Zunehmende Jugendgewalt: Alles nur eine Lüge oder was?

Die Kriminalität und Gewalt durch und unter Jugendlichen hat zugenommen. Das zumindest bekommen wir aus den Medien immer wieder zu hören. Aber ist dem objektiv betrachtet tatsächlich so?

Die Täter tragen im medialen Umfeld immer wieder ähnliche Übernamen: «die Schläger von München», «die Schläger von Kreuzlingen», «die Postgassen-Schläger von Bern», «die Schläger von Yverdon», «die Schläger von Basel», «die Schläger von…».

Da am vergangenen Samstag erneut in der Münchner S-Bahn ein 50-Jähriger zusammengeschlagen wurde und anschliessend seinen Verletzungen erlag, reicht die Bezeichnung «Schläger von Ort XYZ» offensichtlich nicht mehr aus, sind doch inzwischen mehrerer solcher Delikte von München bekannt.

Diese «Schläger von …» sind ausnahmslos männliche Jugendliche, weshalb man ob all diesen via Medien bekannt gewordenen Fälle versucht ist, unisono gleich allen männlichen Jugendlichen auszuweichen denn – hey, man weiss ja nie…

Widersprüche

Doch die «Signale» aus der Berichterstattung sind zum Teil widersprüchlich. So berichtete die Tagesschau am 14. Dezember 2007 über eine Studie des pädagogischen Instituts der Uni Zürich, wonach die Jugendgewalt an sich nicht zugenommen habe. Hingegen würde häufiger Anzeige erstattet (dieser Beitrag kann leider nicht eingebettet werden, weshalb Sie ihn direkt im Videoportal von SF anschauen müssen).

Demgegenüber kommt eine andere Studie des kriminologischen Instituts der Uni Zürich zum «erschreckenden» Schluss, dass rund ein Viertel der St. Galler Jugendlichen im 9. Schuljahr bereits mindestens einmal eine Körperverletzung oder einen Raub begangen haben sollen:

Die beiden Protagonisten dieses Tageschau-Beitrags vom 24.08.2009 sind bekannt für ihre jeweiligen Haltungen: Martin Killias, Projektleiter der Uni Zürich, ist ein bekannter Verfechter der Ansicht, dass Gewalt und Kriminalität durch Jugendliche zugenommen habe. Und die St. Galler FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter ist bekannt für ihre Tendenz zu eher repressiven denn präventiven Massnahmen.

Man wird daher den Eindruck nicht los, dass man mit dieser Studie nur einen Grund dafür suchte, um einerseits Kampfsportarten den Kampf anzusagen und andererseits neue, repressive Massnahmen gegen das augenscheinlich zugenommene Phänomen «Jugendkriminalität» einführen zu können.

Fragwürdige Schlussfolgerungen

Die Augenreiberei hat sich diesen Bericht deshalb etwas genauer angeschaut. Darin findet sich zum Beispiel die Frage:

Hast Du schon einmal jemanden geschlagen oder verprügelt (mit den Fäusten, mit einer Waffe, mit Fusstritten etc.), sodass er/sie ernsthaft verletzt wurde (blutende Wunde, blaues Auge etc.)?

Wer diese Frage bejaht, hat eine Körperverletzung begangen. Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail, denn: Was heisst «ernsthaft verletzt»?

Auch der Autor dieses Artikels, ansonsten ein friedliches Gemüt, war schon (mindestens) einmal in jungen Jahren in eine hitzige Rauferei mit einem Schulkollegen verwickelt, welche dann in einem Nasenbluten endete. Das wäre dann eine «blutende Wunde», womit hier wohl eine Körperverletzung vorlag. Erhoben wurde dieser Vorfall natürlich in keiner Statistik.

An dieser Stelle sei betont, dass dieser Artikel nicht darauf abzielt, Gewalt zu verniedlichen oder Tatsachen zu beschönigen. Er will nur der Frage nachgehen, ob Gewalt durch Jugendliche tatsächlich häufiger auftritt.

Vorfälle wie oben geschildert dürften bestimmt auch andere der hier Mitlesenden in ihrer Jugend in ähnlicher Weise erlebt haben – natürlich auch ohne dass diese irgendwo vermerkt worden wären.

Beim Vergleich mit früheren Studien, aus denen dann Schlussfolgerungen abgeleitet wurden, muss der erwähnte Projektleiter selbst zugeben, dass ein Vergleich auch nur bedingt möglich ist. So wurde in einer anderen, früheren Studie bezüglich Körperverletzung zum Beispiel danach gefragt, ob «jemanden derart geschlagen oder ihn mit einer Schlagwaffe oder einem Messer derart wehgetan, dass der/die zu einem Arzt musste».

Natürlich rennt niemand wegen Nasenbluten oder einem blauen Flecken gleich zum Arzt, was aufgrund der unterschiedlichen Fragestellung logischerweise auch zu anderen Ergebnissen führt.

Zwar bringt der Autor beim Vergleich mit früheren, zum Beispiel in Zürich und Zug durchgeführten Studien Vorbehalte bezüglich unterschiedlicher Fragestellungen und unterschiedlicher Altersklassen an. Doch dass es auch regionale Unterschiede geben kann (ländlich geprägt, urban usw.), bleibt unberücksichtigt und unerwähnt.

Schliesslich zweifelt man in der Augenreiberei auch an, ob insbesondere die äusserst heiklen Fragen bezüglich sexueller Gewalt tatsächlich wahrheitsgetreu beantwortet wurden. Wer Opfer sexueller Gewalt ist und bisher darüber schwieg, wird wohl auch nicht in einer anonym durchgeführten Umfrage diesen Tatbestand angeben.

