Was ist Meinungsvielfalt?

Ohne unabhängige Medien wäre die Demokratie gefährdet, weil die Meinungsvielfalt nicht mehr gewährleistet sei. Dieser Ansicht sind viele, nicht zuletzt auch Politiker selbst. Jüngste Äusserungen von Politikern und Medienschaffenden lassen aber am bisherigen Verständnis von Meinungsvielfalt zweifeln…

Am Montag nahm der Nationalrat ein Postulat der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Nationalrats mit dem Titel «Presseförderung. Alternative Modelle zur Posttaxenverbilligung» kommentarlos an, gewiss auch weil sich auch der Bundesrat selber für eine Annahme aussprach und ein ähnliches Postulat im vergangenen Herbst bereits angenommen wurde (mehr dazu unten).

Darin fordert die nationalrätliche SPK den Bundesrat auf, bis Ende 2010 einen Bericht vorzulegen über die Wirksamkeit der Presseförderung mittels Verbilligung der Posttaxen, über andere Möglichkeiten zur Förderung der Presse zwecks Sicherstellung der Presse- und der Meinungsvielfalt sowie über einen möglichen Übergang zur direkten Presseförderung.

Ein politischer Dauerbrenner

Der Themenkreis Presseförderung/Pressevielfalt ist ein politischer Dauerbrenner. Ausgelöst von der Fusion zwischen Tamedia und Edipresse will seit knapp einem Jahr der Luzerner SP-Nationalrat Hans Widmer vom Bundesrat wissen, was denn der Bund gegen die «Medienkrise» tue. Seine Interpellation wurde bis dato vom Nationalrat nicht behandelt.

Fast gleichzeitig lancierte der Genfer CVP-Nationalrat Luc Barthassat einen Vorstoss, der darauf abzielte, dass zur Unterstützung der «unabhängigen Presse» – was darunter auch immer verstanden wird – eine Steuer auf Gratiszeitungen erhoben werden soll.

Seine Motion wurde am 12. Juni letzten Jahres abgelehnt, also am selben Tag, an dem der Schaffhauser SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr ein Postulat einreichte, mit welchem er die «Pressevielfalt sichern» will. Dieser Vorstoss wurde angenommen und soll auch im Rahmen des eingangs erwähnten, vorgestern angenommenen SPK-Postulats beantwortet werden.

Vor knapp einem Monat reichte zudem die nationalrätliche SPK selber eine parlamentarische Initiative unter dem Titel «Neues Modell der Presseförderung» ein, welche die «Erhaltung und Förderung einer inhaltlich vielfältigen und mehrstimmigen Qualitätspresse in der Schweiz» zum Ziel hat.

Jüngste Ereignisse prägen die Vorstösse

Die oben stehende Aufzählung ist natürlich nicht abschliessend und könnte noch beliebig erweitert werden, insbesondere von Vorstössen von vor zwei oder mehr Jahren.

Auffallend bei den jüngsten Vorstössen ist jedoch, dass sie geprägt sind von den jüngsten Ereignissen auf dem Medienmarkt, insbesondere vom Kauf der Edipresse durch Tamedia.

Darum, so in etwa der Grundtenor aller jüngeren Vorstösse, sei die Pressevielfalt und somit auch die Meinungsvielfalt gefährdet. Dem will man schon seit einiger Zeit damit entgegentreten, indem vor allem kleinere und mittlere Verlage unterstützt werden sollen und dies nicht bloss über die Tarife der Post für einen günstigeren Versand der jeweiligen Erzeugnisse.

Das mag soweit alles richtig sein. Die Medienkonzentration führt tatsächlich dazu, dass auch im redaktionellen Bereich vermehrt «zusammengearbeitet» wird. Ein jüngeres Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit zwischen den Tageszeitungen «Tages-Anzeiger» und «Bund».

Ein anderes Beispiel ist die Aufhebung der Westschweizer Gratis-Postille «Le Matin bleu» und die teilweise übernommene Redaktion durch «20 Minutes».

Ringier wiederum legt zwar nicht die Titel, dafür die Redaktionen von vier «Blick»-Produkten in einem einzigen «Newsroom» zusammen und wird so genannte Primeur dort erscheinen lassen, wo es wirtschaftlich am Lukrativsten erscheint (Hannes Britschgi: «Bezahlzeitung vor Gratiszeitung») – es lebe die redaktionelle Unabhängigkeit…

Meinungsmonopol: Im Lokalen nichts Neues

Doch ob diesen eindrücklichen und zugleich für die Meinungsbildung und Meinungsvielfalt beängstigenden Tatsachen bei Titeln mit nationaler Bedeutung geht vor allem eines vergessen: Ein Meinungsmonopol gibt es im lokal-regionalen Bereich ebenfalls und das nicht erst seit zwei oder drei Jahren.

Wir, und damit auch die Politiker, haben uns schon längst daran gewöhnt, dass wir nur noch von einer Lokalzeitung bedient werden. Was über das lokale Geschehen berichtet – und vor allem nicht berichtet wird, hängt somit von einer einzigen Redaktion ab.

