesamtschweizerisch Auswirkungen haben kann, zeigt das Beispiel von teletext.ch. Die Augenreiberei hat auch noch bei Orange nachgefragt, welche ihren Sitz in Biel hat. Die nette Kundenberaterin, in Zürich sitzend, meinte, dass der Zugang zu gewissen Applikationen erschwert sei und zurzeit eher überraschenderweise gewisse «Updates» ablaufen würden. Eine Nachfrage bei Sunrise, ebenfalls in Biel vertreten, blieb erfolglos, da man dort niemand erreichen konnte.

Kritik an der Informationspolitik

Die Kritik bezüglich mangelnder Informationen im Falle eines Stromausfalls richtet sich nicht gegen die lokalen Medien. Im Rahmen der ihnen verfügbaren Mittel haben diese sicher versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Ob in ihrem eigenen Interesse mehr gemacht werden müsste, ist eine privatwirtschaftliche Frage.

Die Kritik richtet sich vielmehr an die «öffentliche Hand», denn diese ist für den Betrieb und den Unterhalt der Infrastruktur verantwortlich. Es obliegt demnach auch ihr, die Bevölkerung zu informieren und nicht etwa an den lokalen Medien.

In Zeiten, wo man sich über aktuelle Ereignisse oder über bevorstehende Unwetter via SMS informieren lassen kann, ist es erstaunlich, dass es einen solchen Service immer noch nicht für die wichtigsten Bereiche der öffentlichen Infrastruktur gibt.

In Anbetracht der drohenden Stromlücke bei zunehmendem Energie-Hunger wäre in Zukunft eine proaktivere Informationspolitik wünschenswert – gesamtschweizerisch.

Eine Mehrheit ist eine Mehrheit – oder?

Mit nur gerade rund 5’500 Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 38.3 % wurden heute die E-Pässe zu 50.1 % angenommen. Knapper geht’s kaum mehr…

Von einem eigentlichen «Sieg» mag man deshalb ebenso wenig reden wie von einer «Niederlage». Ein so knappes Abstimmungsergebnis ist allenfalls eine Niederlage für den demokratischen Prozess, vermochten doch weder die Befürworter noch die Gegner der Vorlage klar zu überzeugen – und vor allem vermochten beide die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht wirklich zu mobilisieren.

Darin liegt auch die Krux an diesem Entscheid: Wenn von 23 Beteiligten alle 23 ihre Stimme abgeben, 12 für und 11 gegen die fragliche Sache, dann fällt es einem einfacher, den Entscheid zu akzeptieren, da ja alle ihre Stimme abgegeben haben. Geben aber nur 11 ihre Stimme ab und davon 6 für, 5 gegen die Sache sind, macht das Mühe. Denn: Das Potential für einen gegenteiligen Entscheid bei äusserst knappen Ergebnissen ist durchaus vorhanden.

Hierzulande wird der Minderheitenschutz sehr hoch gehalten. Dies schlägt sich zum Beispiel in Form des so genannten «Ständemehrs» bei Initiativen nieder, wonach mindestens 12 (volle) Kantone einer Vorlage zustimmen müssen. Dabei zählen immer alle 23 (Voll-)Kantone und nie nur ein Teil davon.

Bei den Volksstimmen ist das anders, da man ja die Antwort der Nicht-Stimmenden (die abwesenden 12 Beteiligten respektive Unbeteiligten) nicht kennt. Damit bleibt im Ungewissen, ob eine knappe Mehrheit wirklich eine Mehrheit ist oder nur einfach die (tatsächliche) Minderheit besser zu mobilisieren wusste.

Sollte es bei den Volksstimmen ähnlich des Ständemehrs auch einen Riegel geben welcher besagt, dass ein Entscheid je nach Stimmenverhältnis und Stimmbeteiligung nicht gültig ist? Sollte also zum Beispiel bei einem Stimmenverhältnis von 50.1 : 49.9 % nicht mindestens eine Stimmbeteiligung von zum Beispiel 45 % gegeben sein, damit ein so knapper Entscheid gilt?

Vergessen wir nicht: Andere Länder kennen auch solche Regeln, wonach zum Beispiel mindestens zwei Drittel der Stimm- oder Wahlberechtigten ihren Stimm- oder Wahlzettel abgegeben haben müssen, damit eine Vorlage oder eine Wahl überhaupt als gültig gilt.

Was meinen Sie dazu?

Ein unnötiger Suizid

Wenn etwas auf eine Unverjährbarkeit abzielt, könnte man meinen, diese gälte auch rückwirkend. Dass dem nicht so ist, hat nun zu einem Selbstmord geführt – unnötig, wie man in der Augenreiberei meint.
 
