Steuern sind ungerecht

Am 28. November 2010 stimmt das Schweizer Stimmvolk auch über die so genannten «Steuergerechtigkeitsinitiative» ab. Lesen Sie dazu einige Gedanken zum Charakter von Steuern und darüber, dass diese in jedem Fall ungerecht sind – unter anderem…

Niemand mag sie, jeder ist mit ihnen aber regelmässig konfrontiert und doch fristen sie ein ziemliches Mauerblümchendasein: Die Steuern. Denn eigentlich wissen wir allgemein wenig über das Wesen der Steuern, deren unzähligen Arten und Formen und – dass wir ihnen zwar täglich begegnen, sie jedoch kaum mehr wahrnehmen. Oder könnten Sie etwa noch sagen, auf welchen Gütern Sie gestern 2,4 Prozent Mehrwertsteuer bezahlt hatten?

Unverwüstlicher Steuer-Drang

Steuern gibt es schon seit Jahrtausenden in der einen oder anderen Form. In dieser Zeitspanne gingen unzählige Staaten, Staatsformen oder sonstige Gemeinschaften unter. Geblieben sind aber immer das Erheben und das Eintreiben von Steuern.

Geändert hat vorwiegend der Verwendungszweck. Früher wurden Steuern vor allem dazu erhoben, um den Lebensstil der Regenten oder um irgendwelche Kriege finanzieren zu können. Heute dienen Steuern vor allem dem Gemeinwohl.

Mit ihnen wird die Finanzierung von neuer oder der Unterhalt bestehender Infrastruktur, die Finanzierung von Leistungen an benachteiligte Teile der Bevölkerung oder die Finanzierung der Gehälter der Angestellten der öffentlichen Verwaltung sichergestellt.

Daneben dienen Steuern, Abgaben und Gebühren zunehmend auch als Lenkungsmassnahme, um uns oder Unternehmen und Organisationen von einer Sache abzubringen und stattdessen auf eine andere, «bessere» Sache zu lenken.

Steuern werden subjektiv betrachtet heute in vielfacher Hinsicht gerechter erhoben als je zuvor – und trotzdem sind oder bleiben sie in vielen Bereichen ungerecht. Diese Ungerechtigkeit tritt vor allem dort zu Tage, wo eine Steuer, Abgabe oder Gebühr ungeachtet der finanziellen Verhältnisse des Betroffenen pauschal nach dem gleichen Satz berechnet oder erhoben wird.

Und das trifft eigentlich nur auf die Einkommens- und Vermögenssteuer nicht zu. Es trifft hingegen zu auf die Mehrwertsteuer, die Tabaksteuer, die Mineralölsteuer, die Kehrichtsackgebühren usw…

Finanzschwächere zahlen mehr

Das heisst, finanziell Schwächere bezahlen für die gleiche Sache in Bezug auf ihre Finanzkraft verhältnismässig mehr als finanziell Stärkere. Die so genannt «Reichen» gewinnen bei solchen Besteuerungsformen mit pauschalen Sätzen immer, währenddem die schlechter Gestellten verhältnismässig mehr an Steuern beitragen. Machen wir ein Rechenbeispiel, um das zu verdeutlichen:

Eine Person A und eine Person B geben monatlich je 1000 Franken für Lebensmittel aus. Hierbei kommt der tiefere Mehrwertsteuersatz von 2,4 Prozent zum Zug, weshalb beide «nur» je 24 Franken an Mehrwertsteuer bezahlen müssen.

Person A verdient 4‘800 Franken und muss somit 0,5 Prozent ihres Bruttolohnes für die Mehrwertsteuer aufwänden. Person B verdient das Doppelte, also 9‘600 Franken. Für sie entsprechen die fraglichen 24 Franken nur noch 0,25 Prozent des Bruttolohnes.

Wäre es nicht gerechter, wenn Person B auch 0,5 Prozent ihres Bruttolohnes aufwänden und somit insgesamt 48 Franken in den Mehrwertsteuertopf beisteuern müsste?

Gewiss: 24 Franken sind kein Vermögen. Zudem stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis der Aufwand steht, der betrieben werden müsste, um bei der bisherig berechneten Pauschaler-Einheitssatz-Steuer auf ein System in Abhängigkeit von Einkommen und allenfalls Vermögen zu wechseln.

