Zwangsjacken für Jugendliche

Probleme im Alltag gibt es viele, die sich mit vermeintlich einfachen Lösungen beseitigen liessen. Besser wäre es allerdings, jene Lösungen ausarbeiten zu lassen, die von einer Sache eine Ahnung haben…

Der Mensch tendiert von Natur aus zum Einfachen. Darum hat alles Erfolg, was einfach ist, darum sind auch die einfachsten Lösungen immer die besten. Es sind auch diejenigen, die am schnellsten von einer grossen Menge verstanden und akzeptiert werden.

Einfache Lösungen für komplexe Probleme?

Die Sache mit den einfachen Lösungen ist allerdings heimtückisch: Nicht jede einfache Lösung vermag komplexe Probleme zu lösen und nicht immer werden komplexe Probleme als solche erkannt. Deshalb kann das Aufpfropfen einer einfachen Lösung auf komplexe Probleme nur kurzfristige Linderung bringen – wenn überhaupt.

Wenn eine Nationalrätin und Polizistin der Auffassung ist, dass Jugendliche zu oft ein Messer auf sich tragen «um sich zu verteidigen», was «fast jedes Wochenende in Bern zu einer Messerstecherei» führe, dann kann man natürlich das Tragen von solchen Messern verbieten.

Das wäre die einfachste Lösung. Dabei leuchtet auch jedem sofort ein, dass Sackmesser diesem Verbot nicht unterstehen, denn damit kann man bekanntlich niemanden verletzen. Man kann sich nicht einmal in den eigenen Finger schneiden.

Und wenn wir gerade schon dabei sind: Feuerzeuge gehören auch verboten, sie könnten Verbrennungen und Brände verursachen. Zigaretten und Joints sind natürlich auch zu verbieten, sie führen zu Lungenkrebs, dem Tod, Impotenz, Schlaganfällen, Zahnfleischproblemen und noch einigem mehr.

Killergames sollte man gleich ganz aus der Schweiz verbannen, schliesslich wird im TV schon oft genug überbordende Gewalt gezeigt, sodass kaum mehr jemand mit dem Zählen der Toten auf der Mattscheibe folgen kann.

Vorsorglich sollte man den Jugendlichen auch gleich noch sämtliche Handys, iPhones & Co. abnehmen, denn damit könnten sie zu ähnlichen Spielen und Inhalten gelangen wie im Falle von Killergames auf ihren Computern – von Pornografie ganz zu schweigen.

Für iPads, iPods und iNanos sollte auch gelten: Weg damit! Die damit abspiel- und abrufbaren Musikstücke und Texte könnten den Verstand und den Geist der Jugendlichen verderben und ihren Horizont erweitern. Selbstverständlich sind den Jugendlichen auch die Zündschlüssel ihrer geleasten Autos wegzunehmen um sie so vor der Versuchung der Raserei zu schützen.

Schützt die Jugend!

Um die Jugendlichen vor der Schuldenfalle zu schützen, sollte man ihnen zudem das Shopping verbieten. Am besten nimmt man ihnen dazu ihre gesamte Geldbörse inklusive sämtlicher Debit- und Kreditkarten ab.

Natürlich wären auch die Festnetz- und Internet-Anschlüsse zu sperren, damit nicht per Telefon oder via Internet etwas auf Rechnung bestellt werden könnte. Unbedingt nicht vergessen: Sämtliche Briefmarken sind zu verstecken, damit auch Bestellungen auf dem Postweg ausgeschlossen bleiben.

Übrigens, das Wegnehmen der Geldbörse verhindert gleichzeitig, dass sich Jugendlich nicht in irgendeinem Fastfood-Restaurant schlecht ernähren und an Übergewicht leiden werden oder dass sie sich in irgendwelchen Starbucks oder mit Energy Drinks mit Koffein und Taurin vollpumpen.

Apropos Gesundheit: Natürlich sollte man allen Jugendlichen, egal ob Männlein oder Weiblein, einen Keuschheitsgürtel anlegen. Nur so können sie der Versuchung widerstehen, eine Dummheit zu begehen wenn das Fleisch willig und der Verstand schwach ist.