Unvollständige Statistiken

Wie bereits erwähnt steckt der Teufel oftmals im Detail. Das beginnt schon bei den verfänglichen Begriffen «Jugendgewalt» und «Jugendkriminalität». Wer eine Häuserwand versprayt, begeht zwar eine kriminelle Straftat, ist deswegen aber nicht automatisch ein Gewalttäter. Und wer einen anderen zu Fall bringt, wodurch der Fallende sich eine blutende Schürfwunde zuzieht, ist nicht automatisch ein totschlagender Prügelknabe. Eine Differenzierung tut also zwingend Not.

Auf der Suche nach neutralem, verlässlichem Zahlenmaterial ist man in der Augenreiberei schliesslich beim Bundesamt für Statistik (BFS) angelangt und damit beim Bericht «Zur Entwicklung der Jugendkriminalität». Dieser vergleicht die Jugendstrafurteile von 1946 bis 2004.

Doch auch das BFS hat seine Mühe, mit den unterschiedlich erhobenen Daten Vergleiche anstellen zu können.

Bei dem Versuch, Aussagen über die Zunahme kriminellen Verhaltens von Jugendlichen statistisch zu überprüfen, stellt das Fehlen unmittelbarer statistischer Informationen zum Verhalten Jugendlicher ein unüberwindliches Hindernis dar. So basieren die bislang durchgeführten  Analysen zur Entwicklung der Jugendkriminalität zumeist auf bereits vorhandenem Datenmaterial aus polizeilichen und gerichtlichen Datenquellen. Diese zeigen zwar eine Zunahme der Belastungsraten, wobei jedoch die Schlussfolgerungen kontrovers ausfallen, wie folgende
Beispiele zeigen:

– Ergebnisse von Befragungen einer Stichprobe der Schweizer Bevölkerung (Opferbefragungen) der Jahre 1987, 1998 und 2000 in Kombination mit der Polizeilichen Kriminalstatistik und der  Jugendkriminalstatistik lassen vermuten, dass der in den Kriminalstatistiken ausgewiesene Anstieg der Jugendkriminalität – insbesondere der Gewaltkriminalität – unterschätzt wird.

– Eine Analyse der polizeilichen Kriminalstatistik, welche mangels «Daten aus mehrmals mit identischen Verfahren durchgeführten Erhebungen» (Opferbefragungen) durchgeführt wurde, kommt zu dem Schluss, dass jugendliche Gewaltstraftaten möglicherweise tatsächlich häufiger geworden sind, dass aber gleichzeitig als Folge der Debatte über Jugendgewalt die statistische Erfassung intensiviert, also das Dunkelfeld stärker aufgehellt und somit die Zunahme eher überschätzt wurde.

– Eine neuere Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik und der neuen, seit 1999 existierenden Jugendstrafurteilsstatistik resultiert in der Vermutung, dass die Zunahme der polizeilich registrierten Jugendlichen ein Artefakt der selektiv erhöhten Sensibilität gegenüber problematischem Verhalten von Jugendlichen und der veränderten Reaktionsweisen der Behörden darstellt.

Immerhin kommt das BFS aufgrund des vorhandenen Zahlenmaterials zum Schluss:

Die Deliktsstruktur verändert sich über die Jahre nur geringfügig: in der Mehrzahl handelt es sich um überwiegend leichte Vermögensstraftaten, gefolgt von Betäubungsmittel- und Verkehrsdelikten. Die Straftaten gegen Leib und Leben spielen nach wie vor eine untergeordnete Rolle, auch wenn deren Anteil in den letzten 20 Jahren angestiegen ist. Konstant bleibt auch die Geschlechtsstruktur, wonach überwiegend männliche Jugendliche verurteilt werden.

Bis hierhin kann festgehalten werden:

  • Es gibt Hinweise dafür, dass Jugendgewalt und Jugendkriminalität nicht per se zugenommen haben, sondern durch eine zunehmende Sensibilisierung der Gesellschaft häufiger angezeigt werden.
  • Zahlenmaterial aus früheren Jahren ist nicht oder nur beschränkt vorhanden.
  • Es gibt Jugendgewalt (daran hat ja eigentlich auch niemand gezweifelt), auch wenn diese – statistisch betrachtet – nur «eine untergeordnete Rolle» spielt.

«500 jugendliche Intensivtäter»

Die Suche geht weiter beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), welches sich dem «Phänomen Jugendgewalt» auch schon seit einiger Zeit widmet. Doch wen wundert’s, auch das EJPD kommt zum Schluss:

Die bestehenden amtlichen Statistiken geben über das Ausmass der bestehenden Jugendgewalt keinen genauen Aufschluss.

Deshalb lautete auch eine der drei Sofortmassnahmen im Konsultationsentwurf vom 29. Juni 2007 zu Ausmass, Ursachen und Massnahmen von Jugendgewalt:

Erstellung einer gesamtschweizerischen Lageeinschätzung mit Fokus auf jugendliche Intensivtäter; Erfassung von kantonalen Massnahmen.

Was sind jugendliche Intensivtäter?

Internationale Forschungsresultate zeigen, dass gut fünf Prozent eines Geburtenjahrgangs rund 50 Prozent der Delikte dieses Jahrgangs begehen. Diese fünf Prozent werden als «jugendliche Intensivtäter» bezeichnet.