Beim Beispiel oben handelt es sich aber auch nur um ein Beispiel, bei welchem weniger gut Verdienende im Verhältnis zu ihrer finanziellen Situation mehr Steuern bezahlen müssen als «die Reichen». Zahlreiche weitere dieser Pauschal-Satz-Steuer kommen da noch hinzu. Und gerecht ist das sicher nicht.

Keine Leistungsdiskriminierung

Es besteht aber noch eine weitere, grundlegende Ungerechtigkeit. So werden Einkommens- und Vermögenssteuer eben in Bezug aufs Einkommen und aufs Vermögen erhoben und nicht in Bezug auf die tatsächliche Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen.

Konkret: Eine 80-jährige Dame, welche gesundheitlich und finanziell gut da steht und dennoch nie das Haus verlässt, trägt mit ihren Steuern genauso, ja vielleicht sogar mehr für die Erneuerung des Strassenbelags vor ihrem Haus bei wie ihr 45-jähriger Nachbar, der die besagte Strasse fünf mal am Tag benutzt. Ist das gerecht?

Natürlich ist auch das nicht gerecht, wenn man das Verursacherprinzip in den Vordergrund stellt. Das muss man sich aber einmal zu Ende denken:

Wenn man nur für das Steuern zahlen müsste, das man tatsächlich auch beansprucht, kommt dies im umgekehrten Sinne einer Diskriminierung von Menschen mit tieferen Einkommen und Vermögen gleich.

Letztere dürften dann nämlich beispielsweise gewisse Strassen nicht oder nur beschränkt benutzen, weil sie ja auch weniger zu diesen beigetragen haben. Überspitzt ausgedrückt könnte das dann dazu führen, dass es ein zwei Meter breites Trottoir für «die Reichen» gäbe, währenddem sich die grosse Masse an ärmeren Seelen einen zwanzig Zentimeter breiten Trottoir-Streifen teilen müsste…

Das heisst, wenn es nicht zu einer Diskriminierung kommen soll, darf es auch steuerliche Ungerechtigkeiten geben. Man könnte das aber auch einfach nur Solidarität gegenüber den weniger gut Gestellten nennen.

Solidarität mittels Steuern

Nun drängt sich die Frage auf, ob da nicht ein Ausgleich stattfindet zwischen den weniger gut Verdienenden, die bei pauschalen Einheitssteuersätzen verhältnismässig mehr bezahlen und den besser Verdienenden, die stattdessen in Bezug auf Einkommen und Vermögen mehr dem Staat abliefern.

Anders ausgedrückt: Zahlen letzten Endes diejenigen, welche weniger gut verdienen nicht auch den gleichen Anteil am neuen Strassenbelag vor dem Haus, weil sie verhältnismässig mehr in die verschiedenen Steuertöpfe abliefern als diejenigen, welche wegen einem höheren Einkommen und Vermögen mehr abliefern?

Diese Frage ist zu verneinen, denn «verhältnismässig mehr» versteht sich nicht nominell. Um beim Mehrwertsteuer-Beispiel von oben zu bleiben, liefert zwar der weniger gut Verdienende von seinem Lohn 0.25 Prozent mehr an den Staat ab als der besser Verdienende.

Aber die fraglichen 24 Franken werden deswegen nicht mehr und stehen unter Umständen in keinem Verhältnis zu jenem Betrag, welcher «der Reiche» an höheren Einkommens- und Vermögenssteuern mehr abliefern muss als der schlechter Verdienende mit seinem Einkommen und Vermögen.

Damit kann nicht gesagt werden, dass sich die Dinge hier wieder ausgleichen. Die besser Verdienenden sind quasi dazu verdammt, trotz geringerer Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen durch ihre höheren Einkommens- und Vermögenssteuern solidarisch sein zu müssen.

Tiefe Steuern sind nur die halbe Miete

Kommen wir zu einer weiteren Form angeblich ungerechter Steuern und damit zur eingangs angesprochenen Steuergerechtigkeitsinitiative. Sie ist nicht darauf aus, die oben erwähnte «Ungerechtigkeit» aufzuheben, wonach reiche Menschen mehr Steuern zu zahlen haben als sie selber im Gegenzug an staatlichen Leistungen erhalten.

