Google – der Elefant im Porzellanladen

Mit «Street View» setzt der Internet-Riese Google sein jüngstes Kind in die Welt – oder wenigstens (auch) in die Schweiz. Dabei zeigt sich, dass es Google nicht so genau nimmt und sich – wie bis anhin – wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt.

Die Methode von Google ist für viele seiner Produkte immer die gleiche: Im grossen Stil wird ein Produkt lanciert – und um die Details kümmert man sich wenig bis gar nicht.

Des einen Freud’…

So ist es auch mit «Street View», dem jüngsten Kind des Internet-Riesen, was den Datenschutz anbelangt. In den zwei unterschiedlichen Beiträgen von «Schweiz aktuell» und «Tagesschau» werden verschiedene Beispiele gezeigt, aus denen entgegen den geltenden Datenschutzbestimmungen Personen oder auch Autokennzeichen erkennbar sind:

Schweiz aktuell vom 18.08.2009 (bitte gleich auf 1’15“ vorspulen):

Tagesschau vom 18.08.2009:

Wie die Augenreiberei bereits schon einmal berichtete, gilt im Falle von Webcams auch das Prinzip, dass Personen nicht aus den Umständen heraus, zum Beispiel aufgrund ihrer Kleidung und aufgrund bestimmter Gegenstände, erkannt werden dürfen. Auch wenn es hier nicht um Webcams geht, so dürfte dieses Prinzip doch auch grundsätzlich für andere öffentlich zugänglich gemachten Bild-Formen gelten.

Wer die schwarz-rot gekleidete Dame mit den schulterlangen dunklen Haaren im nachfolgenden Bild kennt, der wird wohl auch trotz verschwommenem Gesicht sofort wissen, um wen es sich handelt. Diese Person ist somit sehr wohl aus den Umständen heraus erkennbar:

Biel, Zentralplatz

Übrigens, praktisch an gleicher Stelle war auch ohne intensive Suche das folgendes Bild sichtbar (der vordere Teil dieser Autonummer wurde durch die Augenreiberei verwässert, zum Vergrössern anklicken):

Biel, Zentralplatz

Fragwürdige Argumentation

Und was meint Google dazu?

Raphael Leiteritz antwortete im (hier vollständig abrufbaren, unkommentierten) Interview wie aus der Pistole geschossen:

«Wir nehmen Datenschutz und Privatsphäre für sehr wichtig. Wir haben verschiedene Technologien mit denen das sichergestellt wird.»

Das heisst demzufolge: Bei Google sind es nicht Menschen, sondern Maschinen, welche die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sicherstellen sollen. Schöne neue Welt…

Des Weiteren war von ihm auch zu hören:

«Wir filmen nur auf öffentlichen Plätzen, identisch wie wenn Sie mit der Kamera im Urlaub Fotos machen.»

Das mag zwar stimmen, doch noch lange nicht jeder stellte diese für jeden frei abrufbar ins Internet. Wer dies trotzdem tut und dabei Personen zeigt, die nicht abgebildet werden wollen, darf sich nicht wundern, wenn plötzlich eine Klage ins Haus flattert. Denn: Entgegen anderweitiger Behauptung ist Internet kein rechtsfreier Raum – weder für Google noch für «den Mann oder die Frau von der Strasse» (wobei natürlich auch für die virtuelle Welt gilt: Wo kein Kläger da kein Richter).

«Schert Euch selber um Eure Rechte»

«Und ganz wichtig: Benutzer können jederzeit wenn sie ein Bild beanstanden, das Bild herunternehmen lassen von Google. Schnell und unkompliziert.»

So steht es inzwischen auch unter «Datenschutz» auf Google Maps Schweiz:

Wir bieten bedienerfreundliche Tools, mit denen unsere Nutzer uns zur Entfernung von Bildern mit unangemessenem Inhalt wie beispielsweise Nacktheit oder von Bildern, die den Nutzer, dessen Familienmitglieder, Auto oder Wohnhaus abbilden, auffordern können. Im Folgenden finden Sie die erforderlichen Informationen zur Durchführung einer solchen Aufforderung.

Diese Aussagen überraschen. Einerseits ist es ein Eingeständnis dafür, dass man sich rechtlich mindestens in einer Grauzone befindet.

Andererseits streckt damit Google die Hände von sich und zeigt auf die Benutzer. Das ist etwa so wie wenn der Metzger sagen würde, man solle doch selber schauen ob das Fleisch noch frisch ist und wenn nicht, dann würde man dieses schnell und unkompliziert auswechseln…

Schliesslich aber scheint man bei Google schon etwas gar «Internet damaged» zu sein; wie im Beitrag oben von «Schweiz aktuell» deutlich wird, war es nicht der in Street View abgebildete Vater, sondern dessen Sohn, welcher dieses Malheur entdeckte. Google geht indessen davon aus, dass jeder eine potentieller Internet- und im Speziellen ein Google Maps-Benutzer ist und obendrein noch sämtliches Bildmaterial sichtet, auf welchem er potentiell drauf sein könnte. Das ist dann doch etwas gar viel verlangt, um seine Bilder beanstanden zu können.