In den Kantonen gibt es bis zum heutigen Zeitpunkt noch keine einheitliche Definition eines jugendlichen Intensivtäters. Meist wird eine unterschiedliche Anzahl von Delikten einer bestimmten Schwere innerhalb eines definierten Zeitraumes als Kriterium verwendet.

Die besagte Lageeinschätzung der jugendlichen Intensivtäter, also der «ganz bösen Buben», liegt seit dem 2. Juli dieses Jahres vor und zeigt Interessantes. Auf den Punkt gebracht schreibt das EJPD:

Die Befragung der Fachleute der Polizeikorps zeigt, dass der Täter, der als jugendlicher Intensivtäter betrachtet wird, folgendes Profil hat:

Er ist männlich, stammt in der Regel aus bildungsfernen Schichten mit Migrationshintergrund und lebt bezüglich Familie, Schule, Arbeit und Drogenkonsum in problematischen Verhältnissen.

Auf der Basis der Aussagen der Kantone ist schweizweit von ungefähr 500 jugendlichen Intensiv- und Mehrfachtätern auszugehen.

Sie sind meist in Banden organisiert, nicht auf einzelne Delikte spezialisiert und verüben vor allem Sachbeschädigungen sowie Gewalt- und Vermögensdelikte.

Das heisst, dass diese 500 Jugendliche mutmasslich 50 Prozent der Delikte ausüben. Somit kann es auch nicht überraschen, wenn man in den Medienberichten über die «Schläger von…» häufig zu hören bekommt, dass die Täter «bereits einschlägig bekannt» sind.

Im 2007 gab es querbeet aller Kategorien gegen insgesamt 14’404 Jugendliche Jugendstrafurteile. Die vorgängig erwähnten 500 Jugendlichen zählen auch dazu. Folglich begehen knapp 10’000 andere Jugendliche die anderen 50 Prozent an angezeigten Delikten («Einmaltäter»). Offen bleibt natürlich für beiden Gruppen die Dunkelziffer (nicht angezeigte Fälle).

Der genannte Bericht enthält auch die Einschätzungen der Polizeikorps über die Zunahme an Delikten durch die Intensivtäter:

Die grösste Gruppe, knapp die Hälfte aller Antwortenden, tendieren dazu, dass weder die Bandenbildung noch die Anzahl jugendlicher Intensivtäter in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe. Andererseits scheint die Schwere der Delikte, die Gewalt um der Gewalt willen, bei Schlägereien zugenommen zu haben. Der einzelne jugendliche Intensivtäter delinquiert häufiger, intensiver und brutaler.

Sieben der einundzwanzig Antwortenden meinen hingegen, dass sich nichts verändert habe und «nur» vier Korps aus kleineren oder mittleren Ballungszentren sprechen von einer Zunahme in der Menge und der Intensität.

Spontanes Handeln

Auslöser dieses Artikels ist die Stellungnahme seitens SBB zum Artikel über die Erkennbarkeit der Videoüberwachung. Darin argumentierte Reto Kormann als Mediensprecher der SBB vor allem mit den Aspekten der Prävention, der erhöhten Gewaltbereitschaft, zunehmendem Vandalismus, strafrechtliche Verfolgbarkeit usw.

Aufgrund dieser Stellungnahme wollte deshalb die Augenreiberei zusätzlich wissen, ob die SBB Zahlen über kurz- und langfristige Wirkung dieser Massnahme habe. Dazu die folgende Antwort seitens SBB:

Grundsätzlich sind präventive Massnahmen immer schwierig messbar, da sich deren Effekt nur schwer zuordnen oder gar in Zahlen ausdrücken lässt – dies insbesondere dann, wenn es sich um ein Paket von Massnahmen handelt (siehe unten, Antwort 4). Dennoch: Obwohl die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft kontinuierlich zunimmt, konnten wir bei der SBB nicht einen parallelen Trend verzeichnen. Insofern lässt sich davon ableiten, dass die Videoüberwachung einen Beitrag zu dieser unterschiedlichen statistischen Entwicklung leistet.

Die jüngsten Ereignisse haben der Bevölkerung jedoch gezeigt, dass sich Straftaten dank Videoüberwachung aufklären lassen – dies hat auch die (potentiell) gewaltbereite und/oder zu Vandalismus neigende Klientel zur Kenntnis genommen. Und last but not least: Die SBB kann nicht erst dann reagieren, wenn das Haus brennt; die öffentlichen Verkehrsmittel dürfen nicht aus Angst vor Übergriffen oder Vandalismus gemieden werden.

Aufgrund der Erkenntnisse aus den vorgängigen Abschnitten kann und darf nicht pauschalisierend von einer «Zunahme der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft» gesprochen werden.

Vielmehr scheint die Intensität der kriminellen und gewalttätigen Delikte durch Jugendliche zugenommen zu haben, was auch das mediale Interesse erklärt.

Die «ganz bösen Buben», auch das ist aus dem EJPD-Bericht zu entnehmen, handeln jedoch spontan. Zudem würden diese auch gar nicht erst versuchen, den bisherigen Mitteln der Strafverfolgung zu entkommen. Da tauchen doch Zweifel auf, ob für diese ein Videoüberwachungssystem wirklich präventive Wirkung hat und für die Strafverfolgung zwingend notwendig ist.