«Eine demokratische Meinungsbildung braucht verschiedene Informationsquellen und verschiedene Thesen. Aus These und Antithese können der Bürger und die Bürgerin die beste Synthese bilden. Deshalb brauchen wir eine Vielfalt, die in den allermeisten Kantonen – die Kantone Zürich und Tessin z. B. sind die ganz grossen Ausnahmen – nicht mehr existiert.»

Was Andi Gross, Zürcher SP-Nationalrat, da am 23. September 2003 gesagt hatte, gilt nicht nur für nationale Themen, es gilt in gleicher Weise auch für lokale oder regionale Themen. Denn, wie sagte er doch ebenfalls anlässlich der gleichen Wortmeldung:

«In diesem Land, das sozusagen über einen Drittel der Macht an die Kantone delegiert – der Drittel der Gemeinden kommt noch dazu -, in diesem Land, in dem mehr als die Hälfte der Gestaltungsmacht und auch der öffentlichen Gelder bei den Kantonen und bei den Gemeinden ist, gibt es ausgerechnet dort, wo so viel Macht existiert, die Voraussetzungen für die Machtkontrolle nicht mehr.»

Bisherige Bemühungen gescheitert

Diese Zitate stammen übrigens aus der Debatte der Herbstsession 2003 des Nationalrats für einen möglichen Medienartikel in der Bundesverfassung. Dieser hätte eine vielfältige Medienlandschaft fördern sollen. Daraus wurde allerdings nichts – vorläufig zumindest.

Geblieben ist einzig ein interessanter Bericht seitens der SPK-Subkommission «Medien und Demokratie». Daraus können die nachfolgenden Zahlen aus dem Jahr 2001 entnommen werden:

In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl der Tageszeitungen von 120 auf unter 100 reduziert, die Zahl der Vollredaktionen gar von 60 auf 40 (…). In Fachkreisen wird spekuliert, dass es im Jahr 2010 in der Schweiz gerade noch neun grosse Verlagshäuser mit jeweils mehreren Titelgruppen geben wird. Insbesondere auf regionalpolitischer Ebene ist eine Monopolbildung im Medienwesen zu beobachten.

Von diesen neun grossen Verlagshäusern sind wir heute, im 2010, nicht weit entfernt und die Zahl an Tageszeitungen und Vollredaktionen dürfte zwischenzeitlich sicher auch noch weiter gesunken sein.

Bemerkenswert hierbei auch die nachfolgende, inzwischen siebenjährige Einschätzung:

Das Tageszeitungsmonopol ist in vielen Regionen Tatsache. Der Basler Einzelfall ist in der Schweiz weitgehend zum Normalfall geworden. Auch die Hoffnung, wonach das Aufkommen neuer lokaler Medien, d.h. lokaler Radio- und Fernsehstationen, eine Wiederbelebung der Konkurrenz bewirken würden, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil verstärkten die elektronischen Medien in der Regel das Monopol im Bereich der Presse. So sind Multimediaverlage entstanden, welche Zeitung, Radio und Fernsehen besitzen.

Es bleibt zu hoffen, dass mit dem nun erneut genommenen Anlauf etwas resultiert, das nachhaltig die Meinungsvielfalt gewährleistet. Letztere liegt schliesslich auch im Interesse der heutigen Medienunternehmen, damit sich die Medienkonsumenten nicht weiter von ihren etablierten Produkten abwenden und die entsprechenden Abonnements kündigen (oder nicht mehr erneuern).

Handlungsbedarf weiterhin vorhanden

Die Zeichen dafür stehen zurzeit allerdings nicht sehr gut. So ist inzwischen die DDP Schweiz verschwunden, eine von zwei Schweizer Nachrichtenagenturen, auf welche sich viele Verlage als Erst- oder Zweitquelle abstützten.

Auch die «Newsroom-Strategien» lassen bis anhin unabhängig agierende und sich gewissermassen konkurrierende Redaktionen innerhalb eines Medienunternehmens verschwinden. Jüngstes Beispiel hierfür sind «Blick», «SonntagsBlick», «Blick am Abend» und «Blick online», deren Redaktionen allesamt in einem Raum untergebracht sein werden.

«Jeder hört von dem anderen, was läuft», lässt dazu «SonntagsBlick»-Chef Hannes Britschgi in der jüngsten Ausgabe von «Schweizer Journalist» verlauten. Und wenn man weiss, was der andere macht, packt man selber logischerweise das gleiche Thema nicht nochmals an – auch nicht von einer anderen Seite her. Das bisherige Sich-gegenseitig-anstacheln entfällt.

Ernüchternd sind auch die 42 Fragen, welche der SoBli-Chef dem Chefredaktor der genannten Branchenzeitschrift beantwortete (online nicht abrufbar). Da ist die Rede von potentiell internen und bestehenden externen Querelen, von wer-schlachtet-wann-welchen-Primeur-aus und von Newsroom-Regeln.