Weiter meint Raphael Leiteritz:

«Wir haben schon während der Entwicklung des Produktes mit dem Datenschutzbeauftragten der Schweiz intensive Gespräche geführt und haben sichergestellt, dass das Produkt heute konform ist mit den Schweizer Datenschutzgesetzen.»

Das ist keine Tatsache, sondern lediglich eine Behauptung. Auch intensiv geführte Gespräche sind noch kein Garant für Gesetzeskonformität. Wie den oben gezeigten Beiträgen entnommen werden kann, sind sich der  Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich wie auch der eidgenössische Datenschutzbeauftragte über die Einhaltung der besprochenen Vorgaben noch nicht sicher.

Auf die Frage, wie und wozu denn Street View genutzt werden soll, konnte man Folgendes hören:

«Wenn ich zum Beispiel in Bern die Stadt vorher anschauen möchte, wenn ich zum Beispiel schauen will ist mein Hotel wirklich so nah am See wie es im Prospekt steht oder ist vielleicht ne Tram in der Nähe…»

Wie schon eingangs erwähnt, nimmt man es bei Google mit den Details nicht so genau. Wen kümmert es da schon, dass es in Bern gar keinen See gibt und wohl auch keinen Prospekt, auf welchem das Gegenteil zu lesen ist…

Nicht so genau nimmt man es auch bei einer weiteren genannten Situation, anhand welcher man aufzeigen will, wie man Enttäuschungen vorbeugen könne:

«…oder das Restaurant war dann doch nicht so schön wie versprochen mit dem Terrassenblick auf dem See…»

Ob mit einem Produkt namens «Street View» wirklich Restaurants sichtbar sind mit einem so genannten «Terrassenblick»?

Missachtung von Verkehrsregeln?

Übrigens, wer etwas ortskundig ist, der merkt schnell, dass es Google auch mit den Verkehrsregeln nicht so genau genommen hat. So ist zum Beispiel die obere Bieler Bahnhofstrasse in beide Richtungen nur für Busse und Taxis zugelassen. Trotzdem findet man Aufnahmen dieser Strasse, welche zweifellos auch mit einem der bekannten Google-Fahrzeuge aufgenommen wurden.

Dass man sich vorgängig um eine allfällige Sondergenehmigung gekümmert hätte um auch durch jene Strassen fahren zu dürfen, welche für den normalen Verkehr gesperrt sind, glaubt man in der Augenreiberei indes weniger. Der administrative Aufwand wäre wohl teurer zu stehen gekommen als eine mögliche Busse seitens der Ordnungshüter…

Ungenaue Google Maps

Definitiv nicht sehr genau nimmt es Google unter Google Maps auch nicht mit den Bezeichnungen, obschon man sich gemäss Nutzungsbedingungen zu den «allgemein anerkannten internationalen Standards» bekennt.

So sucht man auf der Schweizer Karte vergeblich nach einem «Biel» irgendwo im Seeland und auch ein «Biel/Bienne», wie es eigentlich offiziell heisst, findet man nicht. Google kennt nur das französischsprachige «Bienne» und dies trotz deutscher Sprachwahl innerhalb von Google Maps. Kleiner Trost: Magglingen/Macolin und Evilard/Leubringen geht es nicht viel anders…

Und einen «Bieler See» gibt es eigentlich auch nicht, stattdessen aber einen «Bielersee». Vielleicht sollte sich Google etwas weniger dem Internationalen und etwas mehr dem Regionalen zuwenden…

Bezeichnungen

An dieser Stelle könnte die Augenreiberei eine Serie von Screenshots präsentieren, anhand welcher erkennbar ist, wie Google noch im letzten Jahr massenhaft Bieler Strassenbezeichnungen verdrehte, inzwischen jedoch korrigierte. Auch da scheint man es nicht so genau genommen zu haben (schauen Sie mal nach, ob Sie noch immer an der gleichen Adresse wohnen oder ob Ihnen Google eine neue Strasse zugeteilt hat).

Und so ist davon auszugehen, dass man es bei der zukünftigen Vermarktung auch nicht so genau nimmt:

«Ja wir werden irgendwann mal Wege finden damit Geld zu verdienen.»

Nun, dass hinter Street View eine gewisse Leistung steckt, ist unbestritten. Nur: Hat Google das Recht, die kategorisch aufgenommenen Ansichten ab öffentlichem Grund, also das Gesamtbild eines Ortes, zu kommerzialisieren oder ist das nicht Allgemeingut?

