Wiedereinbürgerung eines Schweizers

Die Wahlkampf-Rhetorik führt zu grotesken und provozierenden Äusserungen. Dem kann man mit einem Augenzwinkern auf gleiche Weise begegnen.

Bis anhin konnte ich den SVP-Wahlslogan «Schweizer wählen SVP» noch mit etwas Schwarz-Weiss-Malerei abtun: So genannte «Ausländer» haben heute bei nationalen Wahlen in jedem Fall kein Wahlrecht, ergo können es nur Schweizer sein (es soll auch einige Schweizerinnen geben), die die SVP wählen.

Nur ein Papierli-Schweizer?

Doch vergangene Woche hat der «SVP-Parteistratege» Christoph Blocher mein schön zurecht gelegtes Schwarz-Weiss-Bild aufgrund einer Präzisierung jäh zerstört: Wer nicht zu den Werten der SVP stehe, sei nur auf dem Papier Schweizer, liess er verlauten.

Damit ist ja wohl nun jedem klar, dass wir Schweizer – oder die, die bisher glaubten, Schweizer zu sein – angesprochen sind und nicht etwa die nicht wahlberechtigten Gesellschaftsteilnehmer mit ausländischem Pass.

Da ich nicht zu den Werten der SVP stehe, macht mich Blochers Aussage zu einer Art Anti-Christ, oder besser gesagt zum Anti-Staatsbürger der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Unter Berufung auf Werte, die für mich höher stehen als jene der SVP, habe ich darum gestern das folgende Wiedereinbürgerungsgesuch an die SVP geschickt:

Politischer Asylant im eigenen Land?

Jetzt hoffe ich doch sehr, dass mein Gesuch gutgeheissen wird, da ich – und mit mir vermutlich weitere 70 Prozent Nicht-SVP-Wählende – ansonsten als Staatenloser um politisches Asyl im eigenen Land ersuchen muss.

Gemäss den jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) leben hierzulande knapp 6,1 Millionen Schweizer Staatsangehörige. Basierend auf den Wähleranteilen von 2007 und auf Blochers Aussage sind davon rund 4,2 Millionen nur auf dem Papier Schweizer.

Zählt man diese zu den rund 1,7 Millionen ausländischer Staatsangehöriger hinzu, gäbe das einen Anteil von knapp sechs Millionen oder 77 Prozent, welche nicht so richtig oder gar keine Schweizer sind. Damit sackt der Anteil «richtiger» Schweizer auf 23 Prozent ab.

Die Kosten für die Assimilation Integration einer so grossen Menschenmenge ins traditionell-folkloristisch-konservative Bild einer SVP wären enorm. Es bliebe nur ein kleiner Wermutstropfen: Die Mehrheit der zu Integrierenden spricht bereits ein akzentfreies Schweizerdeutsch.

Weiter gedacht

Zugleich würden aber auch die Polizei- und Armee-Ausgaben massiv steigen, denn wenn eine Minderheit von 23 Prozent «richtigen» Schweizern die Kontrolle über die Mehrheit von 77 Prozent haben will, ginge das nicht ohne Einsatz entsprechender Kräfte und Mittel.

Die Wehrpflicht in der Armee wäre für diese 23 Prozent «richtiger» Schweizer sowieso zwingend und müsste wieder verlängert werden. Das wäre für die Armee-freundliche SVP ohnehin kein Problem.

Die heutige Wirtschaft könnte dabei aber nur aufrecht erhalten werden, indem die 77 Prozent Nicht-so-richtiger-oder-gar-nicht-Schweizer das Zepter übernähmen. Das gilt vor allem auch für die Landwirtschaft, in welcher heute mehrheitlich nur «richtige» Schweizer tätig sind.

Weiter würde der Anteil reicher, pauschalbesteuerter Nicht-(mehr-)Schweizer steigen, wodurch dem Staat massive Steuereinnahmen entgingen. Er müsste in der Folge die Steuern anheben, wodurch die Schweiz als Wirtschaftsstandort unattraktiver und im internationalen Wettbewerb teurer würde.

