Verfolgt man die kulturelle, soziale oder auch technische Entwicklung des Menschen, so stellt man fest, dass es immer wieder wichtig war, sich am bereits Bestehenden zu orientieren. Aber was passiert, wenn das nicht mehr möglich ist?
Der Mensch hat verschiedene Gaben, welche ihn von allen anderen Lebewesen markant unterscheidet. Darunter fällt etwa seine Kreativität und sein Vorstellungsvermögen, die es im ermöglichen, Probleme, Herausforderungen oder Bedürfnisse zu lösen. Gekoppelt mit einem anderen menschlichem Wesenszug, dem Tatendrang, wird aus einer Idee manchmal sogar auch Realität.
Nachahmung als Normalfall
So entstanden die ersten Geräte, welche zu erfolgreicheren Jagdgängen führten oder welche später den Ackerbau ermöglichten. Diese Entwicklung ging bekanntlich laufend weiter und endet im Heute.
Wer jedoch glaubt, dass die Anwendung unserer Kreativität zur Bewältigung von Herausforderungen gleichbedeutend ist mit der Schaffung von etwas komplett Neuem, der irrt. Wenn es gilt, etwas vermeintlich Neues zu schaffen, dann orientieren wir uns meistens am Bestehenden. Dieses Vorgehen hat viele Namen: Wir ahmen nach, kopieren, plagiieren oder lassen uns inspirieren.
Das geschieht nicht erst im Erwachsenenalter, sondern bereits von Kindesbeinen an. Kinder beobachten die Erwachsenen und ahmen diese in der (Aus-)Sprache, im Verhalten, in der Gestik usw. nach. Unser Bildungssystem ist ebenfalls mehrheitlich auf Nachahmung ausgerichtet: Eine Lehrperson macht es vor, die Lernenden machen es ihr nach.
Sind wir einmal erwachsen, besuchen wir Fotografie-, Koch- oder andere Kurse. Es gilt dabei die gleiche Rollenverteilung gilt wie im üblichen schulischen Bereich mit dem Vormachen und dem Nachmachen.
Weniger offensichtlich ahmen wir aber auch im Alltag andere nach: Bei der Benützung eines Automaten, den wir vorher nicht kannten; beim Vorgehen in einem Fastfood-Restaurant um an etwas Essbares zu gelangen (im Gegensatz zu einem «normalen» Restaurant); bei der Verwendung der Tastatur und der Tastaturkürzel usw.
Selbst im hohen Alter nimmt das Nachahmen kein Ende. Im Gegenteil: Älteren Menschen muss manchmal sogar ganz bewusst gezeigt werden, wie sie etwas (wieder) so machen können wie alle anderen.
Andere nachzuahmen ist zur Befriedigung der Grundbedürfnisse nicht nur überlebensnotwendig. Die Nachahmung vermittelt auch ein Gefühl der Ebenbürtigkeit und der Zusammengehörigkeit, sei es bei der Sprache, bei der Bekleidung, beim Verhalten usw. Das geschieht nicht selten innerhalb von Gruppen sogar unbewusst: Wo nur geflüstert wird, flüstern auch wir, und wo geklatscht wird, klatschen wir mit.
Langer Rede, kurzer Sinn: Wir sind von Kindesbeinen an darauf «programmiert», uns am Bestehenden zu orientieren und dieses nachzuahmen oder zu kopieren.
Ständige Weiterentwicklung
Dabei bleibt es aber häufig nicht. Der menschliche Ehrgeiz treibt viele dazu, etwas besser zu machen, also besser nachzuahmen oder zu kopieren. Das Rezept, das Sie kürzlich bei einem Besuch von der Gastgeberin oder vom Gastgeber erhielten, wollen Sie nicht nur mindestens gleich gut nachkochen, sondern wenn möglich noch besser – wenigstens beim ersten Versuch.
