Der Handel mit Hoffnungen und Ängsten

In rund sechs Monaten wählt die Schweiz ein neues Parlament. Vielen traditionellen Parteien droht eine herbe Niederlage. Sie könnten von der SVP lernen oder – noch besser – von Barack Obama.

Wissen Sie bereits, wen oder welche Partei Sie im Oktober dieses Jahres wählen werden? Oder haben Sie sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht? Wollen Sie den Wahlen vielleicht ganz fern bleiben?

Sollten Sie wählen gehen, dann müssen Sie sich eines bewusst sein: Sie wählen in jedem Fall zwischen Hoffnungen und Ängsten. Nicht mehr und nicht weniger. Denn: Wahlen sind immer ein Handel mit diesen beiden Abstrakta.

Nichts ist unveränderlich

Das ist auch logisch: Mehr als Hoffnungen wecken oder Ängste schüren können die Kandidierenden und ihre Parteien nicht, schliesslich geht es um die ungeschriebene Zukunft.

Zwar mögen einige Wiederkandidierende auf ihre Erfahrungen oder ihre Erfolge in der Vergangenheit verweisen. Diese erlauben aber bestenfalls, die eigene Glaubwürdigkeit oder Authentizität zu untermauern, sodass man deren geäusserten Hoffnungen oder Ängste für die Zukunft ernster nimmt.

Hoffnungen wecken Zuversicht, zeigen ein erstrebenswertes Ziel oder eine erstrebenswerte Vision auf und geben uns eine Perspektive. Die geschürten Ängste drücken hingegen den Wunsch aus, eine altbekannte Situation, in der man sich wohl fühlt, nicht verändern zu wollen.

So einfach das klingt, ist es allerdings selten. Selbst wenn alle Menschen den Wunsch hegen würden, alles unverändert zu lassen, so wären wir trotzdem Veränderungen unterworfen.

Einerseits altern nicht nur wir, sondern auch unsere natürliche oder künstlich erbaute Umgebung. Irgendwann ist ein altersschwacher Baum zu fällen oder er fällt von alleine um, irgendwann ist eine Hausfassade oder die gesamte Infrastruktur eines Hauses zu erneuern, irgendwann muss ein Strassenbelag erneuert werden.

Andererseits bringen das Wetter und damit auch die Natur Veränderungen mit sich. So hemmt beispielsweise die aktuelle Trockenheit das natürliche Wachstum der Natur. Würden sich die Gemüsebauern gegenüber dem Vorjahr unverändert verhalten und nicht mittels Bewässerung eingreifen, gingen viele Kulturen zugrunde. Es käme zu einer Verknappung und Verteuerung dieser Lebensmittel.

Es ist darum schon aufgrund der Abläufe in der Natur eine Illusion zu glauben, alles würde beim Alten bleiben, solange der Mensch nicht nach Veränderung aufbegehrt. Zudem ist auch Letzteres eine Illusion: Jeder Mensch verfügt über ein gewisses Mass an Ehrgeiz, welches ihn dazu motiviert, gewisse Dinge zu verändern, voranzutreiben, weiterzuentwickeln oder zu perfektionieren.

Durch diesen Ehrgeiz entstehen beispielsweise technische Neuerungen. Sie führen dazu, dass eine alte Sache nicht mehr weitergeführt wird. Wir sind darum gezwungen, spätestens dann eine Neuerung zu verwenden, wenn eine bestehende Sache vom Alter her ersetzt werden muss.

Darum: Wer die Illusion verkaufen will, man könne auf immer und ewig am Bestehenden festhalten und dabei vor allem die Angst vor Veränderungen schürt, sollte vielleicht Museumswärter werden. Er wird dann feststellen, dass selbst im Museum nichts vor dem (verändernden) Zerfall absolut sicher ist, sondern dieser bestenfalls verlangsamt werden kann.

Ein Häppchen Hoffnung

Kommen wir zur Hoffnung. Sie verspricht zwar mehr Erfolg als die Angst. Letzten Endes ist es mit ihr aber noch schwieriger, denn: Währenddem bei den Ängsten jeder ein klares Bild vom Bestehenden hat, das er verlieren könnte, projiziert bei den Hoffnungen jeder sein eigenes, noch unreelles Bild von dem, was sein soll oder sein könnte.

Darum verspricht die Hoffnung auch mehr Erfolg: Alle haben wir einen anderen Hintergrund und malen uns unser eigenes Bild aufgrund einer geäusserten Hoffnung. Es ist ein Bild, das immer rosig ist. Genau darum ist sie aber auch schwieriger, denn die Gefahr ist gross, dass deren Umsetzung in die Praxis dann nicht so erfolgt, wie sich das viele (unterschiedlich) ausgemalt hatten.

So ergeht es Barack Obama. Er gab den Menschen Hoffnung, indem er ihnen «Change» versprach und sie mit «Yes, we can» ermutigte. Doch viele Veränderungen sind – wenn überhaupt – wohl nicht so ausgefallen, wie es sich viele Amerikaner erhofften.

Ist es demnach schlecht Hoffnungen zu wecken? Bekommen die Kandidierenden, falls sie gewählt werden, irgendwann später die Quittung zugestellt, sollten sie Hoffnungen geweckt haben, die sie nicht erfüllen konnten?

Die Gewählten können sich die Umstände nicht aussuchen, welche später eintreten. Man könnte ihnen bestenfalls Blauäugigkeit vorwerfen, weil ihre Hoffnungen relativ isoliert und ohne Berücksichtigung aller Umstände geäussert wurden. So dürfte es auch Obama mit der Bewältigung der Finanzkrise wie auch mit der Übernahme der politischen und finanziellen «Hypotheken» der Bush-Administration ergangen sein.