Schliesslich kann man sich auch fragen, ob auch die seitens SBB ausgelösten «Veränderungen» in ihrem Umfeld nicht auch ungewollt dazu beitragen, dass sie selber immer wieder Opfer von Jugendgewalt und teilweise auch Opfer des eigenen Erfolgs werden. Konkret:

  • Das Rollmaterial ist heute um einiges sensibler als noch vor 30 Jahren. Einen Tritt gegen eine Türe hatte vor 30 Jahren nichts bedeutet, kann heute aber den Ausfall eines ganzen Zuges bedeuten.
  • Dank immer besserem Fahrplan wird der öV auch häufiger genutzt – auch durch Jugendliche.
  • Dank Gleis7-Angebot wird der öV auch für Jugendliche erschwinglich. Das vor 30 Jahren gebräuchliche Töffli bleibt heute in der Garage stehen.
  • Dank Transportmöglichkeiten zu später Stunde (Nightliner & Co.) wird der Ausgang durch Jugendliche an Orte möglich, die bisher kaum denkbar waren. Und wenn schon nicht selber fahren, kann man ja auch Alkohol trinken…
  • Vandalenakte in Form von Brandlöchern in Sitzpolster waren vor 30 Jahren wenig wahrscheinlich. Dank Aschenbechern kam man gar nicht erst auf dumme Gedanken…
  • Mit den Railshops, welche bis in die späten Abendstunden geöffnet haben, SIND die Bahnhöfe Anziehungspunkt – vor allem auch für ein junges Publikum. Jugendliche Intensivtäter sollen sich besonders gerne unter vielen Leuten wohl fühlen.
  • usw…

Oder anders gesagt: Auch im öV-Bereich müssen kriminelle oder gewalttätige Akte nicht zwingend zugenommen haben. Nur haben sich die Umstände so verändert, dass diese eben häufiger wahrgenommen werden und weniger im Versteckten beziehungsweise weniger in den heimischen Gewässern stattfinden.

«Früherkennung» auf allen Ebenen erforderlich

Auch wenn berechtigte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in der Gesellschaft ganz allgemein Jugendgewalt und Jugendkriminalität nicht zugenommen haben, so sind sie doch vorhanden. Der Mediatisierung und dem damit subjektiven Empfinden einer Zunahme ist es zu verdanken, dass diese Themen nun (endlich) konkret angepackt werden sollen.

Die wie im Bericht zu Intensivtätern angesprochene «Früherkennung» sollte sich allerdings nicht nur auf Jugendliche «aus bildungsfernen Schichten mit Migrationshintergrund» beschränken, welche «bezüglich Familie, Schule, Arbeit und Drogenkonsum in problematischen Verhältnissen» leben.

Bei einer Scheidungsrate von um die 50 % dürfte es in Zukunft noch einige Jugendliche aus «problematischen Verhältnissen bezüglich Familie» geben – ganz zu schweigen von den Jugendlichen in offiziell ungeschiedenen, aber zerrütteten Ehen…

Und was die Bekämpfung von Jugendgewalt ganz allgemein betrifft, sollte immer auch die Frage im Zentrum stehen, ob man nicht mit Kanonen auf Spatzen schiesst…

16 Antworten auf „Zunehmende Jugendgewalt: Alles nur eine Lüge oder was?“

  1. ich stelle aus persönlicher Erfahrung fest, dass der Lebensraum der Jugendlichen heute stärker eingeschränkt ist als zu ‚meiner Zeit‘: Das Erwachsenenalter wurde gesenkt, der Erwartungsdruck in der Schule ist riesig (es droht Jugendarbeitslosigkeit schon bei einem kleinen Versagen), die Konsumindustrie hat die kleinen Rangen schon sehr früh total im Griff – all das geht zu Lasten einer unbeschwerten Kindheit. Kinder und Jugendliche brauchen aber ihre eigene Kultur, die wird ihnen vorenthalten, die Erwachsenen mischen sich überall ein. Kein Wunder, dass die Abgrenzungsversuche manchmal unverständlich wirken, so z.B. die kleinen Vandalismen im öffentlichen Raum, die halt die Erwachsenen so schön verdrängen können.

    Vorsicht jetzt: damit äussere ich kein Verständnis für Schläger, ich vesuche ein Klima zu beschreiben. Ein Klima, das durch übertriebene Sorge und erdrückende Betreuung oder dann grad totales Alleinlassen der Kinder gekennzeichnet ist.

  2. Vielleicht erinnerst du dich an meinen jugendlichen Kursteilnehmer, der in die Mangel solcher „jugendlicher Intensivtäter“ geraten ist. Nun: Mittlerweile verfolgen sie ihn bis nach Hause und springen ihm auf der Bahnhofstrasse zu dritt auf den Wagen. Er verlässt die Schule nur noch durch den Hinterausgang, geht selten mehr aus und hat vor allem eins: panische Angst.

    Bei uns vor der Schule kam es innerhalb von vier Wochen zu drei heftigen Schlägereien – und ganz ehrlich bin ich froh darum, dass die Videokamera der Coop Tankstelle alle drei Schlägereien aufgezeichnet hat. Die Polizei hat das Material jedesmal auswerten können.

    Die dritte Schlägerei fand übrigens zu einer Zeit statt, in der wir Kinder im Alter von 10 – 12 Jahren unterrichtet haben.

    Bei solchen Vorkommnissen nützt dann diese ganze detaillierte Abhandlung gar nichts mehr. Die subjektive Wahrnehmung gewinnt, die Bedrohung wird als real empfunden. Noch schlimmer: Für einen Teil der Jugendlichen ist die oben geschilderte Bedrohung alltäglicher Ernst.

