Wenn die Zeit plötzlich stehen bleibt…

Die Zeit ist in unserer Gesellschaft schon derart präsent, dass wir sie kaum mehr zur Kenntnis nehmen – ausser dann, wenn wir nicht mehr genügend von ihr haben. Was würde wohl geschehen, wenn sie plötzlich stehen bleibt?

Irgendwann im Dezember 2012 bleibt die Zeit stehen. Zumindest endet dann der Maya-Kalender, was einige schon seit Jahren dazu bewog, von irgendwelchen Weltuntergangstheorien per Ende 2012 zu sprechen.

Tatsächlich könnte die Zeit aber für einige schon ein Jahr früher zum Stillstand kommen, nämlich Ende 2011. Der Grund dafür liegt im waadtländischen Prangins.

Schweizer Zeitzeichensender

Wer schon einmal nach Genf gefahren ist, dem blieben die beiden in Prangins stehenden, rot-weiss angestrichenen Metalltürme neben der Bahnlinie oder der Autobahn sicher nicht verborgen. Hierbei handelt es sich um den «Zeitzeichensender HBG», welcher seit 1966 ein mit der Weltzeit abgestimmtes Zeitzeichen sendet. An diesem orientieren sich zum Beispiel Kirchturm- und Schulhausuhren.

Betrieben wird dieser Sender heute vom Bundesamt für Metrologie METAS (nicht zu verwechseln mit dem Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz). Dieses Bundesamt ist dafür zuständig, dass die Masse und Messinstrumente in der Schweiz genau sind und genau funktionieren, was im Uhren- und Präzisionsland Schweiz enorm wichtig ist.

Die Website des METAS ist – wohl ungewollt – ein wahrer Fundus an zum Teil abstrakten und für Unkundige zugleich amüsanten Definitionen. So findet sich unter dem Titel «Realisierung der Sekunde» die folgende Definition:

Die Sekunde (s) ist das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cäsium 133 entsprechenden Strahlung.

Wer also glaubte, dass die Sekunde einfach so stattfindet, der irrte, denn sie muss ja zuerst realisiert werden… 🙂

Auch der Sommerzeitkalender gibt bei genauerer Betrachtung Anlass zu einem Schmunzeln. Dieser enthält nicht nur die Zeitumstelldaten der vergangenen Jahre, sondern auch der zukünftigen Daten:

Sommerzeit-Daten

Haben Sie gemerkt, dass dieser Kalender auch nicht übers Jahr 2012 hinaus geht? Ob wohl doch etwas an der Weltuntergangstheorie dran ist? 🙂

Doch zurück zum ursprünglichen Thema. Auch beim Zeitzeichensender HBG zeigen die Bundesangestellten wohl ungewollt Humor:

Der Sender arbeitet im 24-h-Betrieb.

Etwas anderes kann man sich in der Augenreiberei von einem Zeitzeichensender eigentlich auch gar nicht vorstellen… 😉

Baldiges Aus

Wie auch immer, die beiden Türme sind in einem so schlechten Zustand, dass sie weder renoviert noch ersetzt werden sollen. Ende 2011 wird es von Prangins aus kein Zeitzeichen mehr geben.

Damit ausreichend Zeit für die Umstellung auf eine Alternative zur Verfügung steht, wurde bereits Ende August 2009 mittels Medienmitteilung über die Einstellung dieser Dienstleistung informiert.

Ob allerdings die Kirchensiegriste und alle sonstigen «Abnehmer» dieser Zeitzeichen davon etwas erfahren habe – zumal man darüber auch in den Medien nichts vernahm – ist fraglich. So könnte es durchaus sein, dass dann da und dort just zum Jahreswechsel 2011/2012 die eine oder andere Uhr stehen bleiben wird, so als ob die Zeit quasi still stehen würde…

Als Alternative zum Signal aus der Waadt bietet sich gemäss Medienmitteilung an:

(…) Deren Uhren können mit vertretbarem Aufwand auf das Signal des deutschen Zeitzeichensenders DCF77 umgestellt werden, das in der Schweiz mit vergleichbarer Qualität wie dasjenige des Senders HBG empfangen werden kann.

Weiter existiert ein gewisser HGB-Konsumgütermarkt (Funkwecker, deren Empfänger auf die Frequenz des Senders HBG ausgelegt sind; Empfänger für aktuelle Wetterinformationen). Viele dieser Geräte sind mit Empfängern ausgerüstet, die sowohl auf den Sender HBG wie auch auf den deutschen Sender DCF77 ausgelegt sind und werden somit weiterhin einwandfrei funktionieren.

Der grösste Teil solcher Geräte auf dem Markt ist ohnehin nur auf diesen deutschen Zeitzeichensender ausgelegt; das gilt etwa für alle Funkarmbanduhren.

Eine Funkarmbanduhr gibt’s in der Augenreiberei ohnehin nicht, aber sonst einige Funkuhren. Auf welches Signal diese ausgerichtet sind, wird sich zeigen. In der Regel laufen diese Uhren ja auch ohne Funksignal, wenn auch weniger präzise. Bis Arbeitsbeginn am Dienstag, 3. Januar 2012 wird man sich darüber Gewissheit verschafft haben (gleich mal in der elektronischen Agenda anstreichen, analoge Agendas fürs 2012 gibt’s ja noch nicht…).

Wenigstens die Uhren ticken in Europa gleich

Die Einstellung dieses Zeitzeichensenders birgt aber auch noch einige überraschende Erkenntnisse.

So zeigt sich darin ein grosses Vertrauen in einen ausländischen, benachbarten Zeitzeichensender.

Man kann die Orientierung am deutschen Zeitzeichensender DCF77 aber durchaus auch symbolisch verstehen: Die Uhren in Europa sind schon längst gleichgeschaltet.

Und es überrascht auch, dass jährlich Millionen von Schweizer Franken für eine territoriale Landesverteidigung auszugeben werden, währenddem die Aufrechterhaltung eines eigenen Zeitzeichensenders im Uhrenland Schweiz offensichtlich nicht von hoher strategischer Bedeutung ist…

Aber was soll’s: Im Schokoladenland Schweiz wachsen ja bekanntlich auch keine Kakaobohnen. Wozu braucht’s da im Uhrenland Schweiz schon einen eigenen Zeitzeichensender…?

Übrigens, heute ist Tag- und Nachtgleiche. Auch die steht im Zusammenhang mit der Zeit – oder muss die etwa auch erst «realisiert» werden?

😉

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