Am besten aber wäre es halt eben schon, sämtliche Jugendliche gleich in eine Zwangsjacke zu stecken und ihnen eine Magensonde sowie einen Katheter zu verpassen. Wenn sie auf diese Weise dem Alltag ausgesetzt werden, bringen sie sich und andere nicht in Gefahr. Nur so liessen sich unzählige Verbote in der Praxis überhaupt erst durchsetzen. Darum wären Zwangsjacken die einfachste Lösung.

Alles andere wäre unverhältnismässig und unvorstellbar. Oder könnten Sie sich etwa vorstellen, die Jugendlichen nach den Gründen Ihres Verhaltens zu fragen um wenigsten zu versuchen, sie zu verstehen und vielleicht sogar eine andere, weitaus nicht so einfache Lösung in Betracht zu ziehen?

Könnten Sie sich vorstellen, sie zu fragen, weshalb sie in einem als friedlich geglaubten Land sich mit einem Messer angeblich verteidigen müssen oder weshalb sie noch das Haus verlassen um auszugehen, wenn sie sich dafür bewaffnen müssen?

An Problemlösung interessiert?

Lassen wir den sarkastischen Unterton hinter uns. Man kann vieles verbieten. Ein Verbot nützt aber nur so viel, wie es auch eingehalten wird.

Das Tragen eines Messers mag vielleicht verboten werden. Das hindert aber niemanden daran, trotzdem ein solches Objekt auf sich zu tragen. Im Falle einer Kontrolle könnte man es auch schnell irgendwo verschwinden oder fallen lassen.

Wer ein derartiges Messer mit der Absicht auf sich trägt, es gegebenenfalls auch zu benutzen, den beeindruckt ein derartiges Verbot nicht. Es ist in diesem konkreten Fall zwecklos.

So ist es auch in vielen anderen Bereichen, welche oben nur teilweise angesprochen wurden. Verbote scheinen häufig die einfachste Lösung zu sein. Aber die Probleme dahinter sind meistens komplexer um ihnen eine einfache Lösung aufpfropfen zu können.

Probleme wie jenes mit den Messern gibt es zahlreiche. Man soll sie unbedingt ansprechen, denn das ist die erste Voraussetzung um gelöst zu werden. Die Frage ist nur, ob Probleme angesprochen werden, weil man sie tatsächlich lösen oder weil man damit etwas anderes erreichen will.

Die Messer-Problematik wurde nämlich in einem anderen Zusammenhang erwähnt. So würden weitaus mehr Menschen durch Messer verletzt als durch Armeewaffen, meinte kürzlich die Berner SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler.

Es geht ihr also gar nicht so sehr um die Gefahr von Messern, sondern um einen Vergleich bezüglich Gefährlichkeit. So betrachtet sollte auch der Vergleich zulässig sein, dass weitaus mehr Menschen auf den Schweizer Strassen tödlich oder schwer verunglücken als mit einer Armeewaffen sterben. Also wären Autos zu verbieten, was – wenn man es wie oben bei den Jugendlichen zu Ende denkt – wiederum in einer Zwangsjacke endet.

Konsequent, aber unrealistisch

Einer, der es hingegen ernst meint und es nicht bloss auf einen Vergleich mit einer anderen Sache anlegt, ist der Waadtländer Alternative Linke-Nationalrat Josef Zisyadis. Er reichte im Juni letzten Jahres eine Motion ein, welche vom Bundesrat fordert, das Waffengesetz zu revidieren.

So sollen gemäss Zisyadis sämtliche «Messer und alle Objekte, die die körperliche Integrität schädigen können, insbesondere spitze, scharfe, stumpfe und explosive Gegenstände, sowie Objekte, die Substanzen versprühen» in die als Waffen geltende Liste aufgenommen werden.

Immerhin ist dieser Vorstoss konsequent. Umsetzbar ist er hingegen kaum. Jeder Haarspray, jede Essgabel, jeder Suppenlöffel, selbst Kugelschreiber und vieles mehr könnten in irgendeiner Form als Waffe verwendet werden und damit die körperlicher Integrität beschädigen.

