Politischer Kindsmissbrauch

Wir sind uns von der SVP ja schon einiges gewohnt, was Abstimmungsplakate anbelangt. Doch nun schlagen die Wirtschaftsvertreter gleiche Töne an und setzen sogar noch eins drauf…

Provokative Abstimmungsplakate gehörten bisher zu den «Kernkompetenzen» der SVP. Wir sind uns diese allerdings inzwischen gewohnt – und sie nützen sich auch langsam ab.

Dies dürfte vielleicht auch der Grund sein, weshalb neuerdings auch die Wirtschaftsvertreter die gleiche – oder sogar noch eine heftigere Sprache anschlagen und zwar im Rahmen der kommenden Abstimmung vom 7. März über den Umwandlungssatz der 2. Säule.

Sujets werden abgekupfert

Beginnen wir mit dem offiziellen Sujet der Gegner.

Dieses zeigt eine Hand, welche in eine Tasche greift. Der Slogan «NEIN zum Rentenklau» ist unpersonifiziert, spricht also keine bestimmte Person oder Organisation wie beispielsweise die Pensionskassen an.

Das Sujet der Befürworter der Vorlage spricht ebenfalls vom Klauen und ähnelt doch irgendwie jenem der Gegner.

Haben Sie es gesehen?

Genau! Die Hand, welche da in eine Tasche greift, ist genau die Gleiche. Darüber steht unverkennbar: «Fairness statt Beitragsklau».

Hier will uns also jemand erklären, was fair ist. Ist es denn fair, das Sujet des Gegners zu klauen kopieren?

Gegenüber der Gratis-Postille «20 Minuten» meint Urs Rellstab, Kampagnenleiter des Wirtschaftsdachverbands economiesuisse, dass es keinen Schutz von Ideen gäbe. Das mag richtig sein. Ein Plagiat ist das Sujet allemal. Sollte es gar geschützt sein, gibt es eben doch einen Schutz von Ideen.

Das «Übel» wird beim Namen genannt

Doch damit nicht genug: Die Hand des kopierten Sujets enthält auch noch den Namen einer Person beziehungsweise einer Organisation und zwar jenen der Gewerkschaft «Unia». Auch der Text spricht davon und bezeichnet die Unia gar als «radikale Gewerkschaft». Man bekommt beinahe den Eindruck, es ginge nicht um den Umwandlungssatz, sondern um die Unia…

Selbst wenn da der Name «Marcel Ospel» drauf stünde, bliebe eine solche Benennung so lange eine verleumderische Unterstellung, wie der fraglichen Organisation das gezeigte Geld-aus-der-Tasche-ziehen nicht nachgewiesen werden kann. Und wenn die Gewerkschaft radikal sein soll, dann ist es diese Form der Kommunikation bestimmt auch (sinnigerweise nennt sich die FDP auf französisch «Les radicaux»…).

Im gleichen Stil tritt auch die FDP an. Auch sie personifiziert, indem sie von den «Linken Dieben» spricht und den angeblichen, nach Panzerknacker anmutenden Dieben auch noch die Namen «Unia», «SP» und «SGB» verpasst.

So etwas Ähnliches hatten wir schon einmal, nur hiessen die damals «die Linken und Netten». Da bekanntlich inzwischen verschiedene Kantonalsektionen nicht der Ja-Parole der Mutterpartei folgen, beleidigt die FDP mit solchen Bezeichnungen unter Umständen die eigene Wählerschaft.

Wer sich zudem politisch weder links noch rechts einordnen mag, in seiner Entscheidung noch wankelmütig ist, jedoch in Richtung eines «Neins» tendiert, wird als Trotzreaktion jetzt erst recht Nein stimmen, denn als Dieb, ob nun politisch links oder rechts oder weder-noch, lässt sich niemand gerne betiteln.

Allerdings: Natürlich ist jenes Sujet im FDP-Look seitens der Vorlagengegner, in welchem die FDP-Vertreter als Kleptomanen betitelt werden, auch nicht in Ordnung.

Da liess man sich wohl auch zu einem «Ideenklau» hinreissen.

