Bringen die unzähligen Online-Wahl-Hilfen etwas und falls ja, was? Oder schiessen sie gar am Ziel vorbei und eine andere oder ergänzende Form von Wahl-Hilfen wäre gefragt?
Knapp 3‘500 Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich am kommenden 23. Oktober zur Wahl für einen der 200 Sitze im Nationalrat. Das sind doch markant mehr als noch vor vier Jahren, als sich «nur» knapp 3‘100 Personen zur Verfügung stellten.
Grosser Ansturm
Zu glauben, es würden ernsthaft so viele Personen in den Nationalrat wollen, ist nicht richtig. Viele Listen werden einfach nur mit so vielen Namen von möglichst bekannten Personen aufgefüllt, wie ein Kanton Anspruch auf Nationalratssitze hat. Dabei sind sich diese Personen sehr wohl bewusst, dass sie keine Chance haben, gewählt zu werden.
Dennoch: Im Kanton Basel-Stadt gab es im 2007 noch 18 Listen, dieses Jahr sind es 27. Im Kanton Bern standen vor vier Jahren 24 Listen zur Wahl, nun sind es 28. Oder im Kanton Genf hatten die Wählenden bei den letzten Wahlen die Auswahl zwischen 13 Listen, an den nächsten Wahlen im Oktober sind es deren 22.
Dies sind nur einige Beispiele die aufzeigen, dass nicht bloss dort nur Listen vollständig aufgefüllt werden, wo sie bisher nicht aufgefüllt waren, sondern dass es tatsächlich auch mehr Listen und damit mehr Gruppierungen gibt, welche in den Nationalrat drängen. Die noch jungen Parteien BDP und glp dürften ein Hauptgrund sein. Sie traten vor vier Jahren in vielen Kantonen noch nicht an.
Von Politikverdrossenheit kann von diesem Standpunkt her kaum die Rede sein. Ob mehr Kandidierende und mehr Listen auch mehr Wählende zu mobilisieren vermag, wird sich erst noch zeigen müssen.
Denn: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Insbesondere solche in grösseren Kantonen, welche bisher kaum oder noch gar nie wählen waren, könnten ob der Flut an Kandidierenden und Listen auch schnell abgeschreckt werden, sodass sie es schliesslich lieber sein lassen.
Und jene, welche sich fest zum Ziel gesetzt haben, wählen zu gehen, werden dankbar sein um jede Orientierungshilfe. Hierzu können Internet-Plattformen, wie sie im zweiten Teil vorgestellt wurden, eine Hilfe im Wahl-Dschungel sein.
smartvote.ch erlaubt jedem zu sehen, wo er und wo die Kandidierenden sowie die Listen politisch angesiedelt sind. Das erlaubt auch Unerfahrenen, quasi eine erste Selektion vorzunehmen, sollte man überhaupt nicht wissen, wen man wählen soll. vimentis.ch und politnetz.ch erlauben zudem, etwas mehr darüber zu erfahren, wie ein Kandidierender zum einen oder anderen politischen Thema «tickt».
Alles paletti also bei der Auswahl seiner bevorzugten Liste oder seiner bevorzugten Kandidierenden?
Fehlende menschliche Seite
Immer mehr Personen scheinen immer unzufriedener über die Leistungen der Politik zu sind. Dabei fragt sich, ob dies nicht auch dazu führt, dass genauer hingeschaut wird, bevor man wählt.
Dafür spricht auch, dass aufgrund der hohen Anzahl an Listen und Kandidierenden der Abstand zur «Konkurrenz» immer geringer wird. Auch deshalb macht ein genaueres Hinschauen Sinn.
Aber wie oder womit kann man genauer hinschauen?
Man kann sich auf Smartvote die Antworten der Kandidierenden im Detail anzeigen lassen. Man kann sich deren Videos anschauen und deren Beiträge bei Vimentis und Politnetz durchlesen. Oder man kann sich deren Websites zu Gemüte führen und ihnen per Twitter oder Facebook folgen.
Doch was immer man mit den genannten Mitteln macht: Man dreht sich im Kreis, denn sie drücken die gleiche politische Haltung nur auf unterschiedliche Weise aus. Das reicht nicht, um sich von anderen mit fast gleichen Positionen abzuheben.
Spätestens jetzt – wenn nicht schon viel früher – wird der Faktor Mensch wichtig. Dieser kommt nicht via Smartvote, Vimentis, Politnetz & Co. zum Ausdruck, was allerdings auch nicht deren Anspruch ist.
Der Faktor Mensch könnte via Website oder soziale Medien zum Ausdruck kommen. Aber eben nur «könnte», denn was in diesem Bereich kommuniziert wird, ist ein beschönigtes, schier perfektes und damit zugleich unglaubwürdiges Bild der Kandidierenden.
Die Unbeschwert- und Unbekümmertheit, mit welcher Wählende die sozialen Medien nutzen, kommt bei den Kandidierenden nicht zum Ausdruck. Da wird nichts dem Zufall überlassen, das nach aussen kommuniziert wird.
Dadurch geht die menschliche Seite, welche Authentizität vermitteln könnte, verloren. Schliesslich muss man sich als Wählende/-r eingestehen, dass einem die Kandidierenden weiterhin fremd sind – trotz Website, Twitter, Facebook, Videos & Co.
In diesem Zusammenhang ist die Vergangenheit nicht zu unterschätzen. Dazu gehört einerseits bisheriges Engagement. Die Art des Engagements, die Erfolge und Misserfolge, welche dabei erzielt wurden oder das Bild, welches dabei ein nun Kandidierender nach aussen im Umgang mit anderen abgab, vermitteln ebenfalls etwas von der menschlichen Seite (im Positiven wie im Negativen).
Zu dieser Vergangenheit gehört andererseits auch die bisherige Kommunikation. Wer über einen längeren Zeitraum die Welt über Facebook und Twitter wissen liess, wie und was er oder sie denkt, gibt bruchstückhaft auch etwas von seiner menschlichen Seite preis. So tritt im Laufe der Zeit immer mehr von der menschlichen Seite zu Tage.
Wahl-Hilfe zur Charakter-Frage?
Aufgrund des aktuellen, eher vergifteten Klimas in der Politik dürfte diese menschliche Seite wichtiger denn je sein. Vertreter der verschiedensten politischen Ansichten gibt es genug.
Doch was die Schweiz braucht, wären Personen, die zuhören, fair diskutieren und Kompromisse eingehen können – um nur einige Eigenschaften zu nennen, welche für ein Fortkommen in politischen Fragen notwendig wären. Was die Schweiz aber nicht braucht – auch das gilt unabhängig von der politischen Couleur – sind sture, besserwisserische Köpfe.
Unter den heute Gewählten findet sich beides in fast allen politischen Lagern. Mit einigen würde vermutlich jeder einmal gerne über ein Thema diskutieren. Mit den Anderen, den Scharfmachern, möchte man hingegen am besten gar nie in ein Gespräch verwickelt werden.
Eine Wahl-Hilfe, welche auch die menschliche und charakterliche Seite berücksichtigt, wäre nötiger denn je. Doch das ist wohl ein zu heisses Eisen, als dass dieses Anliegen je von jemandem umgesetzt würde…