Als der Feind noch aus dem Osten kam…

Die Schweizer Armee ist auf der Suche nach Geld. Derweil ist die Suche nach neuen Feindbildern zweitrangig geworden oder wird äusserst schwammig dargestellt – meinen selbst die Kantonsregierungen.

Was waren das doch für militärisch klare Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg: Dem Kommunismus in der ehemaligen UdSSR sei dank, war das Feindbild aller westlichen Nationen relativ klar und lag im Osten – und dort lag es umgekehrt natürlich im Westen.

Inzwischen gehört vieles zur Geschichte und damit auch das klassische Feindbild. Und alle Nationen, welche ihre Waffen bisher nach Osten oder nach Westen gerichtet hatten, suchen für ihre Armeen neue Feindbilder und neue Betätigungsfelder.

Fiktion und Realität

Wo man keine findet, werden welche erfunden. Man sollte eigentlich den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und dessen ehemaligen Verteidigungsminister Colin Powell in den Irak schicken, damit sie uns endlich jene Massenvernichtungswaffen zeigen, welche den zweiten Irak-Krieg begründeten.

Von «präventivem Erstschlag» war da die Rede, ein Begriff, welcher bis anhin so nicht existierte, aber auch heute immer wieder in anderen Situationen wie im Iran oder in Nordkorea verwendet wird. Ebenso in Mode gekommen und ebensolche Unwörter sind die Ausdrücke «militärische Friedensmission» oder «Friedensicherung», Letzteres wohlverstanden mit militärischen Mitteln, also Waffen. Gewiss wird niemand aufmucken, wenn man ihm eine Waffe an die Schläfe hält…

Und irgendwie hat alles immer auch mindestens ein bisschen mit Terrorismus zu tun. Der Ausdruck «Kampf gegen den Terror» ist zwar inzwischen verschwunden, der Begriff «Terrorismus» ist aber geblieben.

Er verkauft sich nach wie vor gut und erlaubt, uns einfache Bürger durch allerlei Massnahmen zum Beispiel an Flughäfen oder durch zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten, allem voran des Datenverkehrs, zu schikanieren.

Das hat auch damit zu tun, dass der «Feind» häufig kein Staat mehr ist, sondern irgendeine nichtstaatliche, meistens muslimisch geprägte Organisation. Zumindest bekommen wir das so immer zu hören.

Wegen Geldmangels: «Untauglich»

Doch wir können beruhigt sein: Wegen Geldmangels darf zurzeit kein Feind angreifen, da der Kauf von neuen Kampfflugzeugen, mit denen er bekämpft werden soll, gemäss Entscheid des Bundesrats von letzter Woche um maximal fünf Jahre verschoben wurde.

Das war jetzt eine thematisch ganz scharfe Kurve, doch letzten Endes geht es genau darum: Wer und was bedroht eigentlich die Schweiz und mit welchen Mitteln sollen diese Bedrohungen abgewandt werden.

Das «Gejammer» aus dem VBS, es fehle an allen Ecken und Enden an Geld, erstaunt. Zum Einen erstaunt dies deshalb, weil es nur von offiziellen VBS-Vertretern zu hören ist, nicht aber von den eigentlich direkt betroffenen Armeeangehörigen:

Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, als Ueli Maurer verlauten liess, dass Mienenwerfer mit dem Postauto in die Berge fahren müssten, weil nicht genügend Fahrzeuge zur Verfügung stünden. Wenn die Situation wirklich so dramatisch wäre, hätten es Rekruten und WK-Soldaten schon lange an die Boulevard-Medien herangetragen und diese hätten daraus eine fette Schlagzeile gemacht.

Doch es tut sich nichts dergleichen. Dass es vielleicht daran liegt, dass Postautos einen grösseren Transport-Komfort bieten als die üblichen Armee-Fahrzeuge, ist eher unwahrscheinlich. Es mangelt nach Darstellung des VBS ja nicht nur an Transport-Fahrzeugen, sondern generell im Bereich Logistik und Ausrüstung (was immer man darunter auch alles verstehen will).