    Diese gepeinigten Jugendlichen fragen nicht mehr nach Gründen und schon gar nicht nach Statistiken. Sie werden radikal. Die Ausschaffung jugendlicher Straftäter ist noch die mildeste Forderung, die ich höre. Wenn wir für diese Probleme nicht bald eine Lösung finden, wird sich vor allem die Jugend radikalisieren und es ist gut möglich, dass dies dann am rechten Rand unseres politischen Spektrums passiert, dort, wo Lösungen versprochen werden.

  3. Besten Dank Euch beiden.

    Schon nach dem Studieren der St. Galler Studie hatte ich zeitweise den Eindruck, im falschen Film zu sein, da mir zu sehr «kategorisiert» wurde. Doch wer nach «Zunahme/Abnahme» fragt, muss mit eine Reduzierung auf einige wenige Zahlen rechnen…

    Ich stelle heute – ohne irgendeine Statistik in den Händen zu halten – fest, dass zunehmend der Ruf z. B. nach Videoüberwachung laut wird. Ich glaube jedoch nicht daran, dass man mit einer technischen Massnahme einem gesellschaftlichen Problem Herr wird.

    Vor allem aber reicht es mir nicht, dass die Politik nur die Rahmenbedinungen für eine technische Massnahme festlegt, anhand welcher gegebenfalls die Strafverfolgung vereinfacht wird. Ich erwarte, dass es gar nicht erst zur Straftat kommt! Und dafür braucht es eben mehr als Videoüberwachung.

    Überall dort, wo der Ruf nach Videoüberwachung als eine von verschiedenen technischen Massnahmen laut wird, orte ich ein Versagen unserer Politik (ich weiss, dass klingt etwas abgedroschen), welche es eben bis anhin verpasst hat, dieses gesellschaftliche Problem richtig und rechzeitig anzupacken. Und eben, mit einer technischen Massnahme lässt sich das nicht lösen. Die Gewaltbereitschaft der betroffenen Jugendlichen geht dadurch nicht automatisch zurück, sie verlangert sich einfach (bis vor die eigene Haustüre)…

    Auch der automatische Informationsaustauch zwischen Strafverfolgungsbehörden und Schulen, wie dieser nun nach dem Vorfall der drei Jungendlichen in Münchnen verlangt wird, löst an sich kein Problem! Dafür braucht es mehr als nur das Wissen im Hinterkopf einer Lehrperson, dass dieser oder jener schon einmal…

    Drei weitere Eindrücke, welche ich vor allem aus den (aus meiner Sicht äusserst guten) qualitativen Einschätzungen der Polizeikorps gewonnen habe:

    a) Wir stehen erst am Anfang einer möglichen Problemlösung. Eine bessere Integration von ausländischen Jugendlichen durch ein verbessertes Lesen und Schreiben, wie im letzten Beitrag angesprochen, ist dabei nur ein winzekleines Puzzlesteinchen, welches die Situation verbessern könnte.

    b) Über die Ursachen weiss man noch zu wenig. «Aus problematischen Verhältnissen» ist mir noch zu einfach. Der vorgängig angesprochene Illettrismus kann ein Grund sein, weitere können jene von Bruder Bernhard sein.

    c) Es gibt bereits verschiedene Möglichkeiten in den Kantonen, um Jugendliche quasi «in die richtige Bahn» zu lenken, namentlich in Form so genannter Jugendsachbearbeiter, welche pro «Fall» eine individuelle Lösung suchen. Trotzdem, diese Möglichkeiten sind nicht nur unterdotiert, sondern teilweise auch gar nicht vorhanden. Jeder Kanton bastelt selber etwas für sich und dies obwohl gewalttätige oder kriminelle Jugendliche keine Kantonsgrenze kennen. Und wer betreut den Innerhoder, der in der Stadt St. Gallen seine Untaten treibt, währenddem sein Wohnkanton keine wirklich «bösen Buben» kennt?

    Die Problematik ist zu vielschichtig, um sie nur isoliert auf Kantonsebene lösen zu können und dort nur innerhalb einiger weniger Stellen…

    Der politische Wille, etwas gegen Jugendgewalt/-kriminalität zu tun, hat auch mit der Tagespolitik zu tun. Es ist einfach, Angst und Unsicherheit durch ständiges Wiederholen der Vorfälle zu schüren statt Massnahmen gegen diese Angst und Unsicherheit zu ergreifen…

  4. Ich habe kürzlich im Rahmen meiner Recherchen für einen neuen Jugendkrimi mit einem Polizeibeamten geredet. Dabei haben wir auch über die Jugendkriminalität gesprochen. Das Fazit des Beamten war frustrierend:

    Prävention zeigt sich in keiner Statistik => Niemand will dafür Geld ausgeben (auch wenn die Polizei seit Jahren Entwicklungen vorhersagt und um vorbeugende Massnahmen und deren Finanzierung bittet).

    Politiker signalisieren gerne energisches Handeln. Und jeder von einer Videokamera gefilmte Straftäter, jeder Verhaftete, jeder Verurteilte ist ein Strichlein in der Statistik => Da hat man Geld dafür.

    Kommt dazu, dass die Polizei häufig unterbestzt ist. Zusammen mit dem fehlenden Willen (Geld) für die Prävention läuft es dann darauf hinaus, dass die Prävention an einem ganz kleinen Ort Platz hat (haben muss).

