Unser System will es so: Wer Jahrzehnte lang gearbeitet hat, ist nach der Pensionierung plötzlich zum Nichtstun verdammt. Darum scheinen Angebote für «Seniorenjobs» zu boomen. Ganz ohne «Nebenwirkungen» sind diese aber nicht, wenn man das Ganze etwas weiter denkt. Nur sprechen tut davon niemand, wohl weil das Thema zu heikel erscheint…
Das Leben in unseren Breitengraden verläuft mehrheitlich nach dem folgenden groben Schema ab: 20 Jahre lernen, 40 Jahre arbeiten, 20 Jahre «nichtstun». Darin widerspiegeln sich die drei bekannten Lebensabschnitte, wobei so gut wie gar nie vom «ersten» oder vom «zweiten» Lebensabschnitt gesprochen wird.
Arbeiten im Alter
Genauso hat wohl noch niemand vom Geniessen des ersten oder zweiten Lebensabschnitts gehört. Demgegenüber kennt praktisch jeder die gegenüber Pensionierten geäusserte Ausdrucksweise, er möge nun (doch endlich) den dritten Lebensabschnitt geniessen.
Darin drückt sich auch die Priorität aus, welche dieser dritte und letzte Lebensabschnitt bei unserem heutige «Lebensmodell» geniesst. Unterstrichen wir diese Prioritätensetzung noch dadurch, dass wir während den arbeitenden 40 Jahren Geld anhäufen, von dem wir dann in den darauf folgenden 20 Jahren (oder statistisch gesehen sogar mehr) leben sollen.
40 Jahre darauf konditioniert zu werden, zu arbeiten und Geld zu verdienen um dann eines Tages nicht mehr gefragt zu sein, ist ein ziemlich hartes Modell. Arbeit bringt aber nicht nur Geld ein, sondern es gibt den Betroffenen auch eine Struktur, einen Halt, eine Orientierung. Darum ist nicht nur das Nicht-mehr-gefragt-sein hart, sondern vor allem auch der Wegfall dieser für viele Lebenssinn gebenden Struktur.
Wer pensioniert ist, gehört aber nicht automatisch zum «alten Eisen». Viele renovieren ihr Eigenheim (sofern sie ein solches besitzen), machen Ausflüge (sofern sie es sich leisten können), betreuen Grosskinder (sofern sie welche haben) oder gehen einer anderen Tätigkeit nach. Und einige arbeiten auch weiter.
Das sind nicht wenige: Gemäss den jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) sind im ersten Quartal 2011 80‘000 Männer und 42‘000 Frauen über 65 Jahren weiterhin einer bezahlten Arbeit von mindestens einer Stunde pro Woche nachgegangen.
Die Erwerbsquote, welche nicht nur die besagten 122‘000 über 65-Jährigen einschliesst, sondern auch noch jene unter 75, die aktiv nach einer Arbeit suchten, liegt bei den Männern bei 14,5 Prozent und bei den Frauen bei 5,6 Prozent. Es scheint, als ob die Damen zu Hause mehr anzufangen wissen als die Herren.
Das sind die offiziellen Zahlen. Daneben gibt es aber vermutlich noch eine Dunkelziffer, denn nicht jeder Pensionierte, der sich für eine Arbeit bezahlen lässt, fasst dies als «Erwerbstätigkeit» auf. Es ist vielmehr eine Art Zeitvertreib für jene, die kein Eigenheim zu renovieren, keine Ausflüge zu unternehmen oder keine Grosskinder zu betreuen haben und auch sonst nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen.
Zumindest ist das der erste Eindruck, den man gewinnen könnte, wenn man sich die inzwischen schon fast unzähligen Online-Plattformen anschaut, welche wie Pilze aus dem Boden schiessen und den offensichtlich zeitlich unterbelasteten Pensionären einen Job vermitteln wollen: rentarentner.ch, activas.ch, pensiojob.ch, emeritus-work.com, rentnerpower.ch, arbeitsrentner.ch (keine abschliessende Aufzählung).
Wer also jemanden zum «Bilder aufhängen», für «Gartenarbeit allgemein», fürs «Auto durch die Waschstrasse fahren» oder fürs «Dogsitting» sucht, der wird bestimmt auf einer dieser Plattformen fündig. Den Angeboten scheint kaum eine Grenze gesetzt zu sein.
emeritus-work.com beispielsweise hat sich eher auf die gehobenen Ansprüche spezialisiert und will darum «die Fähigkeiten und Kompetenzen ehemaliger Führungs- und Fachkräfte den Unternehmen für anspruchsvolle Aufgaben und Projekte zur Verfügung: in der Produktion, in der IT, im Vertrieb, im Verkauf, in der Administration oder im Marketing – schnell, kostengünstig und effizient.»