Darum ist dieser Vorstoss – mit Verlaub – genauso dumm wie die Idee des Messer-Verbots, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil es wiederum um ein Verbot geht. Daran ändert auch nichts an Zisyadis Feststellung, dass inzwischen auch ganz gewöhnliche Messer als Waffe eingesetzt würden.

Grenzen sind zu setzen, dagegen hat wohl kaum jemand etwas einzuwenden. Aber Verbote setzen die Grenze immer bei null an. Das ist für Objekte nicht falsch, die durch ihre Verwendung nur Schaden anrichten, wie das etwa bei Schusswaffen der Fall ist.

Bei Gegenständen des Alltags wäre es aber wichtig, den richtigen Umgang zu lernen, also zu erfahren, wo die Grenzen liegen oder, umgekehrt, die Zweckentfremdung, anhand welcher die Grenzen überschritten werden, zu verhindern. Ersteres ist einfacher als Letzteres, und trotzdem stehen wir bei beiden noch ziemlich am Anfang.

Den richtigen Umgang lernen heisst nicht, Dinge zu verbieten, sondern ihre richtige Verwendung zu erlernen und die Gefahren zu (er)kennen. Ein Reaktionstraining für Autofahrer geht beispielsweise in diese Richtung. Man bräuchte also Autos nicht zu verbieten, sollte man es darauf anlegen, die Zahl der Verkehrstoten und die Zahl der Verletzten zu reduzieren.

Doch wie erwähnt, stehen wir beim Erlernen des richtigen Umgangs noch ziemlich am Anfang. So gibt es auch noch nicht so lange die erwähnten und fakultativen Reaktionstrainings. Was den Umgang mit den so genannten Killergames anbelangt – um ein anderes Beispiel zu nennen – stehen wir praktisch noch im Nirgendwo. Das hat gewiss auch mit fehlendem Wissen zu tun.

Probleme ansprechen – nicht Lösungen präsentieren

Noch schlimmer steht es aber bei der Verhinderung der Zweckentfremdung von Gegenständen. Grund dafür dürfte sein, dass hier die psychologische Ebene angesprochen ist, denn die Psyche ist es, welche erst zu «Kurzschlussreaktionen» führt und welche einen Menschen zu einer «Waffe» – oder was man als solche verwenden kann – greifen lässt.

Damit tun sich Politiker allerdings schwer. Was nicht Hände und Füsse hat beziehungsweise was nicht anfassbar ist, scheint für viele dementsprechend unfassbar zu sein. Es ist ähnlich wie mit der staatlichen Bestrafung von Tätern: Mit dem offenen Vollzug haben viele Mühe, für sie ist eine Strafe nur dann eine Strafe, wenn es fassbare Mauern mit Gitterstäben in den Fenstern gibt.

Immerhin vertreten einige auch die Ansicht, dass der Mensch von Natur aus lernfähig sei. Das ist zu hoffen, denn nur so ist es möglich, dass Politiker zwar Probleme ansprechen, es aber unterlassen, gleichzeitig noch vermeintlich einfache Lösungen mitzuliefern.

Die Ausarbeitung von Lösungen und die Simulation möglicher Folgen sollte denen überlassen werden, die von der Materie eine Ahnung haben. Das sind bei einem Milizparlament selten die Parlamentarier selbst.

Sie sollten erst dann wieder in Erscheinung treten, wenn zu einer Lösung Stellung genommen werden soll und zwar nachdem sie sich sämtlicher möglicher Konsequenzen über eine zu treffende Entscheidung bewusst geworden sind.

Andernfalls erliegen noch einige der Versuchung, vermeintlich einfache Lösungen zu unterstützen, womit auf lange Frist nicht nur die Probleme nicht gelöst sein werden, sondern sowohl Jugendliche als auch Erwachsene wegen zu schnell geforderten und beschlossenen Verboten praktisch handlungsunfähig werden, ähnlich einem eng geschnürten Korsette – oder eben einer Zwangsjacke.