    Angst und Unsicherheit müssen nicht geschürt werden. Sie sind real vorhanden, mindestens bei uns im oberen Rheintal. Da nützt alles Schönreden nichts (mein Gottamädchen wurde auf dem Schulhof gemobbt bis zum Gehtnichtmehr – bis mein Bruder so kräftig die Faust auf den Tisch haute, dass jemand reagieren MUSSTE / Jugendliche werden spitalreif geprügelt und eingeschüchtert ect.). Wir haben ein ziemliches Problem am Hals. Und weil es für die Prävention in einigen Fällen schon viel zu spät ist, muss jetzt halt der Feuerlöscher her.

    Zu den Videokameras: Nein, sie geben keine Sicherheit. Bei uns finden die Schlägereien trotzdem statt. Oft im Verborgenen, weit abseits der Kameras und ohne dass es je zu einer Anzeige kommt. Aber: Wenn sie sich – wie bei uns – direkt vor den Kameras abspielen, dann sind die Bilder schon recht hilfreich.

    Mein Fazit: Es ist nicht so schwer, über Jugendgewalt zu reden – damit dirket konfrontiert zu sein, ist etwas ganz anderes.

  5. Zum letzten Absatz und meiner Motivation, darüber zu reden resp. zu schreiben:
    Ich habe das Thema auch deshalb aufgenommen, weil ich eben nie mit Jugendgewalt konkrontiert werden will. Ich befürchte allerdings, dass heute die falschen (Symtombekämpfungs-)Massnahmen ergriffen werden und wir in 10, 15 Jahren konsterniert feststellen müssen, dass sich nichts verändert hat, ja dass sich die Situation vielleicht sogar noch weiter zugespitzt hat, weil nicht die Ursachen angegangen wurden…

  6. Da sind wir uns völlig einig. Es braucht Prävention. Sehr viel Prävention. Dazu brauchen wir eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Und mutige Politiker; solche die nicht in Schlagwörtern denken, sondern sich mit dem komlexen Thema auseinanderzusetzen bereit sind.

    Noch ein Nachtrag: Im Rahmen des Kinder- und Literaturfestivals ABRAXAS bereite ich mit Jugendlichen zusammen eine szenische Lesung vor. Die Jugendlichen haben das Buch „Mordsangst“ gewählt, das sich mit Jugendgewalt auseinandersetzt. Dabei erlebe ich die Diskussionen mit den Jugendlichen als sehr differenziert – differenzierter als mit vielen Erwachsenen, die in einem Schwarz-Weiss-Schema festkleben.

    Gleichzeitig stehen wir alle fassungs- und verständnislos vor den heftigsten Auswüchsen von Jugendgewalt. Auch wenn wir Motive und Beweggründe finden, auch wenn wir nachvollziehen können, warum es so weit kommen kann, so erreichen wir dennoch einen Punkt, wo wir überhaupt nichts mehr verstehen. Nämlich dort, wo geprügelt und getreten wird, wo Verletzte schon lange wehrlos am Boden liegen.

    Jugendliche sehen die Komplexität der Sache. Und gleichzeitig ist ein tiefes Bedürfnis da nach einem „Halt, so nicht.“ So werden zum Beispiel durchwegs härtere Strafen gefordert. In jeder Diskussion. Nicht von alten SVP-Hardlinern, sondern von Jugendlichen (auch solchen, die differenziert denken).

  7. @zappadong & titus:

    halten wir mal fest: Jugendgewalt (JG) ist nichts Neues. Als Kind hatte ich total Angst vor der M…-Bande, über deren Gewaltbereitschaft die wildesten Gerüchte kursierten. Wir waren übrigens damals alle in einer Bande, das war total normal. Es war auch total normal, dass das die Eltern überhaupt nicht zu kümmern schien.

    Raufereien in der Schule waren ebenfalls das: Total normal. Nie wären da Eltern eingeschritten.

    These 1: Die heutige Überbehüterei der Kinder führt dazu, dass die Eltern sich viel zu früh einmischen und die Sache so einen Stellenwert kriegt, der für eine De-Eskalation nicht hilfreich ist.

    These 2: Es gibt heute in der ganzen Gesellschaft eine grössere Gewaltbereitschaft, und das färbt zuerst auf die Kinder ab. Diese Ausgrenzerei, die man überall feststellen kann, die Angst vor dem Fremden bei gleichzeitiger Globalisierung, das ist eine brisante Mischung.

    Keine These, sondern Grundüberzeugung wahrscheinlich auch bei Euch beiden: Das Verhalten der Kinder und Jugendlichen ist Spiegel der Erwachsenen – die haben es verkachelt, und jetzt schlägt es zurück.

    Blöd: wir sehen das Resultat eines mehrjährigen Prozesses, da gibt es keine kurzfristigen Lösungen, nur hilflose Dämmversuche wie Videoüberwachung, mehr Polizei, härtere Strafen. Hilflos und wohl kaum wirksam. Was in vielen Jahren kaputt gemacht wurde, lässt sich wohl nicht so schnell schnell wieder flicken. Nur noch stärker kaputt machen mit einfachen Rezepten auch solcher, die differenziert denken (ist da nicht irgendwo ein Widerspruch?)

  8. Ich finde Bruder Bernhard bringt es schön auf den Punkt.
    Entweder werden die Kinder/Jugendlichen verhätschelt oder überhaupt nicht betreut, oder beides nacheinander.