Immerhin kam dieses angeblich nur anlässlich einer FDP-Veranstaltung zur Anwendung und soll dort wegen des ähnlichen Looks für Verwirrung gesorgt haben. Ohnehin wäre der Begriff «Kleptomanen» für die breite Öffentlichkeit zu kompliziert, weshalb auch eine breitere Anwendung wenig Sinn gemacht hätte.

Arbeitgeber: «Abstimmung mit Argumenten gewinnen»

Aus diesem «10vor10»-Beitrag vom 16.02.2010 ist zu entnehmen, dass die Wirtschaftsvertreter ein Budget von 10 Millionen Franken zur Verfügung haben. Trotzdem meint der Arbeitgeber-Präsident Rudolf Stämpfli:

«Man gewinnt eine Abstimmung nicht mit einem Budget, sondern mit den Argumenten.»

Der Arbeitgeber-Verband verlinkt auf seiner Website auf die Website «faire-renten.ch», der Website der Befürworter der Vorlage. Darin findet sich eine Medienmitteilung vom 16.02.2010 mit dem Titel «Vielsagendes Schweigen der linken Vorsorgeexpertin». Angespielt wird auf die Vorsorgeexpertin Colette Nova des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB.

Einmal mehr wird hier auf eine Person gespielt. Sind solche persönlichen Attacken jene Argumente, mit welchen man eine Abstimmung gewinnt und von welchen Herrn Stämpfli oben sprach? Den Begriff «Fairness» lassen wir an dieser Stelle wohl besser gleich aus…

Apropos «faire-renten.ch»: Da geht es vordergründig noch sachlich und anständig zu und her. Amüsant wird es unter der Rubrik «Interaktiv». Da backt nämlich die FDP-Nationalrätin Christa Markwalder-Bär einen Kuchen, sodass man schon fast versucht ist, ihr den Übertitel «die Betty Bossi der FDP» zu geben. Doch schauen Sie am Besten gleich selbst (YouTube-Version, die interaktive Version findet sich hier):

Voll daneben

Weitaus weniger amüsant geht es hingegen im zweiten Video ab (YouTube-Version, die interaktive Version findet sich hier):

Falls Ihnen das nun etwas zu schnell war, hier noch in einigen Standbildern:

Da ist die Welt noch in Ordnung…

…bis die Mutter niedergeschlagen und geknebelt wird.

Übrigens, wer Killerspiele verbieten will, sollte vielleicht auch die eigenen politischen Botschaften mit real dargestellte Szenen hinterfragen…

Zwischen den Fronten: Die bösen Unbekannten nehmen dem Blondschopf sein Spielzeug sein Sparschwein weg.

Diebe schreiben normalerweise nicht an, zu wem sie gehören. Aber hier sollen keine Fragen mehr offen bleiben.

Geht es Ihnen manchmal auch so, dass Sie nicht mehr wissen, mit wem Sie schon alles per Du sind? Wie auch immer: Klicken Sie deswegen bloss nicht auf «Nein», denn sonst…

…wirft Ihnen der kleine Knirps ein «Schpinsch» mit der dazu passenden Geste an den Kopf .

Wer hier spinnt, kann man sich bei diesen Bildern allerdings fragen…

Da war wohl einige «Kinder-Dressur» notwendig, um diesen Gesichtsausdruck hinzubekommen.

Zum Schluss dürfen Sie dem Unia-Mann noch so richtig eins auswischen – so wie wir uns das hierzulande mit politischen Gegner gewohnt sind…

(Aber suchen Sie erst gar nicht: Unter faire-renten.ch gibt es die passenden Boxer-Handschuhe nicht zu kaufen)

Was Sie soeben gesehen haben, lässt sich in die folgenden Worte fassen:

Hier wird nicht nur einmal mehr die Gewerkschaft Unia als Dieb dargestellt, sondern es wird vor allem ein Kind, welches noch gar nicht in der Lage ist zu verstehen, worum es überhaupt geht, für politische Zwecke missbraucht.

Das ist einfach nur widerlich!