Ja, wenn man es sich so weiter denkt, wäre es vielleicht doch besser, wenn eine SVP die eigenen Landsleute nicht ausgrenzt, indem sie sie zu unechten Schweizern abstempelt. Das sollte eigentlich die Chancen für mein Wiedereinbürgerungsgesuch erhöhen…

😉

15 Antworten auf „Wiedereinbürgerung eines Schweizers“

  1. Danke lieber Titus, für Dein vorpreschen in dieser Angelegenheit.

    Entsprechend der Stellungnahme der echten Schweizer, werde ich wohl auch um Wiedereinbürgerung nachsuchen müssen.

    Ich denke wir werden uns hier die Augen reiben können, über die Antwort aus der seniorilen Denkzentrale.

    Denn der Grat zwischen „senioril“ und „senil“ scheint in der SVP sehr schmal zu sein.

    🙂

  2. Da sehe ich,
    lieber Titis,
    mit Freude und grosser Erwartung der Antwort eines schreib- und formulierkundigen SVPlers (oder einer -lerin) entgegen 🙂
    Von Herrn Mörgeli zum Beispiel.
    Oder von Herrn Freysinger. Dann wäre es wohl ein Gedicht.
    Oder von Frau Hutter. Sie hätte bestimmt Zeit als Hausfrau und Mutter … 😉

  3. Entschuldigung!!!
    Meine schnellschreibenden Finger haben deinen schönen Namen ‚TitUs‘
    verkehrt geschrieben 🙁
    Ich hoffe, der Tag wird trotzdem gut…

  4. Super, Titus!
    Das ist wirklcih eine schreckliche Taktik, welche die SVP benutzt. Ich habe auch sehr allergisch darauf reagiert. und das ist gut so, wenn mehrere Leute das tun. Dein Brief ist super! Ich habe am Blocher eine Mail geschrieben und gesagt wie total daneben diese Behauptung ist. Hier ist meine Mail:
    „In den Nachrichten stand: „Wer nicht zu den Werten der SVP stehe, sei nur auf dem Papier Schweizer.“ Es wurde nicht explizit erwähnt, aber es wurde so geschildert, als ob dieses Zitat von ihnen stammt. Das ist doch eine absolute Frechheit! In ihrem Video auf ihrer Web-Seite, dass die Schweiz die Rede und Gegenrede pflegt. Aber mit der dogmatischen Schwarz-Weiss SVP Mentalität, ist Rede und Gegenrede unmöglich. Die Gefahr des Totalitarismus lässt sich in diesem Dogmatismus erblicken. Zusätzlich zeigen diese unterschiedlichen Aussagen auf, dass ihre Politik eine widersprüchlich und eine Heuchelei ist: sie behaupten, dass sie sich für „die Schweiz“ oder „das Volk“ einsetzen, obwohl sie eigentlich nur ihre Sonderinteressen verteidigen wollen. Die Politik der SVP (Entlastung und Abschottung der Reichen, Belastung der Mittelschicht und Ausgrenzung der Unterschicht) untergrabt den Kompromissmodel „Schweiz“, welcher durch ein stabiles Wirtschaftswachstum, eine starke Mittelschicht und Solidarität mit der Unterschicht durch die Arbeitslosenversicherung gekennzeichnet ist. Es entstehen dadurch grosse Spannungen im Land zwischen den Superreichen (wie sie) und die restliche Bevölkerung. Und sie tun so, als ob sie „vom normalen Volk“ wären und zeigen auf die Andersdenkenden und die böse Ausländer – als ob diese Menschen die Ursache des Problems wären. Und die Leute glauben es – bis der Staat vom Steuerwettbewerb ausgehöhlt wird und eine Enklave für Superreichen wird… Die SVP muss als mächtigste Partei die Verantwortung übernehmen und aufhören das Spiel der Opposition zu spielen. Das wäre doch etwas Neues!“