    Familie bobsmile ist eher altmodisch organisiert. Frau ist 100% Hausfrau (ich mag das Wort Familienmanagerin nicht!), ich 100% im Büro. Die Jungmannschaft (19 und 16, beide in der Lehre) wuchs ohne Fremdbetreuung auf und wir geben ihnen weiterhin den sozialen Boden, von dem aus sie sich entfalten können. Reibereien gehören dazu, wie auch gewisse Regeln im Umgang miteinander. Eine gewisse Gesprächskultur, sowie gemeinsame Mahl- und Lernzeiten sind ebenfalls feste Bestandteile im Alltag.
    Meiner Meinung nach fehlt in vielen Familien dieser Zusammenhalt.
    Aus eigener Erfahrung (Betreuung im Schulsport von 11 Jährigen) konnte man ganz gut anhand des Verhaltens der Kinder in der Gruppe auf den sozialen Background schliessen. (Durch persönliche Gespräche verifiziert!)

    Mein persönlicher Input dazu: Die sog. Individualisierung (hier im Sinn von Egoismus, bis ihn zur moralischer Verwahrlosung) in der heutigen Gesellschaft ist mit ein Problem steigender Verrohung von Jugendlichen.
    Wer macht denn noch mit in einem Verein?
    Wer engagiert sich noch für jemand anderen?

    Aber auch „die Wirtschaft und Gesellschaft“ steht in der Pflicht.
    Wer eröffnet neue Lehrstellen?
    Wer stellt Jugentliche ein mit Namensendung …vic?
    Wer unterlässt die Einsprache gegen die neue Skateranlage?
    usw.

    Etwas plakativ, ich weiss, aber ein Quäntchen Wahrheit steckt immer drin.

    Aprospos Vereinsleben 2009: Man (und Frau) zahlt ja schliesslich den Jahresbeitrag, und darf somit auch Leistung konsumieren, aber das ist wohl ein anderes Thema …

  9. @ Bruder Bernhard
    Richtig, was die Grundüberzeugung betrifft, wobei auch der «Nicht-Spiegel», also das Fehlen entsprechender elterlicher Vorbilder seine Auswirkung hat. In diesen Fällen kommen andere Vorbilder zum Zuge. Im Bericht zur Befragung der Polizeikorps bezüglich Intensivtätern heisst es dazu:

    «Die elterliche Aufsicht ist nur gering, wenn überhaupt, vorhanden und die Herkunftsfamilie oft zerrüttet; es fehlen Wertmassstäbe und Respekt vor Autoritäten, vor anderen Menschen generell und auch vor Sachgütern. Die Jugendbande dient den Jugendlichen als Familienersatz und, wie von einem Experten erwähnt, auch als Form von Liebesersatz für die fehlende familiäre Zuwendung.»

    Auch interessant dazu die folgende Aussage:
    «Hinter den Aggressionen verbergen sich Minderwertigkeitsgefühle, Verunsicherungen und Ängste. Auch das Pochen auf verletzter Ehre, das Vorschieben von Provokationen und das damit einhergehende Macho-gehabe werden mit Unsicherheit erklärt. Die gefühlte Stärke, die Machtausübung beim Ausnehmen oder bei Gewaltdelikten kompensiert für die ansonsten schwache Stellung in der Gesellschaft, ohne oder mit nur schlechtem Schulabschluss, ohne Arbeit und vermeintlich ohne Perspektiven.»

    Oben stehendes bezieht sich aber wie erwähnt auf die so genannten Intensivtäter. Für mich unklar sind die Motive der anderen «Einmaltäter».

    @ Bobsmile
    Der von Dir genannten Individualisierung kann ich insofern folgen, als dass sich heute viele nur noch um den eigenen Kram kümmern und damit auch von anderen nichts wissen wollen, was wiederum zu einer Art Ausgrenzung führt. Integration in eine Gruppe, in einen Kulturkreis usw. ist nur möglich, wenn sie auch zugelassen wird.

  10. @BB: Ja, in der Grundüberzeugung bin ich mit dir einig.

    Zu These 1: Ja und nein. Ja, viele Eltern greifen viel zu früh ein, verbieten den Kindern zu vieles als gefährlich (das fängt beim Schulweg an, den Kinder nicht mehr zu Fuss zurücklegen dürfen). Sie mischen sich in Dinge, die Kinder von selber regeln würden. Und jetzt zum leidigen Nein zu These 1. Es gibt Eltern, die Kinder in die Welt stellen und dann merken, dass diese schreien, trötzeln, schwierig sind. Zu mühsah halt … und dann kommt früher oder später der „mach doch, was du willst Effekt“ oder das „ich polier dir dir Fresse, wenn du nicht parierst“ – beides Reaktionen, die Kinder und Jugendliche abstürzen lassen können.

    Zu These 2: Ja. Und ich möchte anfügen: Es gibt auch eine riesige Intoleranz allem etwas „Anderen“ gegenüber (Kleidung, Aussehen, Verhalten). Gepaart mit der Angst vor dem Fremden führt das zu Ausschlüssen von ganzen Gruppen aus der Gesellschaft.

    Noch viel blöder (um auf dein blöd ist ..) zu antworten: Wenn mir besagter Polizeibeamter erklärt, all dies sei vorauszusehen gewesen, es sei gewarnt und um Massnahmen gebeten worden, aber eben, die Prävention bringt niemandem ein Blumensträusschen.