Sind wir schon so tief gesunden, dass ein derartiger Kampagnenstil in der Politik als «Argumente» und «Fairness» verstanden wird?

Ist es wirklich notwendig, den bürgerlichen Parteien Artikel 11 der Schweizerischen Bundesverfassung in Erinnerung zu rufen?

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16 Antworten auf „Politischer Kindsmissbrauch“

  1. Da sieht man wieder einmal mehr – wenn es um viel Geld (für wen?) geht, wie skrupellos die Lobbyisten vorgehen.

    Ich sehe da im Vorgehen keinen Unterschied mehr zu den Abzockern die uns die Finanz- und Wirtschaftskrise beschert haben.

  2. Dreckige Abstimmungskampagnen sind nichts Neues. 1979 wurde von den etablierten Parteien gegen die Atomschutz Initiative das gleiche Drecksspiel gespielt.
    Als vor 20 Jahren die SVP mit dem Messerstecher Inserat den aggressiven Plakatstil in der Schweiz einführte, setzte sie eine Spirale in gang.
    Seit dem versucht jeder den anderen mit noch aggressiveren Plakaten und Parolen zu übertrumpf.
    Es wird in diesem Stil weiter gehen. Das geht solange bis der visuelle Gewalt die physische Gewalt folgt.
    Allerdings hat dieser Stil den Vorteil das Klartext gesprochen werden kann.
    Humor, wenn auch rabenschwarz ist, ist das beste Mittel gegen die Gewalt.
    PS: Mich erinnert dieser Vorgang daran wie das slowenische Künstlerkollektiv Laibach im ehemaligen Jugoslawien einen Preis gewann, in dem es Naziplakte abänderte. Die Nazi-Symbole und Figuren wurden durch die damals angesagten sozialistischen Symbole ersetzt.

  3. Dass mal wieder auf Personen(gruppen) gespielt wird ist das Eine. Das Andere ist, dass die Fakten wieder einmal völlig in den Hintergrund geraten und Populismus den Ton angibt. Es werden ja keine Renten „geklaut“, sondern anders ausbezahlt. Stattdessen wird suggeriert, dass irgendjemand dem unbescholtenen Bürger Geld aus der Tasche zieht – was einfach nicht stimmt. Diese Art von Politik ist mir Zuwider.

  4. @ Dan
    Die heutigen Sozialwerke würde es ohne Anstoss und entsprechenden Druck seitens der damaligen Sozialdemokraten gar nicht geben. Und nun kämpfen so vehement ausgerechnet quasi «die liberalen Fabrikherren» für die Wahrung der Interessen der 2. Säule? Das riecht mir arg nach dem, was Du «viel Geld» nennst, also um ganz andere Interessen als um den sozialen Aspekt…

    @ Antoine
    Naja, ich weiss nicht ob das Baby-Video von oben wirklich Klartext spricht? Auf jeden Fall könnte man es auch sachlicher tun und weniger auf den Jöö-Faktor setzen. Denn ob dieser Knirps in 20 Jahren einverstanden ist, dass er damals, anno 2010, für eine politische Botschaft herhalten musste, wissen wir heute nicht…

    @ Monsieur Croche
    Gerade weil die Fakten in den Hintergrund geraten (denn es geht oben nur um die Form, nicht ums pro/contra), habe ich das Thema aufgegriffen.

    Tatsächlich wissen wir aus den oben gezeigten Botschaften nicht mehr, ausser das beide vom Klauen sprechen (und dabei auch ganz Unterschiedliches meinen…).

    Ich nehme das Thema aber in jedem Falle nochmals vom inhaltichen Aspekt her auf.

  5. Nur damit wir uns richtig verstehen ich wollte nicht dich, sondern den courant normal des Politbetriebes kritisieren 😉 Eine inhaltliche Diskussion des Themas fände ich interessant, da ich selbst nicht so recht weiss, was ich hier stimmen sollte.

