Alter AKW-Wein in neuen Energie-Schläuchen

Gewisse Diskussionen laufen schon seit Jahren ohne schlüssige Übereinkunft zwischen den Meinungspolen. Wie lange sollen solche Diskussionen noch geführt werden?

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist zurzeit in vielen Ländern ein heiss diskutiertes Thema. In Deutschland wäre die Diskussion keine mehr, hätte die Regierung Merkel nicht den Ausstieg aus dem Atomstrom-Ausstieg beschlossen.

Nun ist von der «Energiewende» die Rede, da die deutsche Regierung nun doch wieder in Richtung Ausstieg wendet… (vielleicht müsste man das eher die «Merkelwende» nennen 🙂 ).

Einen Schritt voraus

Deutschland produziert heute noch mit etwas über 40 Prozent etwa gleich viel Strom mit Braun- und Steinkohle wie die Schweiz mit AKWs produziert. Ein Musterknabe in Sachen nachhaltiger Stromproduktion ist Deutschland darum nicht.

Trotzdem liegt der Anteil erneuerbarer Energien ohne Wasserkraft (3,2 Prozent) bei rund 13 Prozent, währenddem diese Energiequellen in der Schweiz so unbedeutend sind, dass sie in den Statistiken noch immer unter «andere» geführt werden.

Dass Deutschland aber bezüglich erneuerbarer Energien schon so weit ist, dürfte sicher auch dem von der Regierung Schröder damals beschlossenen Ausstieg zugeschrieben werden. Dies wird seine Signalwirkung gehabt haben.

Nun ist es aber nicht so, dass in der Schweiz bisher zum Thema Atomstrom und möglicher Alternativen keine Diskussion stattgefunden hätte. Es ist auch nicht so, dass es nicht schon längst Ausstiegsmodelle gäbe, obschon nun Bundesrätin Doris Leuthard so tut, als ob man zuerst über die Bücher müsse, bevor man den Atomstrom-Ausstieg beschliessen könne.

Dauerbrenner AKWs

Die Schweiz stimmte nämlich schon im Jahr 1990 über zwei Volksinitiativen zum Atomstrom ab. Die Erste «für den Ausstieg aus der Atomenergie» wurde mit 52,9 Prozent relativ knapp abgelehnt, die Zweite «Stopp dem Atomkraftwerkbau (Moratorium)» wurde hingegen mit 54,5 Prozent angenommen.

Damit kam vier Jahre nach Tschernobyl doch ein klares Misstrauen gegenüber Atomstrom zum Ausdruck. Für einen Ausstieg reicht es nicht, die Devise der Mehrheit lautete vielmehr: Warten wir mal ab (bis sich der radioaktive Staub von Tschernobyl gelegt hat?).

Vor acht Jahren kam es zu einer Neuauflage der beiden vorgängig erwähnten Begehren. Die Volksinitiative «Strom ohne Atom – Für eine Energiewende und schrittweise Stilllegung der Atomkraftwerke (Strom ohne Atom)» wurde mit 66,3 Prozent klar verworfen.

Bei der Volksinitiative «Moratorium Plus – Für die Verlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps und die Begrenzung des Atomrisikos (MoratoriumPlus)» waren es 58,4 Prozent, welche ein Nein in die Urne legten.

Tschernobyl lag bereits 17 Jahre zurück und war offensichtlich bereits wieder vergessen. Dennoch kann vor allem wegen den abweichenden Resultaten zwischen den beiden Vorlagen nicht von einem klaren Bekenntnis zu Atomstrom gesprochen werden. Ein gewisses Misstrauen gegenüber AKWs kam auch im 2003 zum Ausdruck.

Vor allem aber zeigt die Tatsache der erneuten Abstimmung über die Zukunft von AKWs, dass das Thema beschäftigt und nicht unumstritten ist. Es wäre darum angebracht gewesen, wenigstens ein längerfristiges Ausstiegsszenario auf der Basis erneuerbarer Energien zu verfolgen.

Energiepolitische Schlamperei

Zurzeit – wir schreiben das Jahr 2011 – ist hingegen noch nicht einmal bekannt, wann die fünf bestehenden AKWs abgeschaltet werden sollen. Seinerzeit ging man von einer Betriebsdauer von 40 Jahren aus. Heute haben stattdessen alle fünf AKWs eine unbefristete Betriebsbewilligung, weshalb auch Beznau I mit Inbetriebsetzungsjahr 1969 noch immer in Betrieb ist.

Nach den vorgesehenen 40 Jahren noch nicht zu wissen, wann die alten AKWs abgeschaltet werden sollen und womit deren Stromproduktion ersetzt werden soll, ist keine Strategie, sondern politische Schlamperei. Dies wiegt umso schwerer, als dass die bisherigen Abstimmungen zu diesem Thema zeigen, dass AKWs ein Dauerbrenner sind, die beschäftigen und bei einer relativ grossen Minderheit wiederholt ein gewisses Misstrauen ausdrücken.

Vor einer Woche beschlossen die Grünen an ihrer Delegiertenversammlung, erneut eine Volksinitiative zum Atomausstieg zu lancieren. Das wäre dann Anlauf Nummer 3. Wie die Abstimmung ausgehen wird, sofern die Initiative zustande kommt (davon ist wohl auszugehen), ist ungewiss.

Die Abstimmung im bisher eher AKW-freundlichen Kanton Bern zur Erneuerung des AKWs Mühleberg, welche noch vor Fukushima stattfand, fiel mit rund 8’900 Stimmen Differenz zugunsten einer Erneuerung äusserst knapp aus. Heute sähe dieses Resultat bestimmt anders aus.

Vor der Abstimmung im Jahr 2003 gab es eine «Arena»-Sendung zu den beiden Initiativen. Sie ist nicht nur deshalb interessant, weil gewisse Befürworter und Gegner heute selber im Bundesrat sitzen, Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga, sondern auch weil die Argumente von damals die gleichen sind wie heute – ohne dass sich seither wirklich etwas in die eine oder andere Richtung bewegt hätte. Es ist nur alter Wein in neuen Schläuchen.

Schauen Sie sich doch diese Sendung an (ältere Sendungen können leider nicht eingebetet werden, Sie müssen sie sich darum direkt im SF-Videoportal anschauen)!

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