Unsozial gegenüber Jüngeren
Das klingt alles bestechend gut und wunderbar. Von den Nachteilen – auch die gibt es – spricht allerdings niemand, denn wer will sich schon gegen diese vordergründig tolle Idee auflehnen? Wer will sich schon gegen die Möglichkeit auflehnen, dass sich die Rentner ihre Rente verbessern können?
Die angesprochenen Nachteile tangieren nicht die Pensionierten selbst, sondern das, was sie mit ihren Angeboten auslösen. Der Erste davon betrifft die Kommerzialisierung dieser Rentner-Angebote.
«Alt hilft jung» klingt gut. Wer sich Hilfe auf einer dieser Plattformen sucht, der muss allerdings bereit sein, dafür auch etwas zu bezahlen. Das hinterlässt einen schalen Beigeschmack, denn dadurch fällt auch ein Stück Solidarität zwischen den Generationen der Kommerzialisierung zum Opfer.
Auch wenn der häufig zu findende Ansatz von 25 Franken pro Stunde nicht hoch ist: Es ist mehr als bloss ein Unkostenbeitrag. Dass der Auftraggeber für die Unkosten wie etwa die Anfahrt oder die verwendeten Materialien (die Nägel fürs Bilderaufhängen) aufkommt, steht hier nicht zur Diskussion.
Es geht bei der Erwähnung eines Stundenansatzes aber offensichtlich nicht mehr bloss nur um einen Zeitvertreib. Von Freiwilligenarbeit kann somit nicht gesprochen werden, was irgendwann zwangsläufig zur Frage führt, weshalb die jüngeren Generationen noch Freiwilligenarbeit gegenüber den älteren leisten sollen…
Der zweite Punkt betrifft den Arbeitswegfall für die jüngere Arbeitnehmerschaft, welche auf ein regelmässiges Einkommen angewiesen ist. Statt wie bisher einen ausgebildeten, jungen und selbständig erwerbenden Gärtner für den zu gross gewordenen Garten zu engagieren, kann nun ja ein rüstiger Rentner helfen. Auch der bisherige Taxi- oder Kurierdienst wird nun nicht mehr benötigt – um noch ein Beispiel von vielen weiteren Beispielen dieses Arbeitswegfalls für Jüngere zu nennen.
Gewiss: Nicht alle Rentner-Angebote stellen die kommerziellen Angebote eines bestehenden Berufszweiges in Frage. Dennoch lässt sich nicht wegreden, dass es zahlreiche Angebote gibt, die genau dies tun. Es gibt denn auch keine Grenze: Jeder ehemalige Elektriker oder Zahnarzt oder Anwalt oder … kann genauso seine Dienste anpreisen.
Damit verbunden ist auch der dritte stossende Punkt: Das Lohndumping. Währenddem der Schweizer Wirtschaftsminister aufgefordert wird, etwas gegen Lohndumping vor allem durch ausländische Arbeitnehmer zu unternehmen, findet hier ohne Aufhebens genau das statt. Selbst die ansonsten teuren Unternehmensberater sind für Unternehmen zu «Schnäppchenpreisen» zu haben sind.
Dass auch Pensionierte ihre Dienste anbieten, wird hier nicht in Frage gestellt. Gegenüber den Nicht-Pensionierten wäre es aber nichts als fair, wenigstens die gleichen branchenüblichen Tarife zu verlangen, sodass dabei nur ein Vorteil im Sinne der grösseren Erfahrung entstünde.
Das steht aber im Gegensatz zu dem, was beispielsweise rentnerpower.ch online ziemlich prominent schreibt: «Wichtig: Günstiger als kommerziell arbeitende Unternehmen sollte ein Rentner schon sein!» (man merke sich das Ausrufezeichen).
Das steht auch im Widerspruch zur Ansicht, dass «älter» nicht automatisch bedeutet, weniger wert zu sein. Oder andersrum: Mit tiefen Ansätzen untermauern die Pensionierten selber das Image, dass sie nicht mehr wert sind…
Ein weiterer Punkt betrifft die Sozialabgaben. Ganz offen werben einige der genannten Plattformen damit, dass bis zu einem Einkommen von 1‘400 Franken pro Monat keine AHV/IV/EO-Beiträge entrichtet werden müssen, weder durch den Pensionär noch durch den Auftraggeber (Privatpersonen oder Unternehmen).