Sie will stattdessen vielmehr Gerechtigkeit zwischen den Kantonen schaffen, indem «Dumping-Zinssätze» mittels schweizweiter Mindestzinssätze unterbunden werden. Andernfalls, so die Initianten, könne der Steuerwettbewerb unter den Kantonen dazu führen, dass diese sich gegenseitig mit immer tieferen Zinssätzen die Millionäre abjagen.

Dieser Steuerwettbewerb findet heute tatsächlich statt, wobei vor allem die kleineren Kantone diejenigen sind, welche mit besonders tiefen Zinssätzen Unternehmen und gut verdienende Personen anlocken wollen. Das wird dann Wirtschaftsförderung genannt.

Als ungerecht kann man nicht nur die Steuersätze für «Super-Reiche» bezeichnen, sondern vor allem auch die verzerrten Wettbewerbsbedingungen an sich. Zwar ist nur die Rede von einem Steuerwettbewerb, doch so kurzsichtig sind reiche Umzugswillige dann doch auch wieder nicht. Konkret: Es ist ein Ensemble an Faktoren, die jemanden beispielsweise nach Obwalden ziehen lassen.

Zu diesem Ensemble gehört für ausländische Firmen oftmals auch die politische Stabilität oder eine hohe Versorgungssicherheit fürs ganze Land – und nicht nur für den Kanton Obwalden. Dazu gehört auch eine Landschaft, die nicht nur aus dem Kanton Obwalden besteht. Dazu gehört im Falle des Kantons Obwalden auch das kulturelle Angebot von Luzern. Dazu gehört auch ein gut ausgebautes Verkehrsnetz ausserhalb des Kantons Obwalden. Dazu gehört auch ein (teures) Gesundheitswesen, deren Spezialisten sich nicht im Kanton Obwalden befinden. Dazu gehören ebenfalls Fachkräfte, welche mehrheitlich ausserhalb des Kantons Obwalden ausgebildet wurden.

Brauchen Sie noch mehr Beispiele?

Zwiespältiges Verhalten

All diese Dinge, die sich nicht im jeweils steuergünstigen Kanton befinden, haben andere besorgt. Sie wurde vorwiegend durch die grosse Masse der Nicht-Super-Reichen bezahlt. Darum ist es unfair, Wettbewerb nur auf der Basis von Steuersätzen zu betreiben.

Die fraglichen Kantone machen es sich da gar leicht… Korrekter wäre es, wenn sich diese Kantone auch finanziell an jenen Faktoren beteiligen, welche zu jenem Ensemble gehören, das jemanden in den jeweiligen Kanton ziehen lässt.

Interessanterweise sind es aber genau diese Kantone, welche sich kürzlich dagegen gewehrt hatten, dass der Bund wenig genutzte Postauto-Linien finanziell nicht mehr so stark unterstützen wolle.

Das hinterlässt dann das folgende Bild: Man jagt anderen Kantonen die Reichen ab, hätschelt sie mit massiv günstigen Steuersätzen, hat aber ansonsten kein Geld, um den Service public im eigenen Kanton für die breite Bevölkerung ohne Bundes-Mittel aufrecht zu erhalten, ergo klopft man beim Bund an, dem selber aber im Rahmen des Neuen Finanzausgleichs (NFA) auch weniger Mittel zur Verfügung stehen, weil die Reichen durch das Steuersatz-Dumping insgesamt weniger Steuern zahlen…

Wie weiter oben ausgeführt, gibt es in Steuerangelegenheiten Ungerechtigkeiten, die dazu dienen, Solidarität zu erzeugen, ja gar zu erzwingen. Es gibt in Steuerangelegenheiten aber auch Ungerechtigkeiten, die zum Gegenteil führen, also zu einer De-Solidarisierung.

Das ist dann der Fall, wenn ein Kanton den Super-Reichen massiv tiefere Steuern anbietet. Damit leistet er der Eidgenossenschaft einen Bärendienst. Die Reichen profitieren, der entsprechende Dumping-Kanton auch, aber die Eidgenossenschaft verliert.

Das kann man so machen. Diese Kantone dürfen dann einfach nicht überrascht sein, wenn sie eines Tages auf die Solidarität der anderen Kantone angewiesen sein werden, aber diese Solidarität als Quittung auf das heute Verhalten ausbleiben wird…

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