Die Gleichstellung von Mann und Frau wurde auf dem Papier schon längst eingeführt. Trotzdem gibt es in der Praxis immer noch Unterschiede. Aber gibt es auch Gründe, bewusst einen Unterschied zu machen?
Der Europäische Gerichtshof fiel vor kurzem ein Gerichtsurteil, wonach bei Versicherungen die Tarife für Frauen und Männer einheitlich sein müssten:
«Das ist ungerecht»
Dieses Urteil, wenn auch nicht für die Schweiz gültig, war genauso fällig wie es gleiche Löhne für die gleiche Arbeit bei Frauen und Männern wären. Denn: Auch die schweizerische Verfassung besagt:
Art. 8 Rechtsgleichheit
1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
3 Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.
4 Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.
Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), an welche sich auch der Europäische Gerichtshof zu halten hat, spricht sinngemäss ebenfalls davon, dass es in Abhängigkeit vom Geschlecht keine Unterschiede in der Rechtsanwendung geben dürfe.
Im Video-Beitrag oben war die Rede davon, dass es ungerecht sei, wenn Frauen neuerdings mehr bezahlen müssten. Plötzlich mehr für die gleiche Leistung bezahlen zu müssen als früher kann man natürlich als ungerecht betrachten.
Aber ist es in der Sache tatsächlich ungerecht? Ist das nicht auch ein Preis, der im Rahmen der Gleichstellung von Mann und Frau zu zahlen ist?
Unterscheidung nach Risikogruppen
Das Besondere bei diesem Gerichtsurteil ist, dass es um Versicherungen geht und damit um Risiken. Unter Wikipedia findet sich unter anderem die folgende Aussage:
Der Versicherung liegt der Mechanismus der gemeinsamen Tragung von Risiken in einem Kollektiv (Pool, Portefeuille) zu Grunde.
Im Video-Beitrag oben wird seitens Schweizerischem Versicherungsverband (SVV) argumentiert, dass Frauen angeblich weniger Risiken eingingen und deshalb auch unterschiedliche Risikogruppen gerechtfertigt seien.
Zugleich ist dessen Direktor, Lucius Dürr, jedoch nicht in der Lage, Zahlen über die möglichen Folgen für die Frauen einerseits (höhere Tarife), aber auch für die Männer andererseits (tiefere Tarife), zu nennen. Darum kann es schon Stirnrunzeln auslösen, wenn man eine mögliche tarifliche Gleichstellung ablehnt, obschon man noch gar nicht weiss, wie sich diese auswirkt…
Vor allem aber scheint man das Grundprinzip von Versicherungen, nämlich das gemeinsame Tragen von Risiken, einfach so in den Wind zu schlagen. Wenn argumentiert wird, dass Frauen weniger Risiken eingingen, dann könnte man genauso argumentieren, dass Benutzer des öffentlichen Verkehrs ebenfalls weniger Risiken eingehen. Sie sollten dann auch mit tieferen Prämien bei der Unfallversicherung rechnen können.
Wer draussen besonders viel Sport treibt, der geht eher höhere Unfallrisiken ein. Sollten solche Menschen nicht mehr bezahlen müssen? Und wer das ganze Jahr über zu Hause herumsitzt, wird nie mit Haftpflichtansprüchen konfrontiert sein. Kann er mit tieferen Prämien bei der Haftpflichtversicherung rechnen?
Und wie ist das mit ewigen Junggesellen, welche über ihre Krankenkassenprämien auch für die Untersuchungen der werdenden Mütter mitzahlen? Ohnehin: Männer werden nicht schwanger, warum wird da also nicht tariflich unterschieden?
Andere Anreize finden
Eben: Es gehört zum Wesen von Versicherungen, dass gemeinsam die Risiken von Unfällen und Krankheiten getragen werden. Wenn dieses Prinzip nicht mehr gelten und noch weiter nach Risikogruppen aufgrund von unzähligen (und bestimmt auch fragwürdigen) Kriterien unterschieden werden soll, braucht der Einzelne keine Versicherung mehr.
Dann nähert sich die Prämienhöhe nämlich zunehmend den effektiven Kosten. Damit hat niemand mehr ein Interesse, eine Versicherung abzuschliessen, denn dann könnte genauso gut jeder für sich das Geld auf die Seite legen, welches durchs Nicht-bezahlen-müssen von Prämien anfällt. Die Versicherungen schaffen sich so selber ab…
Wenn sich grössere oder kleinere Risiken auf die Prämientarife auswirken sollen, dann sind andere Anreize zu schaffen, ohne zugleich aber den Kern des Grundprinzips von Versicherungen nicht ausser Acht zu lassen. Das von Natur aus vorgegebene Geschlecht ist jedenfalls kein Anreiz…