    @bobsmile: Familie Zappadong ist halbaltmodisch organisiert. Will heissen: Ich habe immer gearbeitet, mein Mann auch, aber so aufgeteilt, dass einer von uns beiden immer für die Kinder da war. Nur als sie ganz klein waren, waren sie einmal pro Woche bei den Grosseltern. Wir sind sozusagen ein Glücksfall, denn uns war dies dank meiner selbständigen Tätigkeit, einem verständnisvollen Arbeitgeber von Herrn Zappadong und gleich zwei Grosselternpaaren ganz in der Nähe möglich. Den meisten Eltern ist dies nicht vergönnt und so geben sie ihre Kinder zum Teil in die Krippe, zum Teil zu einer Tagesmutter. Ich kann darin nichts Falsches sehen. Solange sich Eltern ernsthaft und verantwortungsvoll um ihre Kinder kümmern, funktionieren solche Modelle. Wichtig ist eine gute Betreuung und die Bereitschaft, als Eltern eine ganze Weile zurückstecken zu können (was dann halt eben der ach so wunderbaren Individualisierung entgegenläuft). Als Familie (Gemeinschaft) funktioniert man anders als als Einzelwesen, nicht jeder kann alles immer haben – und das ist gut so (ja, das ist jetzt vielleicht altmodisch).

    @titus: Die Gründe für Jugendgewalt zu verstehen ist eines (das tue ich ja in vielen Fällen!), aber als Opfer oder Angehörige von Opfern damit zu leben, ist etwas ganz anderes. Es gibt diesen Spruch vom „Verstehen ist verzeihen“, den ich so nicht gelten lassen kann.

    Zum Thema gibt es heute übrigens ein gutes Interview im Züri-Teil des Tages Anzeiger (leider nur in der Printausgabe – auf der Online-Ausgabe geht es um prügelnde Jugendliche. SCHADE!)

  11. Tja, die Jugend zerstört unsere Gesellschaft, war ja klar. Soziale Spannungsfelder, sozial- und bildungspolitisches Versagen ist natürlich nicht schuld…

    Schon praktisch dass CSU/CDU jetzt wieder mit den bösen Jugendlichen, der Gefahr usw. auf Stimmenfang geht, wenn man dran denkt wieviel alte Leite es im Land gibt die das vielleicht sogar unverdaut glauben…

    http://cymaphore.net/journal/entry/27/200909151109/Die_Jugend_zerst%C3%B6rt_die_Gesellschaft

  12. Da stimm‘ ich Ihnen absolut zu, Frau Zappadong.

    Wie schon oben erwähnt, ist das Thema komplex und umfangreich. In einen Massnahmenkatalog zur Bekämpfung der Jugendgewalt gehört in jedem Fall auch Massnahmen betreffend Opfer.

  13. Vielen Dank für Deinen Kommentar, Cymaphore.

    In Deinem Blog bringst Du es aus meiner Sicht gut auf den Punkt:
    «Ein sicheres Gegenmittel ist die Beseitigung des sozialen Ungleichgewichts und der Bildungsarmut, deren Konsequenz derartige Taten sind.»

    Anlässlich dieser Info-Veranstaltung bekammen die Teilnehmer u. a. zu hören: «Die Brutalität ist heute aber grösser. Grund dafür sei in vielen Fällen die fehlende soziale Bindung. «Viele Eltern haben heute zu wenig Zeit für die Jugendlichen», sagte Weilenmann.»

    Das stösst in die gleiche Richtung wie von Dir erwähnt. Dass das an einer (schweizerischen) FDP-Veranstaltung gesagt wurde, betrachte ich doch als winzig kleinen Lichtblick…

  14. @zappadong
    Ups, kam wohl etwas falsch rüber. Die 100% bezogen sich einfach auf Familie bobsmile ohne Anspruch auf das einzig funktionierende Modell zu sein, denn andere Modelle (Teilzeit, Tageskrippe, usw.) funktionieren natürlich auch, wichtig erscheint mir einfach: Wer A sagt muss auch B sagen. Wir haben die Kinder gemacht gewollt, es war unsere Entscheidung, also begleiten wir sie auch, bis sie selber richtig fliegen können.

  15. Ich behaupte das das Thema auch etwas positives hat: Ich glaube das die Gewalt an sich nicht zunimmt, sondern einfach sichtbarer wird, ähnlich wie beim Alkoholgenuss. Früher haben „die Jugendlichen“ im kleinen Kreis gesoffen… Heute stellen die Leute Videos davon auf YouTube und die Medien stürzen sich natürlich nur so drauf… Ich finde das wird bei dem Thema auch ganz gerne vernachlässigt…

  16. Das spielt sicher auch eine Rolle. Wie schon vorgängig erwähnt seien die Gewaltakte vor allem auch brutaler geworden, womit ich mir auch das mediale Interesse erkläre. Der von Dir angesprochene kleine Kreis traf sich zudem eher in einem Bekannten- oder familiären Umfeld. In diesem Umfeld richtet man keinen Schaden an, denn dieses gehört ja jemandem, den man kennt.

    Auch nicht vernachlässigbar ist der Aspekt Alkoholgenuss. Es ist schon lange nicht mehr nur einfaches Bier wie anno 19.., sondern es sind süffige Getränke, die einem den Alkohol nicht mehr erkennen lassen und die bunter und äusserlich harmloser daherkommen als jeder Sirup… Schliesslich greifen heute – subjektiv empfunden – auch mehr zu Hochprozentigem.

    In beiden Fällen wäre es interessant zu erfahren, warum das so ist. Ist es wirklich so, dass der Druck aus Schule und Wirtschaft zugenommen hat und der Alk-Konsum quasi als «Überdruckventil» dient oder sind die Jugendlichen von heute – provokativ ausgedrückt – einfach nur Memmen und «das Resultat» einer laschen Erziehung? Ich tendiere zu ersterem, kann das aber nicht belegen.

    Ob hierzu mitlesende Eltern einen Vergleich zwischen ihrer Schulzeit und jener ihrer eigenen Kinder wagen?

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