Die somalischen «Jack Sparrows»

Was mussten wir uns doch die Bäuche vor lauter Lachen halten, als noch vor zwei Jahren im dritten Piratenfilm «Fluch der Karibik» aus dem Hause Walt Disney der sagenumwobenen Captain Jack Sparrow alias Johnny Depp auf seine bekannt tollpatische Art und Weise sein Unwesen trieb.

Es war wohl nicht nur die Komik des Hauptdarstellers, welche uns zum Lachen brachte, sondern wohl auch die Szenerie, welche uns damals wenig belastend erschien. Heute würden wir uns viel eher fragen, ob Jack Sparrow eigentlich ein Somalier ist…

Fotomontage Jack Sparrow vs. Micheline Calmy-Rey

Der fiktive Pirat «Jack Sparrow» und die reelle Aussenministerin Micheline Calmy-Rey
verfolgen gegensätzliche Ziele. Trotzdem haben sie visuell einiges gemeinsam…

Keine Fiktion

Denn es gibt sie wieder, die Piraterie auf hoher See. Dass die heutigen Piraten allerdings noch immer auf dem einen Auge eine Augenklappe tragen, ist wenig wahrscheinlich. Und zu Spässen dürften die Piraten im Golf von Aden wohl kaum aufgelegt sein.

In dieser Herbstsession wird der Ständerat darüber beraten, ob die Militärgesetzgebung bezüglich «Assistenzdienst im Ausland» so anzupassen ist, dass  auch Schweizer Soldaten sich der EU-Operation NAVFOR Atalanta anschliessen können, obschon diese auch nicht ganz unumstritten ist (das Büro des Nationalrats schiebt derweil das Thema auf die lange Bank). Die entsendeten Soldaten sollen Schiffe des Welternährungsprogramms der UNO sowie Handelschiffe der Schweiz beschützen.  

Das klingt ganz vernünftig – auf den ersten Blick.

Doch irgendwie beschleicht einem dabei auch ein merkwürdiges Gefühl – oder sollte es zumindest. Auslöser dafür ist weder der Auslandeinsatz noch die Bewaffnung oder den für Schweizer ungewohnten Einsatzort.

Vielmehr geht es darum, dass hier ein sicherer Korridor geschaffen werden soll, damit wir hier in Europa mit unseren fetten Bäuchen und Hintern weiterhin dem Konsum frönen können. Es geht auch darum, dass ein sicherer Korridor geschaffen werden muss, damit häufig ausgemergelte Somalier wenigstens etwas in ihren Bauch bekommen.

Und ob all dem stellt keiner die Frage, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Oder haben Sie etwa irgendwo gehört, gelesen oder gesehen, wer die Piraten sind und wie es überhaupt zu dieser Piraterie kam?

Schwieriger Hintergrund

Mit über 3000 km hat Somalia die längste Küste auf dem afrikanischen Festland. Doch seit 1991 herrschen in diesem Land bürgerkriegsähnliche Zustände, weshalb nebst dem Fehlen einer «gesamtsomalischen» Regierung auch kaum mehr Mittel für die Überwachung der Hoheitsgewässer vor der somalischen Küste zur Verfügung stehen.

Diesen rechtsfreien Raum mach(t)en sich laut Aussagen der UN-Welternährungsorganisation FAO über 700 ausländische Fischer zunutze:

There are also an estimated 700 foreign-owned vessels that are fully engaged in unlicensed fishing in Somali waters. This illegal, unregulated, and unreported (IUU) fishing in the offshore, as well as in the inshore, with the difficulties it causes for legitimate Somali fishermen, causes great problems for monitoring, control and surveillance (MCS) of the Somali EEZ. It is impossible to monitor their fishery production, in general, let alone the state of the fishery resources they are exploiting.

Nach Schätzungen der FAO zufolge plünderten internationale Schwarzfischer vor Somalia bis zu ihrer teilweisen Vertreibung durch die Piraten jährlich Fisch und Krustentiere im Wert von etwa 94 Millionen Dollar. Es wird aber nicht bloss gefischt, sondern es wird auch überfischt. Damit wird der ohnehin Not leidenden somalischen Bevölkerung eine wichtige Lebensgrundlage genommen.

In der Schweiz…

Wem das vielleicht alles zu fremd erscheint und bei sich zu Hause im Hintergrund Kuhglocken läuten hört, kann das auch gut auf Schweizer Verhältnisse ummünzen: Bauer A treibt seine Kühe auf die Wiese des Bauers B. Den Kühen des Bauers B bleibt damit weniger Gras, weshalb seine Kühe auch weniger Milch abgeben und weshalb dem Bauer B auch seine Lebensgrundlage entzogen wird.