Das heisst, diese Pensionäre kassieren nicht nur AHV-Beiträge ein, welche von den unter 65-Jährigen bezahlt werden, sondern sie müssen selber für ihr «Zubrot» auch noch keine Sozialbeiträge leisten. Das entspricht nicht dem Sinn und Zweck der AHV, welche vorsieht, dass Menschen im Ruhestand weiterhin ein Einkommen haben. Nur: In diesem Fall spricht niemand von einem Missbrauch der Sozialwerke…
Übrigens: Das Ganze wird teilweise noch von bekannten Organisationen unterstützt. So verkündete arbeitsrentner.ch vor zwei Monaten stolz, dass man Coop als Hauptsponsor gewinnen konnte. Und bei activas.ch ist unter anderem die Postfinance mit von der Partie – wohl auch um die eigene Bezahllösung «PostFinance Mobile» anbieten zu können…
Wie wäre es mit Freiwilligenarbeit?
Natürlich darf man nicht alle arbeitswilligen Pensionierte in den gleichen Topf werfen. Es gibt auch solche, welche um jeden Zustupf dankbar sind. Auf sie sind die besagten Plattformen aber nicht ausgerichtet:
- rentarentner.ch: «Wir suchen täglich frische Rentnerinnen und Rentner, die nicht auf der faulen Haut liegen wollen.»
- activas.ch: «Ihre Erfahrung zählt»
- pensiojob.ch: «Sie sind motiviert etwas zu tun und möchten Ihre grosse berufliche Erfahrung weiter einbringen?»
- emeritus-work.com: «Wir suchen Sie: Top Führungs- und Fachkräfte!»
- rentnerpower.ch: «Aktive Alte arbeiten»
- arbeitsrentner.ch: «Suchen sie ein SINN-volles Leben?»
Wer im so genannt hohen Alter finanziell knapp dran ist, der bietet seine Dienste wohl kaum für 25 Franken pro Stunde auf einer dieser Plattformen an, sondern sucht wohl eher eine Stelle mit einem regelmässigen Salär, bei der auch ein Ausfall wegen Krankheit abgedeckt wäre.
Doch damit steckt die suchende Person in einer Zwickmühle: Für ein «normales» Gehalt ist sie einerseits zu teuer. Auf der anderen Seite setzen Plattformen wie oben beschrieben mit den darauf kommunizierten Stundenansätzen einen neuen Standard.
Wer also dringend auf einen Zustupf im Pensionsalter angewiesen ist, zugleich aber auch altersbedingt keine Vollzeitstelle mehr besetzen mag, der muss sich mit solchen Ich-habe-ja-sonst-nichts-zu-tun-Stundenansätze abfinden…
Übrigens, dieses Jahr gilt als das Europäische Freiwilligenjahr. Wer pensioniert ist und mit seiner Zeit nichts anzufangen weiss, könnte ja auch einmal kostenlos etwas machen.
Das gibt dem Leben mindestens so viel Sinn wie ein angebotener Job über die besagten Plattformen. Und es hinterlässt ein verdammt gutes Gefühl, unentgeltlich etwas Gutes getan zu haben – statt nur den guten Engel zu spielen, wenn die Entschädigung stimmt…
unsozial gegenüber Jüngeren:
Dies könnte entkräftet werden, wenn der künftige Rentner zB. sein Pensum ab 60 auf 80% reduziert, ab 62 auf 60% usw. . Dann könnte er entsprechend länger arbeiten.
Dies hat auch den Vorteil, dass bei anspruchsvollen, von Erfahrung abhängigen Jobs die Übergabe um einiges besser gestaltet werden kann.
Wenn ich aber Typen wie Verwaltungsräte, Stiftungsräte, oder scheinbar unersetzliche wie Sepp Blatter, Blocher usw. sehe, braucht der Normalverdiener kein schlechtes Gewissen zu haben.
@ Raffnix
Du meinst, die ältere Generation soll weiterhin fest angestellt sein, aber ab 60 zunehmend reduzieren? Gäbe es dann auch eine Grenze nach oben, ab welcher gar nicht mehr bezahlt gearbeitet werden dürfte?
das wird ja nie möglich werden….. und ist auch nicht sinnvoll, das gesetzlich vorzuschreiben.