Dabei wurde die Armee in den letzten Jahren laufend verkleinert, womit für die «Übriggebliebenen» jede Menge an Material vorhanden sein müsste. Dieses Material ist so gebaut, dass man es fast nicht kaputt kriegt, schliesslich hat es ja auch kriegstauglich sein…

Fehlendes politisches Ziel

Das Gejammer aus dem VBS überrascht aber noch aus einem ganz anderen Grund: Zurzeit liegt nämlich erst der Entwurf des «Berichts zur Sicherheitspolitik der Schweiz» vor, welcher noch weder vom National- noch vom Ständerat oder den jeweiligen sicherheitspolitischen Kommissionen behandelt wurde.

Das heisst, auf politischer Ebene ist noch nicht klar, worauf man den Fokus in Sachen Sicherheit legen will. Ein solch politischer Entscheid legitimiert dann auch die Beantragung entsprechender Mittel.

Im angesprochenen Entwurf wird die folgende Definition als Sicherheitspolitik verstanden:

Sicherheitspolitik umfasst die Gesamtheit aller Massnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden zur Vorbeugung, Abwehr und Bewältigung machtpolitisch oder kriminell motivierter Drohungen und Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, die Schweiz und ihre Bevölkerung in ihrer Selbstbestimmung einzuschränken oder ihnen Schaden zuzufügen. Dazu kommt die Bewältigung natur- und zivilisationsbedingter Katastrophen und Notlagen.

Das heisst, bevor man sich über die Sicherheitspolitik nicht im Klaren ist, sind auch «Massnahmen», wie eben der Kauf von Kampfflugzeugen, verfrüht.

Diese Ansicht wird auch im Entwurf unter der «grundsätzlichen Ausrichtung» der sicherheitspolitischen Strategie vertreten, obschon nicht explizit von Kampfflugzeugen die Rede ist:

Die sicherheitspolitische Strategie muss drei Grundbedingungen erfüllen: Sie muss auf die bestehenden und sich abzeichnenden Bedrohungen und Gefahren ausgerichtet sein und gegenüber ihnen wirksam sein, sie muss mit den Ressourcen der Schweiz (bzw. dem von den politischen Behörden beschlossenen Ressourcenansatz) realisierbar sein, und sie soll auf einem breiten Konsens basieren.

Sobald dieser Entwurf in seiner endgültigen Fassung verabschiedet ist, liefert er auch die Legitimation, Ressourcen für den möglichen Kauf neuer Kampfflugzeuge bereitzustellen. Aber erst dann.

Widersprüchliche Einschätzungen

Offen bleibt hingegen die Frage nach den «sich abzeichnenden Bedrohungen». Gestern war in der Zeitung «Sonntag» zu lesen, dass der Luftwaffen-Kommandant Markus Gygax ein Raketenabwehr-System für die Schweiz fordere. Begründung: Terroristische Organisationen wie die Taliban in Afghanistan würden bald über Lenkwaffen verfügen, welche unser Land erreichen könnten.

Auch dieses «Vorpreschen» eines Armee-Kommandanten (ob gezielt orchestriert oder auch nicht) überrascht in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ist zu diesem Thema im Entwurf der Sicherheitspolitik der Schweiz Folgendes zu lesen:

Es ist damit zu rechnen, dass Waffen, die heute nur Streitkräften zur Verfügung stehen, in Zukunft auch terroristischen Gruppierungen in die Hände fallen. Im Fall von Boden-Luft-Lenkwaffen ist dies bereits der Fall. Im Fall von Waffensystemen, die eine grössere Infrastruktur benötigen, ist diese Entwicklung weniger wahrscheinlich: Der Einsatz moderner Raketen mittlerer und grosser Reichweiten ist kaum ohne Duldung des Staates möglich, von dem aus es abgefeuert würde, und Analoges gilt auch für Kampfflugzeuge. (Die Verwendung von Schiffen wäre denkbar, aber es wäre schwierig, grosse Systeme unauffällig zu verladen.)