Doch keine einzige Frage beschäftigte sich mit der Meinungsvielfalt – oder wenigstens vertiefend mit der redaktionellen Unabhängigkeit. Es erstaunt, dass das kein Thema bei einer Massnahme mit so einschneidenden Folgen für die bisherigen Redaktionen ist.

Offensichtlich hat man sowohl in der Politik wie auch unter den Medienschaffenden unterschiedliche Vorstellung davon, was Meinungsvielfalt ist, ob und wo diese wie zu fördern wäre…

6 Antworten auf „Was ist Meinungsvielfalt?“

  1. Meinungsvielfalt?
    Wo?

    Nach meiner Beobachtung gibt es 3 Zeitungen mit einer eigenen Meinung (man kann sie teilen oder auch nicht):
    – NZZ
    – WoZ
    – Weltwoche

    Der ganze Rest bringt das Gleiche mit der gleichen mainstream-politisch-korrekten „Haltung“.

    Einschränkung: vom ganzen Rest kenne ich (und lese täglich bis wöchentlich):
    – Tagesanzeiger
    – 20 Minuten
    – Blick
    – Mittellandzeitung

  2. Gerade weil mich der Lokalteil interessiert, habe ich „den Bund“ weiterhin abonniert, da sie den Relaunch dieses „Traditionsblatts“ meiner Meinung nach ganz gut hinbekommen haben.
    Aber ich gebe dir recht, der Druck auf die minilohnziehende Schreiberzunft durch die Verlagsverwalter muss enorm sein, und dann tauchen da auch immer wieder diese narzistisch besserwisserischen Blogger, von A wie Augenreiberei über J wie Journalistenschredder, hin zu Z wie Zappadong auf, die das mehrfach aufgekochte Geschreibsel hinterfragen und sich gegenseitig anstacheln, ebenfalls mal über das Ge- und den Inhalt von newsnetz – Texten nachzudenken …
    😉

  3. @ Kikri
    Eine Meinung haben sicher alle, aber die drei von Dir genannten weichen in ihrer Meinung sicher am ehesten voneinander ab, währenddem die anderen sich irgendwo im Mittelfeld tummeln (kommt mir irgendwie vor wie in der Politik… 😉 ).

    Die drei Titel zeigen aber das Dilemma gut auf: Wenn Du eine andere Meinung lesen willst, musst Du gleich einen radikal anderen Titel wählen, also von der linken WoZ über die liberale NZZ zur rechten Weltwoche. Grauzonen mit entsprechenden Nuancen gibt es nicht, weil es keine eigentliche Konkurrenz gibt. Dadurch fehlt auch der Ansporn innerhalb der gleichen Ausrichtung (keine zweite linke oder rechte Zeitung versucht dem Konkurrenten das Wasser zu reichen). Allerdings stimmt das Schwarz-grau-weiss-Malen mit den drei Titeln dahingehend nicht, als dass der Stil bei allen dreien ein völlig anderer ist.

    Dem ist hingegen nicht so bei Regionaltiteln wie eben die MZ (als Beispiel). Hier stellt sich erst recht die Frage: Wo ist die Zweitmeinung im Mittelland?

    @ Bobsmile
    Ja diese Blogs mit ihrem permanenten Presse-Bashing sind einfach müssig, obschon – das musst Du zugeben – Du nirgendwo wenigstens einen Dreizeiler über den Entscheid von letztem Montag gelesen hattest, oder? 😉

    Andererseits: In dieser «Sub-Kultur» des virtuellen Daseins ist eine Meinungsäusserung möglich, wie sie für unsereiner nirgendwo anders möglich ist. Zudem hört man (ich glaube aus den USA) Stimmen, die meinen, dass Blogs für viele glaubwürdiger wären als Zeitungen. Auch das sollte zum Nachdenken anregen.

    Die so genannte «Vertrauenskrise» hat wohl viele Gesichter…

  4. I.d.R. sind die Meinungen von WW, NZZ und WoZ nicht kompatibel.
    Als Leser werden mir mindestens 3 Perspektiven auf ein Thema gezeigt.
    Für mich ist es dann die Herausforderung, in mich hineinzuhören und mir meine Meinung zu bilden.
    Wenn ich überall nur das gleiche lese, werde ich es wahrscheinlich als Wahrheit betrachten.
    Zur Zeit versuchen z.Bsp. Tagesanzeiger und MZ, die Verfehlungen des IPCC (Klimawandel) kleinzureden und betonen, dass der menschengemachte Klimawandel Realität ist.
    Ohne Begründung, ohne Beweiskette, ohne Widerlegung der Gegenargumente, einfach so.
    Es wird gar nicht aufgezeigt, dass es ernsthafte Gegenargumente gibt. Es werden nur ein paar „Durchgeknallte“ präsentiert.
    Argumente, Gegendarstellung, Hintergründe ..
    Nix die Bohne
    Also wie gehabt.

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