    Blocher hat dann doch auf meine reagiert. Hier ist seine Antwort darauf:
    „Oha Lätz, in Ihrem Mail kommt mir ein Schwall von Abneigung entgegen. Es sei Ihnen unbenommen, Ihrem Unwillen visà-vis der SVP Ausdruck zu verleihen. Wir haben Gott sei Dank in unserem Land Gedanken- und Redefreiheit: NOCH! Gerade auch für diesen Grundwert der Schweiz setzt sich die SVP ein.
    Ueber die Politik der SVP – so wie sie wirklich ist – können Sie sich auf http://www.svp.ch informieren. Ich nehme an, dass Sie sich vor allem aus den Mainstream-Medien Ihr Bild von der SVP geformt haben.
    Freundliche Grüsse
    Christoph Blocher
    P.S. Ich bitte Sie, meine Antwort als abschliessend zu betrachten. Aufgrund der grossen Zahl an eingehenden Mails kann ich aus Zeitgründen keine weitere Mailkorrespondenz zu diesem Thema mit Ihnen führen.“

    Er blendet das Problem total aus und erzählt den gleichen Quatsch nochmals. Als ob – durch die Wiederholung – seine Aussagen wahr werden! Interessant ist, dass er auf die anderen Vorwürfe gar nciht eingegangen ist. Wahrscheinlich weil sie stimmen…

    Könntest du dein Brief als Vorlage irgendwie „öffentlich“/zugänglich machen, sodass mehrere Leute den benutzen könnten? das wäre toll!

    Gruss, Lukas

  5. Auf vielseitigen Wunsch: Hier gibt’s die Vorlage (Word-Datei) zum Herunterladen. Muss von jedem noch entsprechend angepasst werden.

  6. Eigentlich müsste Dein Schreiben inkl. eventueller Antwort im Blick erscheinen. Die könnten dann eine grosse Umfrage zum Thema machen. Wäre mal gespannt, wie gross die Empörung ausfallen würde

    lg
    brigitte

  7. so weit kommts noch, dass man bei der SVP ein Wieder-Einbürgerungsgesuch stellen muss ….

    Für ein erstes Einbürgerungsgesuch wäre die SVP gar nicht die schlechteste Anlaufstelle!
    Nur wird sie sich nie dafür herablassen, denn dann müsste sie mal was tun und entscheiden. Sonst meckert sie ja immer.

  8. @Wiedereinbürgerung
    Och, jetzt wo ich mich als alter Papierschweizer (mit 1Jährig in die Schweiz gezogen worden, 16jährig verbriefter Schweizer geworden) nicht mehr so in der Minderheit wähnte, da wollt ihr alle wieder echte Schweizer werden, *schnüff*.

    @Lukas Peter

    „Ueber die Politik der SVP – so wie sie wirklich ist – können Sie sich auf httpwwwsvpch informieren. Ich nehme an, dass Sie sich vor allem aus den Mainstream-Medien Ihr Bild von der SVP geformt haben.“

    Den find‘ ich klasse, das Internet ist also kein main stream medium. O-Ton Blocher!
    😀

  9. @ Bobsmile
    Wir sind ein Land von Minderheiten. Darum müssen wir schon dafür sorgen, dass das auch weiterhin so bleibt. Darum die in Mode gekommen Abgrenzung… 😉

  10. Wer die Schweiz liebt, steuert weiter mit den AKW’s auf etwas Verstrahlung hin, weil es billig sein soll.

    @Lukas
    >P.S. Ich bitte Sie, meine Antwort als abschliessend zu betrachten. Aufgrund der grossen Zahl an eingehenden Mails kann ich aus Zeitgründen keine weitere Mailkorrespondenz zu diesem Thema mit Ihnen führen.”

    Klar, dass Blocher keine Zeit hat, er ist ja doch immer seiner eigener Meinung. Darüber hat er ja selbst noch Witze gemacht.

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