Was denken Sie, wie wohl Bauer B reagiert, insbesondere auch dann, wenn ihm keine Polizeigewalt zu Hilfe eilt?

Genau, er nimmt die Sache, oder besser gesagt die Heugabel selber in die Hand und versucht den Bauer A zu vertreiben. Doch es ist ein ungleicher Kampf, denn Bauer A ist ein Grossbauer und tritt mit grossen Traktoren gegen den Bauer B an…

David gegen Goliath

Heugabeln und Traktoren kennt man in Somalia wohl nur wenige, Waffen hingegen schon. Es kann daher nicht überraschen, dass die somalischen Fischer in Ermangelung einer eigentlich dafür zuständigen, somalischen Küstenwache selber begannen, das Recht in die Hand zu nehmen.

Darum begannen sie sich zu bewaffnen, um sich so gegen die illegalen, ausländischen Fischer zu wehren. Doch es war und ist ein Kampf «David gegen Goliath». Laut einem Bericht der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Environmental Justice Foundation (EFJ) rammten die Invasoren die Boote einheimischer Fischer, beschossen deren Insassen mit Wasserkanonen, zerschnitten ihre Netze und nahmen dabei selbst den Verlust von Menschenleben in Kauf.

Etliche dieser ausländischen Fischräuber fahren unter fremden Billigflaggen. Die Hürde dazu ist sehr klein, ist doch sogar online eine Anmeldung möglich. Doch damit nicht genug: Selbst wenn Länder wie zum Beispiel Panama, Belize oder Honduras internationalen Abkommen zum Schutz der Meere angehören würden, können – oder wollen diese Länder deren Einhaltung gar nicht kontrollieren. Georgien, als weiteres Beispiel, dürfte wohl auch heute noch andere Sorgen haben…

Folgen des Entzugs der Lebensgrundlage

Diese wirtschaftliche Situation ist der Ausgangspunkt für die heutige Situation am Horn von Afrika. Die politische Instabilität in Somalia hat es schliesslich erlaubt, dass Clans oder mafiaähnliche Organisationen aus dem bewaffneten Widerstand ein mutmasslich rentables Geschäft gemacht haben. Würden Sie als junger Mann nicht auch auf einem Piratenschiff anheuern, wenn die Meere vor ihrer Haustüre ohnehin nichts mehr hergeben? Womit wollen Sie denn sonst ihren Lebensunterhalt bestreiten?

Bereits anfangs dieses Jahres hatte die Augenreiberei unsere Aussenministerin, Micheline Calmy-Rey, auf dieses Thema angesprochen und Mitte Februar die folgende (diplomatische) Antwort erhalten:

Sie sprechen ein Phänomen an, das auch mich beschäftigt. Leider ist die Überfischung der Weltmeere ein globales Problem und nicht auf das Gebiet um den Golf von Aden beschränkt. Und überall leidet vor allem die lokale Bevölkerung unter den technisch hochgerüsteten Fischfangflotten gewisser Industriestaaten.

Aber die mangelnden Meeresressourcen sind nicht das einzige Problem, welches die Situation in Somalia besonders schwierig gemacht hat. Naturkatastrophen, internationale und interne Konflikte, Krankheiten, Preissteigerungen der Lebensmittel und eine schwache Regierung, die ihre Bevölkerung kaum schützen kann, führten zur Zuspitzung der humanitären Lage.

Die Schweizerische Humanitäre Hilfe ist mit steigender Tendenz insbesondere in folgenden Bereichen aktiv: Lebensmittelsicherheit und Schutz der Zivilbevölkerung in Konfliktsituationen (die Hilfeleistungen wurden von CHF 10 Mio im Jahre 2007 auf 17 Mio im 2008 erhöht). Und auch ein möglicher schweizerischer Beitrag im Rahmen der EU-Initiative Atalanta zum Schutz der Schiffe gegen die Piraterie käme in erster Linie den Versorgungsschiffen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen zugute, welche die Ernährungssicherheit der Bevölkerung in Somalia garantieren.

Die fragliche Auslandsmission von maximal 30 Soldaten soll gemäss bundesrätlichem Vorschlag bis Mitte 2010, gemäss ständerätlicher Sicherheitskommission bis Ende 2010 befristet sein.

Mehr Symbolcharakter als dauerhafte Lösung

In der Augenreiberei glaubte man als Teenager auch, in kürzester Zeit die Welt verändern zu können. Doch die Damen und Herren der eidgenössischen Räte sind keine Teenager mehr und sollten wissen, dass sich eine so komplexe Problematik nicht bloss mit 30 Soldaten für die Dauer von wenigen Monaten und einigen Millionen Schweizer Franken lösen lässt.

Dafür bräuchte es einiges mehr als diesen kleinen Tropfen auf den heissen Stein, der wohl nicht mehr als Symbolcharakter hat…

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