Oder auf gut deutsch: Es wird im Entwurf so gut wie ausgeschlossen, dass ein solcher Angriff unbemerkt erfolgen könnte. Darum ist es wenig verständlich, dass man in dieser Angelegenheit in den Medien plötzlich ein Thema daraus macht, obschon aus den gleichen (VBS-)Kreisen die Rede davon ist, dass hier so gut wie keine Bedrohung besteht. Oder ist der Entwurf etwa bereits wieder veraltet?

Primärziel Schweiz?

Erstaunlich ist bei dieser Äusserung aber auch, dass man die Schweiz überhaupt als Angriffsziel in Betracht zieht. Zugegeben: Mit dem Minarettverbot und gewissen Kopftuchtrag-Verboten hat sich die Schweiz keine Freunde in islamistischen Kreisen gemacht.

Doch bevor irgendwelche «religiös verwirrte Menschen» Raketen auf die Schweiz richten, dürften vorgängig eher jene Staaten ins Visier dieser Gruppen geraten, welche auch militärisch in Afghanistan präsent sind. Schliesslich erntet man immer, was man säht…

Und schliesslich macht ob Gygax’ Äusserung auch stutzig, woher denn diese Gruppen solche Waffen beziehen sollen. Die Schweiz, selber ein Produktionsland von Waffen, rühmt sich selber zwar immer für ihre restriktive Exportkontrolle von Waffen – auch wenn es immer wieder Fälle gibt, die aufzeigen, dass militärische Güter in andere als in die vorgesehenen Hände gelangen.

Sie erachtet es hingegen nicht als notwendig, im fraglichen Entwurf auf verstärkte und einheitliche Exportkontrollen auf internationaler Ebene zu pochen. Das würde erlauben, diese Bedrohung quasi an der Quelle zu beseitigen. Stattdessen ist in diesem Entwurf nicht einmal ansatzweise die Rede von diesem Aspekt.

Private Cyber-Armeen

Interessant sind auch die Antworten all jener, welche zur Vernehmlassung dieses Entwurfs eingeladen wurden, namentlich der Kantonsregierungen. So ist im Vernehmlassungsbericht etwa zu lesen:

Eine grössere Anzahl Angehörter ist überdies der Ansicht, dass der Problematik von Cyber-Angriffen und -Kriminalität zu wenig Rechnung getragen werde.

Dazu sei hier auch das Ziel der Sicherheitspolitik gemäss Entwurf erwähnt:

Die schweizerische Sicherheitspolitik hat zum Ziel, die Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Integrität der Schweiz und ihrer Bevölkerung sowie ihre Lebensgrundlagen gegen direkte und indirekte Bedrohungen und Gefahren zu schützen sowie einen Beitrag zu Stabilität und Frieden jenseits unserer Grenzen zu leisten.

Der Entwurf enthält zu Cyber-Angriffen und –Kriminalität tatsächlich sehr wenig und beschränkt sich bei der Bekämpfung vor allem nur auf die eigenen staatlichen Systeme.

Dass sämtliche Schweizer Unternehmen sowie private Internetz-Benutzer jährlich Milliarden von Schweizer Franken für den Schutz der eigenen Systeme und Computer ausgeben müssen und damit quasi eigene, virtuelle Armeen zur Abwehr dieser Bedrohungen auf virtueller Ebene betreiben müssen, scheint im VBS nicht als Bedrohung der «Integrität der Schweiz und ihrer Bevölkerung sowie ihrer Lebensgrundlagen» interpretiert zu werden.

Es braucht wohl erst eine Art «virtuelle Pandemie», also ein besonders heimtückischer Virus oder Wurm, welcher die halbe Schweizer Volkswirtschaft lahm legt, bis man auf politischer Ebene dazu aktiv wird. Und die Wahrscheinlichkeit solcher Angriffe liegt wohl um einiges höher als der Angriff durch irgendwelche Lenkwaffen aus Afghanistan…

«Armee ja – aber was machen wir mit ihr?»