Wenn das Volk genügend selbstsicher ist und nicht unterdrückt wird, sollte es den Mut aufbringen, diese alten Säcke wegzubefördern.
Warum es bei Sepp Blatter, Blocher , Berlusconi und co nicht funktioniert, hat verschiedene Gründe. Es liegt an Macht und Geld…. das heisst Ansehen und Sex …
@ Raffnix
Es gibt Gemeinschaften, die überhaupt keine Pensionierungen kennen und deswegen nicht unglücklicher sind. Die gehen es aber auch in jungen Jahren ruhiger an, denn die sind nicht so wie wir darauf konditioniert, Rückstellungen für die Zeit nach 65 Jahren zu machen. Allerdings spielt in diesen Fällen die Familie auch noch eine gewisse Rolle.
Da die Bevölkerung immer älter wird und nicht gleich viel Jüngere nachfolgen, würde etwas in der Art sicher Sinn machen. Wir können uns darauf vorbereiten oder es einfach auf uns zukommen lassen: Früher oder später werden wir gezwungen sein, länger zu arbeiten, weil ansonsten weniger Junge immer mehr älter werdenden Menschen die AHV bezahlen sollen. Das wird auf Dauer nicht gehen, ergo wird die ältere Generation sich in irgendeiner Form daran beteiligen müssen.
Die Frage nach dem Abgeben der Macht ist ein anderes Thema. Hier ist mir das Alter weniger wichtig, zumindest so lange, wie beispielsweise die besagten Herren über einen demokratischen Prozess gewählt werden. Sinnvoller fände ich hingegen eine Amtszeitbeschränkung, damit es nicht zu Sesselklebern kommt (egal ob jung oder alt).
Grundsätzlich bin ich einverstanden.
Die Praxis zeigt ja, dass das Pensionsalter eine rein rechnerische Grösse ist. Wer früher geht, muss mehr sparen …..
Manchmal höre ich zwar, dass sich einige nicht früher pensionieren lassen wollen, weil sie sonst die Arbeitgeberbeiträge nicht kassieren können … auch ein Argument.
Ich würde gerne mit 64 in Rente gehen, bei meinem Arbeitgeber muss ich das auch, nur kann ich es mir praktisch nicht leisten. 40 Jahre gearbeitet und im Alter muss ich nun den Gürtel noch enger schnallen. Der Umwandlungssatz fällt und damit auch meine PK-Rente ins Bodenlose, das ist ungerecht. Ich spare wo ich kann, habe 2 Kinder grossgezogen (alleine) da blieb Jahrelang nicht viel zum sparen wir waren froh über die Runden zu kommen, und nun? und so geht es nicht nur mir sondern vielen Anderen auch. Es ist also nicht so dass wir unbedingt weiter arbeiten wollen, sondern müssen.
@Veronica
Das ist bedauerlich und für Dich sicherlich auch ärgerlich.
Bei den erwähnten, hier kritisierten Plattformen geht es vor allem um Nebenjobs für Pensionierte, quasi als „Zeitvertreib“, und nicht etwa, weil sie Geld verdienen MÜSSEN (wie in Deinem Fall).
Wo die PK dann steht, wenn ich ernsthaft an die Pension denken darf, wird sich zeigen…
der Umwandlungssatz sinkt ja bloss deshalb, weil wir länger leben (wollen oder müssen?). Dazu kommt auch noch, dass die Rendite auf PK-Kapital kaum noch was abwirft (ausser für die Banken, Fondmanager und Fond-inFond-Manager). Dazu kommt, dass die PK-Kassen auch noch ihre Stammhäuser (z.B. Versicherungen) quersubventionieren, und die Manager vor lauter Boni-Übermut ihre Firmen in den Sand setzen.
Wer gaenau hinschaut, sieht, dass vom monatlich einbezahelten Betrag gleich 10 bis 20% Risikoprämien abgezogen wird, die dann irgendwo versanden. Gleichzeitig wird der Bundesrat so einseitig „gelobbyingt“, dass er schon Zinssenkungen auf Vorrat verordnet, immerhin wollen die ja auch mal Verwaltungsratsposten erhalten!
Das angesparte Kapital, das nun kaum mehr zinsbringend angelegt werden kann, wird in Immobilien investiert, am liebsten zu überhöhten Preisen in Luxusobjekte, damit man das Geld auch schnell loswird. Das treibt die Baukosten und die Mietzinsen in die Höhe ….. wir sind die Mieter.