4 Antworten auf „Zwangsjacken für Jugendliche“

  1. Super Beitrag Titus und treffend argumentiert.

    Allerdings hast Du vergessen das Verbot von Zügen zu erwähnen. Wenns denn stimmt, so wirft sich täglich oder jeden zweiten Tag eine Person vor den Zug.
    Was mich interessieren täte: Die Statistik geht von 300 Toten durch Schusswaffen aus. Klar ist jeder Tote einer zuviel, ausser natürlich er will freiwillig aus dem Leben scheiden, denn das ist sein gutes Recht.
    Aber wieviele von diesen 300 Menschen sterben denn schlussendlich durch eine Armeewaffe? Diese Frage konnte mir bis anhin niemand beantworten. Scheinbar wissen es nicht mal die Initianten dieser Initiative.

  2. Also laut einem BGEr Urteil gelten Küchenmesser nicht als Waffen, selbst dann nicht wenn man jemanden mit einem 40cm Küchenmesser bedroht und/oder verletzt. Ein Küchenmesser so das Urteil wird nicht überwiegend als Waffe benutzt, deswegen gilt es auch nicht als Waffe.

    Interessant oder? Demnach sind auch Sprengstoffe keine Waffe, denn dieser werden ja vorwiegend fürs Sprengen von alten Gebäuden oder um Löcher zu machen verwendet und nicht für Terroranschläge.

    Auch ein Beil ist keine Waffe, denn das wird ja vorwiegend fürs Holzhacken verwendet.

    So gesehen sind eigentlich auch Pistolen und Gewehre keine Waffen, denn die nutzt man doch nur für das Schiessen auf Scheiben oder fürs jagen.

    Derart betrachtet sind Armeewaffen allerdings Waffen, denn die werden per Definition fürs schiessen auf Menschen verwendet.

    Meine Meinung dazu war, eine Waffe ist dann eine Waffe wenn sie als Waffe verwendet wird, völlig egal was es ist. Aber anscheinend sieht das oberste Gericht das anders… 😉

  3. @ Ate
    An die Züge dachte ich auch, habe sie dann aber doch fallen gelassen.

    Zu den Zahlen: Das Bundesamt für Statistik hat einige Zahlen zusammengestellt, siehe hier. Gemäss Kommentar des BfS zu diesen Statistiken liegt das Problem allerdings darin, dass nicht immer alle Informationen vorliegen bzw. geprüft werden, namentlich was den Waffentyp anbelangt.

    Darum kann das BfS bei Tötungsdelikten nur allgemeine Aussagen machen, also wie viele Tötungsdelikte es mit Schusswaffen gegeben hat, aber nicht mit was für einem Waffentyp diese erfolgten.

    Im Falle der Suizide liegt diese Angabe hingegen vor. So wurden im 2009 insgesamt neun Prozent der Suizide mit einer Armeepistole oder mit dem Armee-Sturmgewehr ausgeübt. In Anspielung auf den Beitrag oben könnte man nun wiederum sagen, dass ein Suizid die einfachste Lösung für die Suizid-Willigen ist. Das nächste Umfeld (Angehörige, Freunde usw.) sehen das wahrscheinlich etwas anders.

    Ob das Nichtvorhandensein dieser Armeewaffen diese Suizide – oder eben auch Tötungsdelikte – verhindern kann, kann wohl nur Mike Shiva beantworten 😉 Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Verfügbarkeit einer Waffe ein Suizid oder ein Tötungsdelikt sicher erleichtern.

    @ Chris
    Glaubt man den amerikanischen Filmen, in denen Menschen mit blossen Händen und Armen der Kopf verdreht bzw. das Genick gebrochen werden kann, wären demnach eben auch Hände und Arme eine Waffe. Und manche Menschen starben auch schon durch Fäuste und Fusstritte oder wurden irreparabel verletzt, siehe die jugendlichen „Schläger von München“.

    Damit sind wir wieder am Punkt, jedem gleich eine Zwangsjacke verpassen zu müssen – und das kann es ja bekanntlich nicht sein. Ein respektvollerer Umgang und eine Sensibilisierung für das Befinden seines Gegenübers zu erlernen wäre wohl sinnvoller.

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