Es war einmal… eine Welt, in welcher die einzelnen Staaten mehr oder weniger in sich geschlossene, wirtschaftliche Einheiten waren. Doch die Zeiten haben sich geändert und eine verstärkte, internationale Koordination tut Not…
Die (etwas andere) Geschichte zum Sonntag
In dem Moment, in dem ich meine Hände nach Abschluss der wöchentlichen Haushaltsreinigung wasche, klingelt es an der Tür zur Augenreiberei. Noch immer die Hände mit dem Handtuch trocknend nähere ich mich dieser und öffne sie schliesslich ohne vorgängigen Blick durch den Türspion.
Der Klang der Türklingel verriet mir bereits, dass jemand die Klingel direkt neben der Türe betätigte und nicht etwa unten beim Eingang. Dieses Klingeln hätte anders getönt. So ahne ich irgendwie bereits, wer da vor der Türe steht…
«Ja guten Tag Frau Habermacher!», begrüsse ich Sie, die Frau Habermacher, Hausfrau, Mutter und Nachbarin zur Augenreiberei, währenddem sie mit irgendwelchen Plastikstäben und nylonstoffartigen Fetzen, an denen auch noch ein armselig wirkender Reissverschluss hängt, vor meiner Türe steht.
Wie so oft bleibt auch diesmal eine verbale Begrüssung ihrerseits aus, äussert sich jedoch mit einem knappen Kopfnicken. «Können Sie mir helfen kommen?», schnellen die ersten Worte ihrerseits mir entgegen.
«Aber selbstverständlich! Womit kann ich denn dienen?», zeige ich mich hilfsbereit.
«Ich muss das Zelt wieder abbauen, dieses blöde Ding», und fuchtelt dabei mit den besagten Plastikstäben und Stofffetzen so herum, dass ich einen Schritt Abstand nehmen muss.
«La tente?», frage ich stirnrunzelnd zurück und deute auf dieses wenig nach Zelt anmutende Objekt in ihren Händen. «Wie bitte?», entgegnet sie mir, das fragliche Objekt nun wieder nach unten haltend, um mich anblicken zu können.
«Une tente – das Zelt. Ich dachte, Sie hätten nun einen Französisch-Kurs belegt, um ihre Chancen zu erhöhen, in Kürze bald in den Kissennäh-Vereinsvorstand gewählt zu werden», erinnere ich sie an unser letztes Gespräch.
Sie windet ihren Kopf auf ihre bekannte Weise von links nach rechts und wieder zurück. Schliesslich meint sie: «Der beginnt erst in zwei Wochen – wenn sich noch genügend Teilnehmer melden. Sieht im Moment nicht gut aus», und schweigt dann einen Moment das Objekt in ihren Händen an, bis sie nachschiebt: «Es befindet sich auf dem Balkon».
Ich bin verwirrt: «Was befindet sich auf dem Balkon?». «Das Zelt – la tente», gibt sie zweisprachig zurück und deutet dabei in Richtung ihrer Wohnung. Egal in welcher Sprache sie sich ausdrückt; sie ist nicht immer einfach zu verstehen…
«Ach so. Ja dann schauen wir mal», und ziehe die Türe zur Augenreiberei hinter mir zu und folge ihr durch die so saubere und aufgeräumte Wohnung, dass mir danach ist, meinen Atem anzuhalten, damit ich ja nichts verunreinige.
Schon von ihrem Wohnzimmer aus erkenne ich das, was einmal ein Zelt war. Weitere dieser biegbaren Plastikstäbe ragen in die Höhe und sollten dem darüber liegenden Stoff eine andere Form geben als das, was sich mir nun auf dem Balkon präsentiert. Davor ragt ein Loch, welches – so vermute ich – einmal der Zelteingang war, den sie nun in ihren Händen hält…
Gekrönt wird das Bild von den Blumenrabatten, aus welchen eben keine Blumen mehr ragen, sondern das halbe Meter hohe Kraut ihrer Mehr-Selbstversorger-Kartoffeln. Die ganze Situation verlangt mir mehr denn je Körperbeherrschung ab, um ob der mir vorliegenden Komik nicht gleich laut loszubrüllen. Der Gedanke, wie sie mit ihrer Giesskanne die Kartoffeln wässert, ist dabei auch nicht besonders hilfreich…
Um der Spannung in meinem Gesicht etwas nachzugeben, gebe ich – inzwischen auf dem Balkon angekommen – leicht lächelnd von mir, «die sollten aber langsam raus», deute auf die Blumenrabatte und meine damit die Kartoffeln.
«Meinen Sie?», gibt sie verunsichert zurück. «Aber sicher doch, sonst verfaulen sie noch. Und anschliessend ab in den dunklen, kühl-trockenen Bunker!»
«Aber sagen Sie mal, warum stellen Sie denn Ihr Zelt inmitten des Balkons auf?», sehe ich mich ob dieser ungewöhnlichen Campingplatz-Wahl gedrängt, Frau Habermacher zu fragen.