  6. Keine Sorge, hatte es schon nicht so verstanden. Wenn Du dann nicht mehr in der Blogroll bist, würde ich mir allerdings Sorgen machen… 😀

    Es geht ja eigentlich um eine gaaaanz einfache Frage – innerhalb eines nicht so ganz einfachen Themenbereichs – und das nicht nur für uns, wie dieser Kommentar von Frau Zappadong bei Bobsmile erahnen lässt.

    Aber mehr dazu in einem kommenden Beitrag (muss mich da auch noch durchlesen).

  7. Oha, nochmals auf den Mann bzw. die Frau gespielt.

    Immerhin kommt das Ganze karikaturmässig daher – und vor allem wird (noch) nicht ein Kind instrumentalisiert.

  8. Ich finde es wirklich zum Kotzen.
    Es ist doch so:
    ein zu hoher Umwandlungssatz führt dazu, dass den Rentner eine Rente auf teilweise Kosten der Arbeitnehmer ausbezahlt wird.
    ein zu tiefer Umwandlungssatz führt dazu, dass die Rentner weniger bekommen, als ihnen zusteht.

    Zur Zeit wird nur der fertig gemacht, der eine andere Meinung hat.
    Auf beiden Seiten.
    (warum erinnert mich das an die ganze Klimahysterie, Rauchverbot etc.?)

    Ich weiss nicht, wer Recht hat. Es versuchte mich auch noch keine Seite von ihren Argumenten zu überzeugen.
    Wer das schafft hat meine Stimme.

  9. Muhaha, Betty Bossi der FDP, klasse!

    Aber das BVG scary movie ist unterste Schublade! (§14 JuSchG FSK: 16+)
    Gewaltdarstellung als schlagende Argumentation für die Generation Web 2.0, gefälligts mit Ja zu stimmen und so die 2.Säule zu „retten“.
    Der Golfschläger assoziiert drohende Gewalt, – Schnitt -, die Mutter liegt in ihrem eigenen Blut. (Oder wie sind die filmisch gekonnt inszenierten ROTEN Rosen und die ROTEN Klebebänder auf Mund und Handgelenken zu werten?)
    Der unia Rüpel bekommt bei einem Ja eins auf die Nase. Geil ey, guckst du, voll auf die 12.

    Und dann sich aufregen, wenn irgendwo die Gewalt in der Gesellschaft
    eskaliert. Aber dafür werden ja die Gewaltspiele aus den Läden verbannt. Schöne heile Welt, erst zuschlagen, dann wählen!

    Ich bin versucht, alleine schon wegen des noch schlechteren Stils, den Befürwortern eine Abfuhr zu erteilen.
    Brauch ich gar nicht, denn obwohl ich sonst mit den Gewerkschaften nicht immer das Heu auf der gleichen Bühne habe, das Herabsetzen des Umwandlungssatzes erscheint mir hier zu einfach und schmerzlos für die verantwortlichen Geldverwalter! Ich sehe das Problem also in der schlechten Bewirtschaftung der Anlagegelder, deshalb sollte dort erst mal angesetzt werden. In der Zwischenzeit wird der Umwandlungssatz ja sowieso bis 2014 auf 6.8% herabgesetzt. Und dann können wir die Sache neu beurteilen. Deshalb (lieber kikri) ein Nein zum voreiligen Umwandlungssatz von 6,4%.

    Aprospos Kinderdressur, wir erinnern uns doch sicher noch an die Harmosabstimmung mit den herzzerreissend weinenden Kleinkindern? Gemäss Abstimmungsergebnis hat’s dann aber nicht funktioniert.

  10. Ich kann mich bis anhin auch noch nicht recht entscheiden, ob ich ja/nein stimmen werde. Jedoch seh‘ ich’s ähnlich wie du – ich werde wohl aufgrund des wirklich üblen Stils der Befürworterkampagne ein Nein einleigen. Um ein Zeichen zu setzen. Es ist echt zum Kotzen. Es scheint fast so, als würden sich die Parteien vor jeder Abstimmung mit degoutanten Abstimmungskampagnen gegenseitig weiter unterbieten.

  11. Der Hansjuri aus dem Osten weiss nun nach diesem Filmchen auch was er stimmen will. Bei Kindern kenne ich gar nichts!

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