Und häufig soll eine Sache nicht bloss nur besser herauskommen, sondern auch anders. Diese Sache soll weiterentwickelt werden, mehr können, mehr Vorteile bieten, weniger Nachteile haben und damit insgesamt noch besser sein als das Bisherige. Sie fügen dem Rezept quasi noch ein paar Zutaten hinzu oder lassen etwas weg.
Dem heutigen Menschen sind bei der Weiterentwicklung aber gewisse Grenzen gesetzt: Unveränderliche wie etwa physikalische Grenzen oder veränderliche wie beispielsweise ethisch-moralische Grenzen.
Zu den veränderlichen Grenzen zählen auch die rechtlichen Grenzen, welche zusammengefasst als «Immaterialgüterrecht» bezeichnet werden können. Hierzulande fallen darunter das Patentrecht, das Designrecht, das Markenrecht und schliesslich noch das Urheberrecht.
Sie sorgen dafür, dass mehr oder weniger kreative Einfälle rechtlich als «geistiges Eigentum» fassbar werden, um sodann zu versuchen, sie vor (gewerblicher) Nachahmung zu schützen.
Innovationsblockade
Geht man von der eingangs erwähnten Theorie aus, dass wir uns immer an etwas Bestehendem orientieren um daraus dann etwas Weiterentwickeltes zu schaffen, entspricht das Immaterialgüterrecht einem einzigen Minenfeld.
Denn entweder wird ein «Geistesblitz» so detailliert beschrieben, dass schon eine geringe Abweichung davon eine Umgehung des rechtlichen Schutzes erlaubt. Allenfalls wäre dann mit Klagen zu rechnen, weil die abweichende Sache der rechtlich geschützten Sache zu ähnlich sei. Hier könnte man den so genannten «Patentstreit» zwischen Apple und Samsung einordnen.
Oder aber ein kreativer Einfall wird so grob umschrieben, dass für andere viel Handlungsspielraum wegfällt. Innerhalb dieses grob abgesteckten Rahmens dürfen sie sich nicht bewegen – oder sie haben eine lange Zeit abzuwarten (beim schweizerischen Patentrecht sind es 20 Jahre, im Urheberrecht 70 Jahre, bei Software allerdings «nur» 50 Jahre usw.).
Schliesslich birgt der rechtliche Schutz auch das Risiko, dass eine Weiterentwicklung nicht erfolgt oder ins Stocken gerät. Andere, die den Ansporn hätten, eine Sache eben noch besser zu machen, dürfen sich dann nicht (bedingungslos) auf das Bestehende abstützen.
Durch die zunehmende Vernetzung dank Internet wird dieses Minenfeld nur noch grösser. Vor dem Internet-Zeitalter wussten zwei Menschen mit dem zufällig fast gleichen Einfall innerhalb desselben Zeitraums kaum etwas voneinander.
Heute wird entweder eine neue oder weiter entwickelte Sache breit angekündigt um aller Welt zu sagen «Ich war der Erste!» oder man behält die Sache vorerst geheim um zuerst in den zahlreichen, zum Teil miteinander vernetzten Registern nach bereits Bestehendem zu suchen (damit man später nicht das Nachsehen hat).
Zu all dem gilt es zu beachten, dass je enger der Rahmen ist, in welchem man sich noch bewegen kann oder darf, desto kleiner ist die Anzahl an Neu- oder Weiterentwicklungen, egal ob es sich nun um eine technische Erfindung, ein Stück Musik oder ein Markenlogo handelt.
Wer Innovationen fördern will – und das ist in der Schweiz immer wieder zu hören – der tut darum gut daran, den rechtlichen (Schutz-)Rahmen nicht zu eng zu schnüren um der Innovationskraft nicht die Luft abzuschnüren.
Denn vergessen wir nicht: Da, wo wir heute sind, stehen wir nur, weil wir uns immer wieder am Bestehenden orientieren konnten – häufig ohne rechtlichen Schutz. Wenn das nicht mehr möglich ist, könnten bald selbst die besten Ideen unverwirklicht bleiben.