Wieder mit sicherer – und vor allem wichtiger Stimme höre ich sie erhobenen Hauptes sagen: «Wir haben gestern einen G-2-Gipfel durchgeführt». «Einen G-2-Gipfel?», schaue ich sie ungläubig an.
«Ja, mein Mann und ich. Wir sind die G-2. So wie die G-20 in Pittsburgh, einfach nur kleiner. Die Treffen sich ja auch immer fernab ihrer gewohnten Umgebung», erklärt sie den ungewöhnlichen Ort.
«Und was ist mit Ihrem Sohnemann? War der denn nicht eingeladen?», spreche ich sie aufs junge, dritte und ebenfalls berufstätige Mitglied des Habermacher’schen Haushalts an.
«Nun», beginnt sie und holt tief Luft, «der ist für unser Haushaltsbudget nicht von Bedeutung. Mein Mann hat ausgerechnet, dass er und ich 84 % der Wirtschaftsleistung in unserem Haushalt erbringen.»
«Das ist aber nicht sonderlich demokratisch», entgegne ich ihr zum Ausschluss ihres Sohnes aus dem familiären Gipfel-Treffen.
«Aber hören Sie mal!» beginnt sie entrüstet, «Wenn die bei diesem G-20-Gipfel das so machen, dann, wird das wohl schon in Ordnung sein».
«Sie haben aber den Protest von Merz an der UNO-Vollversammlung sicher auch gehört, welcher die Legitimität der G-20 in Frage stellte?», versuche ich es erneut.
«Sie meinen den Libyen-Reisenden?»
«Genau den! Unseren Bundespräsidenten», präzisiere ich weiter.
Sie verneint diesen Punkt. «Das ist mir wohl während unseres Gipfels entgangen. Wir hatten ja hier im Zelt keinen Fernseher», versucht sie sich zu entschuldigen. «Aber unser Sohnemann hatte auch protestiert, dass er nicht dabei sein dürfte…» «Voilà! Da haben wir’s!», fühle ich mich bei meinem Demokratie-Einwand bestärkt.
«Was ist denn eigentlich bei Ihrem G-2-Gipfel rausgekommen?», frage ich relativ indiskret nach.
«Ach, Sie wissen schon…», winkt sie schnell ab.
«Nein, ich weiss nicht», spiele ich den Ball sofort zurück. Hingegen weiss ich, dass aus dem Zelt wohl nichts mehr wird…
Mit gequälter Miene ringt sie sich nach einigem Zögern dann doch noch zu einer ziemlich kleinlauten Antwort durch: «Mein Bonus wird gekürzt.»
«Ihr Bonus wird gekürzt?»
«Ja», bestätigt sie meine Nachfrage mit ganz leiser, schier hauchender Stimme, wobei sie nun den Tränen äusserst nahe ist.
Mit schmollenden Lippen wie bei einer Vierjährigen höre ich sie weiterreden: «Den Blumenstrauss, welcher mir mein Mann jeden Samstag Nachmittag schenkt…», sie holt tief Luft, «…den wird er mir ab sofort nur noch einmal pro Monat schenken. Und dann auch nur noch in der Minimal-Ausführung».
Mein Gesicht zeigt Betroffenheit, was bleibt mir denn anderes übrig…
«Vor allem aber…» und holt noch einmal tief Luft, um sich quasi Mut für die Fortsetzung einzuhauchen, «darf ich die Lindor-Kugeln, welche mein Mann und ich so gerne haben, nur noch vierteljährlich kaufen». Ihre Augen sind inzwischen wässrig geworden, doch noch kullert keine Träne über ihre Backen.
«Das ist aber hart», drücke ich nun auch verbal meine Betroffenheit aus, obschon ich lauthals loslachen könnte.
«Und als ob das noch nicht genug wäre», setze ich an, um ihr die noch unausgesprochene Wahrheit zu sagen, «wird aus dem Zelt hier wohl auch nichts mehr».
Sie blickt mich einen Moment lang entgeistert an, bis ihr – sich wohl der Kosten des Zeltes bewusst geworden – tatsächlich eine Träne über die rechte Backe kullert. Ob ich ihr spontan eine Schachtel Lindor-Kugeln kaufen sollte, zischt es mir durch den Kopf?
Ich entscheide mich für eine verbale Aufmunterung: «Sie müssen das positiv sehen: Die Grundlage für den nächsten G-2-Gipfel mit vielleicht noch drastischeren Massnahmen ist dahin», und deute dabei auf das, was einmal ein Iglu-Zelt war.
Nur einen kurzen Augenblick schaut sie mich mit leerem Blick an – bis sich ihre Miene wieder aufhellt und mich im Ungewissen lässt, welcher noch immer vorhandene «Bonus» wohl der Grund dafür ist…