Weiter ist aus dem Vernehmlassungsbericht zu lesen:

Auf viel Kritik stösst die Matrix zur Darstellung von Eintretenswahrscheinlichkeit und Schadenausmass der einzelnen Bedrohungen und Gefahren; diese sei zu grob und teilweise nicht nachvollziehbar.

Dabei geht es um die folgende Matrix:

Zudem ist auch zu lesen:

Die Ausführungen zur Verwundbarkeit der Schweiz werden insgesamt als richtig und wichtig erachtet; kritisiert wird hingegen auch hier von mehreren Angehörten, dass daraus keine oder kaum Schlüsse für die Ausgestaltung des Sicherheitsdispositivs gezogen werden.

Und schliesslich noch dieser Auszug:

Die Ausführungen zur Armee sind kontrovers, wobei sich die Kritik insbesondere auf den Verteidigungsauftrag und die Weiterentwicklung der Armee bezieht, weniger hingegen auf die subsidiären Einsätze zur Unterstützung der zivilen Behörden und auf die militärischen Auslandeinsätze.

Bei den drei letzten Zitaten widerspiegelt sich deutlich, was letzten Endes auch indirekt von den VBS-Vertretern und ihren immer wieder neuen «Geschichten» zu hören ist: Niemand weiss so richtig, was man hierzulande vor allem mit der Armee anfangen und wo man sie einsetzen soll, weil die Bedrohungsbilder mehr als schwammig sind.

Finanzierung von «Sicherheit»

Dahinter steckt aber durchaus auch Absicht: Verschiedentlich kann man dem Bericht entnehmen, dass sich die Bedrohungen nicht mit Sicherheit bestimmen liessen und dass sich die Bedrohungslage jederzeit ändern könne. Darum, so kann man indirekt aus diesem Entwurf schlussfolgern, habe man sich für alle erdenkliche Eventualitäten zu rüsten.

Das entspricht auch der medialen Strategie des VBS: In unregelmässigen Abständen platzieren bekannte VBS-Vertreter wie Bundesrat Maurer, Armee-Chef Blattmann (mit seiner Gefahrenkarte) oder Flugwaffen-Kommandant Gygax Bedrohungsbilder, an die der einfache (Stimm-)Bürger bitte schön glauben soll.

Würden sie sich auf ein Bedrohungsbild einigen – etwa so, wie das George W. Bush gemacht hatte – könnte die ständige Wiederholung der immer gleichen «Bedrohung» tatsächlich dazu führen, dass viele daran glauben. Man kann bekanntlich Vieles auch herbeireden…

Die Verzettelung auf die verschiedenen, abenteuerlich anmutenden «Bedrohungen», welche wohl dazu dienen sollen, jene Mittel zu erhalten, um in Zukunft für möglichst allerlei Fälle ausgerüstet zu sein, führt hingegen dazu, dass der einfache Bürger nur darüber lachen kann.

Das Thema Sicherheit beschäftigt den einfachen Bürger zweifellos. Dabei geht es allerdings mehr um die breiten Spektren der (Cyber-)Kriminalität und (physischer und psychischer) Gewaltverbrechen. Und die fallen weder unter die Zuständigkeit der Armee noch lassen sie sich mit Kampfflugzeugen, Artillerie oder sonstigen klassisch-militärischen Mitteln bekämpfen.

Darum wäre es wohl sinnvoller, die unzähligen Milliarden für die Armee in die Prävention von Kriminalität und Gewaltverbrechen zu stecken statt in Waffensysteme, welche nach dreissig Jahren ungebraucht und wortwörtlich zum alten Eisen gehören…

Eine Antwort auf „Als der Feind noch aus dem Osten kam…“

  1. Herrje, nach dieser Einschätzung (was machten wir bloss ohne Experten…) ist der Titel dieses Beitrags bereits wieder überholt: Der Feind kommt eben doch aus dem Osten… 😆

    Und da ärgert sich noch ein Anderer über die VBS-Forderungen…

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