Auswirkungen

Je «pfludriger», ungenauer und sorgloser Google mit Daten umgeht, desto grösser werden die Zweifel ob deren Serosität – nicht zuletzt auch was Google Search betrifft. Doch Google kann sich diese Rolle des Elefanten im Porzellanladen mangels ernsthafter Konkurrenz leisten.

Es fragt sich nur: Wollen wir es uns leisten, dass mit Street View einmal mehr die Hemmschwelle dafür gesenkt wird, nur halbwegs anonymisierte Bilder für jeden abrufbar zu machen?

12 Antworten auf „Google – der Elefant im Porzellanladen“

  1. Guter, ausführlicher Post. Ich würde allerdings nicht einfach so (ohne wirkliche Hinweise) annehmen, dass Google Verkehrsregeln bricht, nur weil Bilder von für Autos nicht zugängliche Strassen zu finden sind. Der administrative Aufwand wäre nicht so hoch (pro Bewilligung), wenn die Leute angestellt haben, die praktisch nur das machen.

    (natürlich kann es aber in der Tat durchaus so sein, dass das Gesetz gebrochen wurde – dies müsste sich einfach ermitteln lassen, indem man bei dern zuständigen Behörden nachfragt)

  2. Google bricht ziemlich viele Regeln, auch wenn manche nur moralischer Natur sind. 😉

    Damit der Empörungshype nicht gleich wieder einschläft, am besten fleissig Bilder mit StreetView sichten und problematische an Google melden. Wenn Google dann „nicht unverzüglich handelt und Anonymität herstellt“ (O-Ton Hanspeter Thür) einfach dem EDÖB melden.

    Bei der Gelegenheit sammelt Google auch deine Koordianten und verknüpft sie mit StreetView, mit dem Verkauf derselben wird dann richtig Geld verdient …

  3. @ Sam
    Zum Thema Verkehrsregeln habe ich primär Zweifel geäussert.

    Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Google vorgängig die notwendigen Bewilligungen eingeholt hatte. Allerdings stelle ich mir das relativ kompliziert vor; da gewisse Strassen schlichtweg aus Sicherheitsgründen gar nicht oder nur einseitig befahrbar sind, ist wohl eine «Generalbewilligung» wenig wahrscheinlich.

    So wie ich unsere Bewilligungspraxis einschätze («Formular 25.3 a», drei Stempel & Co), müsste jede einzelne Strasse beantragt worden sein, welche für den Normalverkehr nicht zulässig ist.

    Es kommt noch hinzu, dass solche Bewilligungen bei den unterschiedlichsten Stellen eingeholt werden müssten, je nachdem wie die Gemeinden und Kantone die Bewilligungserteilung organisiert haben.

    Alles in allem glaube ich deshalb nicht, dass man sich all diese Mühe bei Google gemacht hatte.

    @ Bobsmile
    Ich störe mich eben genau daran, dass ich Google die Arbeit abnehmen soll – und wenn dann das Produkt datenschutztechnisch einwandfrei ist, versucht man Geld damit machen…

  4. @Titus
    Mist, hast recht, Fehlüberlegung meinerseits. Also wenn, dann gleich ohne Umweg dem EDÖB melden!
    Habe da auch gleich in meinem Beitrag einen kleinen update gemacht. 😀

  5. @Sam „Ich würde allerdings nicht einfach so (ohne wirkliche Hinweise) annehmen, dass Google Verkehrsregeln bricht,“

    Doch, im 2. hier verlinkten Tagesschaubericht (-> 00:18) fährt das Googlemobil eindeutig über eine STOP Haltelinie !
    😉

  6. Ein guter Bericht. War ja abzusehen, dass dieser automatische Datenschutz nicht funktioniert. Ich denk das im Fernsehen schon manchmal, wenn bei jemandem nur das Gesicht unkenntlich gemacht wird, dass doch seine Bekannten ihn trotzdem erkennen. Jetzt weiß ich, dass es dafür auch Regeln gibt.

  7. @ bobsmile
    Ist doch noch praktisch, wenn man vom Bürostuhl aus Bussen verteilen kann… 😉

    @ rittiner & gomez + Paul
    Pauschal würde ich dem zwar nicht zustimmen, da man bei gewissen Aufnahmen z. B. vom Hauptbahnhof Zürich manchmal nur die Beine und Füsse oder dass man nur die Rückseite von Personen sieht. Allerdings hatte auch ich schon Bilder gesehen, auf denen Leute erkennbar waren.

    Relevant dürfte wohl auch hier sein, ob die Betroffenen darüber Bescheid wissen, dass sie gefilmt werden (was z. B. bei einer Live-Sendung der Fall ist). Und eben, in Situation wo irgendwelche Passanten in der Bahnhofstrasse oder in der Badi usw. gefilmt werden, bin ich mir nicht so sicher, ob das immer der Fall ist.

    Apropos Fernsehen:
    Hier noch der «10vor10»-Beitrag von gestern, worin es auch ums Thema Sicherheit (vor Einbrüchen) geht.

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