Es ist eine traurige Geschichte, welche die «24 Heures» als Schwerpunkt-Thema in ihrer Ausgabe vom 11. Mai 2009 brachte.

Die Vorgeschichte

Sie nahm ihren Anfang vor 27 Jahren. «Valérie», wie sie von der Redaktion besagter Zeitung anonymisiert genannt wird, wurde als 13-jähriges Mädchen allabendlich von ihrem Vater sexuell missbraucht.

Erst 2007 findet sie den Mut, ihren Peiniger vor Gericht zu ziehen. Doch zu diesem Zeitpunkt galt für diese Straftat noch eine Verjährungsfrist von 15 Jahren. Deshalb hatte ihre Klage vor Gericht keine Chance. Affaire classée.

Neue Hoffnung keimte in ihr auf, als am 30. November vergangenen Jahres die Volksinitiative zur «Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» vom Schweizer Volk knapp angenommen wurde.

Enttäuschte Hoffnung

Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. An der Medienkonferenz am Abend des fraglichen Abstimmungssonntags lautete die erste von einer Journalistin gestellten Frage, ab wann denn die Initiative gelten würde. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf liess verlauten «ab heute». Sie präzisierte weiter, dass für bereits begangene Straftaten noch das alte Recht gelte. Dies sei im Strafrecht so üblich…

Um sicher zu gehen, ob Valérie die Antwort der Justizministerin richtig verstanden hatte, fragte sie per E-Mail beim Eidgenössischen Justizdepartement (EJPD) nochmals nach. Das EJPD offenbarte ihr in seiner Antwort, dass der fragliche Bundesverfassungsartikel 123 nicht rückwirkend angewandt werden könne.

Eine unerträgliche Antwort

Diese «endgültige» Antwort konnte sie nicht ertragen. Mittels eines Medikamenten-Cocktails nahm sie sich in ihrem Auto am 4. März dieses Jahres im Alter von 40 Jahren das Leben. Sie hinterlässt einen Ehemann mit zwei Kindern im Alter von 14 und 11 Jahren…

Nebst einem Abschiedsbrief an ihren Ehemann findet die Polizei auch noch die folgenden Wort auf einen Autositz gekritzelt: «Sag meinem Vater, dass er gewonnen hat»…

Interpretationsstreit

Im fraglichen Blatt hat nun der Streit über die Interpretation bezüglich rückwirkender Anwendung dieser Initiative begonnen. Einerseits wird der Initiantin, der Vereinigung «Marché blanche», vorgeworfen, sie hätte es unterlassen, den ohnehin schon relativ ungenau abgefassten Verfassungsartikel bezüglich rückwirkender Anwendung zu präzisieren.

Auf der anderen Seite meint das EJPD, man hätte schon vor der Abstimmung in den Medien davon gesprochen, dass dieser Artikel keine solche Anwendung fände, falls er angenommen würde. Dies wird auch in der Ausgabe vom 12. Mai 2009 der 24 Heures nochmals betont. In den Abstimmungsunterlagen findet sich dazu auf jeden Fall nichts.

So überrascht es auch nicht, dass kaum ein Stimmender davon ausgegangen ist, dass er nicht rückwirkend gälte, sollte die Initiative denn angenommen werden. Grund für dieses (Miss-)Verständnis dürfte wohl der Begriff «Unverjährbarkeit» sein. Dieser suggeriert bei vielen unbewusst eine rückwirkende Anwendung.

Anwendungsregeln

Oscar Freysinger stellt nun eine parlamentarische Initiative in Aussicht und hofft auf Erfolg, um diesen Missstand bezüglich der (noch) nicht rückwirkenden Anwendbarkeit zu ändern.

Unverjährbar nach heutigem Recht sind nebst dem fraglichen, seit dem 30. November 2008 gültigen Verfassungsartikel nur noch Völkermord sowie Terrorismus. Es mag richtig sein, dass für viele Straftaten eine Verjährungsfrist gilt. Körperlich oder psychisch erlittenes Leid sollte hingegen nie einer Verjährung unterworfen sein, denn auch diese können wie die beiden genannten Straftaten in gewisser Weise als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» verstanden werden.

Schliesslich gilt es nicht ausser acht zu lassen: Die Opfer derartiger Straftaten bleiben ein Leben lang Opfer. Es wäre daher wünschenswert, das Strafrecht in diesem Sinne einmal generell zu hinterfragen. Das sind wir den Opfern schuldig.