Allerdings ist es wenig realistisch alle Umstände beim Ausdrücken einer Hoffnung zu berücksichtigen. Dies zu machen käme der Vision einer von A bis Z neuen Gesellschaftsordnung gleich. Dabei wurde selbst Rom nicht an einem Tag erbaut…

Es können deshalb nur «Häppchen» einer Hoffnung oder einer erhofften, «besseren» Welt sein. Können diese nicht erfüllt werden, bleibt es den Gewählten überlassen zu erklären, warum eine geäusserte Hoffnung unerfüllt blieb. Ob dies auch Obama gelingt, wird sich zeigen.

Hoffnungs-lose Schweizer Parteien

Wenn wir den Blick auf die Schweizer Parteienlandschaft richten, welche dieser Parteien schüren Ängste, welche versprechen Hoffnungen? Machen Sie sich vielleicht dazu erst ein paar Gedanken, bevor Sie weiterlesen. Vielleicht kommen Sie selber auf eine andere Schlussfolgerung als nachfolgend erwähnt.

Eine Meisterin im Ängste schüren ist zweifellos die SVP. Hoffnungen werden bestenfalls durchs Schüren von Ängsten geweckt. «Angstlose» Hoffnungen finden sich bei ihr inhaltlich aber keine.

In jüngster Zeit gehören auch die Mitte-Parteien CVP und FDP zu jenen, die Ängste schüren. Sie tun dies nicht inhaltlich, sondern indem sie auf die Bedeutung der Mitte-Parteien verweisen.

Ohne sie würden nämlich keine tragfähigen Lösungen zustanden kommen, lautet deren Botschaft. Wer also befürchtet, dass erneut ein häufig blockierendes Parlament in Bern tagen wird, der wählt wohl am besten eine der beiden Mitte-Parteien.

Hoffnungen wecken die Beiden kaum. Die CVP setzt auf die Schlagworte «Schweiz» und «Erfolg» und propagiert dementsprechend eine «erfolgreiche Schweiz dank CVP». Das zieht kaum neue Wählende an. Wer nicht erfolgreich war, wem es heute sozial schlechter geht und auf bessere Zeiten hofft, der dürfte eher die SP wählen als die CVP.

Auch die FDP weckt mit ihrer Themenwahl kaum neue Hoffnungen. Ihr ist es zwar mit der Forderung um den «Bürokratie-Stopp» gelungen, eine Thema aufzugreifen, das andere nicht bewirtschaften. Aber wen soll das hinter dem Ofen hervorholen? Leiden Sie als Wählende denn so sehr unter Bürokratie?

«Unver-hofft» weckt Hoffnungen

Hoffnungen wecken hingegen die Grünen, Grünliberalen und die BDP. Die BDP tut dies ebenfalls weniger inhaltlich. Sie ist – böse gesagt – einfach nur das «Auffangbecken» enttäuschter SVP- oder Mitte-Partei-Wählenden. Sie weckt Hoffnungen, weil sie neu ist und nicht auf Angstmacherei setzt. Sie weckt hingegen nicht Hoffnungen, weil sie völlig neue politische Inhalte vertritt.

Seit dem Unglück um Fukushima wecken die Grünen und Grünliberalen vor allem die Hoffnung, dass es dank ihnen bald Alternativen in Sachen Energieproduktion gibt. Damit sprechen sie zugleich aber auch Ängste an, denn wer möchte schon ohne Strom leben?

Die Grünliberalen sind insgesamt im Vorteil, weil sie auch noch die Hoffnung wecken, Ökologie und Ökonomie unter einen Hut bringen zu können. Zwar haben auch die Grünen eine Wirtschaftspolitik, welche nicht wesentlich von den Grünliberalen abweicht. Das wird von vielen allerdings kaum wahrgenommen. Unterscheiden tun sich die beiden vorwiegend in sozialen Fragen.

Die SP verspricht «Für alle statt für wenige». Weckt das Hoffnungen? Das Scheitern der Steuergerechtigkeitsinitiative zeigt zwar, dass sich die SP diesem Motto entsprechend einsetzt. Es zeigt aber auch, dass es ihr nicht gelungen ist, sich durchzusetzen.

Das weckt keine Hoffnungen. Gefragt wäre ein Erfolg, welche die Wählenden spüren lässt, dass diese Partei etwas zu bewegen vermag. Im Alleingang schafft sie das allerdings nicht.

Anzurechnen ist ihr aber, dass sie – auf die breite Masse bezogen – nicht mit Ängsten operiert. Diese dürften höchstens bei jener Minderheit geweckt werden, deren es wirtschaftlich sehr gut geht oder die die wirtschaftlichen Fäden in den Händen halten. Minderheitenschutz wäre hier aber trotzdem fehl am Platz.

Fehlende Perspektiven schüren auch Ängste

Wer der Angst Vorrang geben will, der wählt die SVP. Wer vorwärts kommen will, weil er der Überzeugung ist, dass einige wichtige Fragen (endlich) beantwortet werden müssten, der wählt eine Partei, die Hoffnung verspricht.

Doch genau da scheitern die meisten, vor allem traditionellen Parteien. Dass dem so ist, hat vielleicht auch mit einer gewissen Visionslosigkeit zu tun. In langfristigen Zielen und in Etappen hin zu diesen Zielen zu denken, ist keine Stärke der Schweizer Parteien.

Dahinter könnte auch Absicht stecken: Eine Vision der politischen Schweiz in 20 oder 30 Jahren könnte abschrecken, ergo bleibt man lieber unverbindlich und steuert das Boot gerade in jene Richtung, in welche der Wind bläst.

Die damit zum Ausdruck kommende Perspektivlosigkeit löst aber auch Ängste aus…

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